Rumänien

Donaudelta und Karpaten

Rumänien

Von der Hauptstadt in die Walachei...

Immer dichter wird der Verkehr Richtung Bukarester Innenstadt. Am Wegesrand erstaunlich viele guterhaltene Villen aus längst vergangenen Zeiten. Durch den Kreisverkehr, mittig mit dem zu keiner Fahrbahn exakt ausgerichteten Triumphbogen, geradeaus weiter bis wir schließlich vor unserem Hotel im angesagten Lipscani, dem Leipziger Viertel aufschlagen. Parkuhren gibt es hier keine, jedoch ein paar Männer mit amtlich aussehenden Ausweisen an ihren Hosen, die nach der nicht erfragten Einparkhilfe gerne vierzig Leu, umgerechnet etwa acht Euro, für das Bewachen des Autos hätten. Ich handele auf zwanzig Leu herunter, besser als eine Beule im Mietwagen vorzufinden und für zwei Tage parken in einer Hauptstadt durchaus preiswert. Nach dem Einchecken suchen wir uns ein Lokal für unser verspätetes Mittagessen aus und erkunden so gleichzeitig die nähere Umgebung. Hier ist vieles renoviert und eine Menge Geschäfte, Bars, Restaurants und Galerien mit schlechter Kunst warten auf in- und ausländische Kunden. Zu früher Abendstunde beschallen Techno und rumänischer Schlager die Straßen und buhlen um die noch übersichtliche Zahl an Passanten.

Wir betreten den großen und vollständig als Biergarten genutzten Innenhof der ehemaligen Karawanserei des Hanul lui Manuc. Vergleichbar einem deutschen Brauhaus werden lokale deftige Spezialitäten in rustikalem Ambiente serviert. Ein paar Katzen streichen um die Tische. Das wäre einem deutschen Gesundheitsamt zumindest eine Rüge wert. Auf der Bühne treten abwechselnd Trachtentanzgruppe und Folkloremusiker auf. Das Publikum besteht aber zum Großteil überraschenderweise aus Rumänen. Hier fällt mir zum ersten Mal auf, wie wenige ausländische Touristen im Lande reisen.

Wir spazieren noch ein wenig durch die Dämmerung. Inzwischen sind die Bars schon weit besser gefüllt. Knapp bekleidete Tänzerinnen animieren zum Trinken. Alles ein wenig laut und recht billig. Ein wenig abseits der Hauptmeilen wird es aber direkt ganz ruhig. Wir bleiben vor einer der kleinen orthodoxen Kirchen stehen. Im Hof vor dem Gebäude findet ein Gemeindefest statt. Alles ist romantisch mit Kerzen ausgeleuchtet und immer noch mehr werden aus dem Inneren der Kirche herausgetragen. Wir gehen kurz hinein und lauschen Gesang und Ansprache, ohne die Worte verstehen zu können. Trotzdem rühren uns die Stimmung und der krasse Gegensatz zum gerade hinter uns gelassenen Vergnügungsviertel. Hier die Spiritualität des gelebten Glaubens, dort die Ausgelassenheit des organisierten Feierns.

Die Kirche ist Teil der Trennungslinie zwischen renoviertem und nicht renoviertem  Teil der Altstadt. Wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Rummel auch hierhin vordringen wird, bis auch dieser alte Putz erneuert und bunte Anstriche das Grau ersetzen werden.

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und suchen eine Wechselstube, um uns mit Leu zu versorgen. Nach dem Frühstück in einer der zahlreichen Bars erkunden wir noch einmal die überschaubare Altstadt, bevor wir über eine Brücke in eines der umliegenden Wohngebiete weitergehen. Hier ist die Welt direkt eine andere und wir kommen etwas im Alltag der Hauptstadt an. Plattenbauten und Armut, Schrottsammler mit ihren kleinen Schiebekarren, leere Ladenlokale und Restaurants mit verblichenen Essensfotos. Nicht drastisch, aber doch auffallend, so dicht am bunten Amüsierviertel. Wir drehen eine größere Runde und beschließen dann, dass ohne Plan dieser Riesenstadt nur schwer beizukommen ist.

Bukarest ist keine geschniegelte Schönheit. Zu groß sind die das Stadtbild prägenden Einschnitte aus der Ceausescu-Diktatur. Ganz abgesehen vom größenwahnsinnigen Palast des Despoten, für den große Teile der Altstadt der Abrissbirne zum Opfer fielen, sind es auch die vielen schon jetzt entgegen den Gebäuden aus dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts billig wirkenden Zweckbauten, die dem Stadtbild eine herbe Note geben. Dazu kommen die breiten Boulevards, die sternförmig ins Zentrum führen und die Stadt zerschneiden. Sechsspurige Ungetüme, viel befahren, sind sie ein echtes Hindernis für Flaneure. Trotzdem entfaltet sich uns mit dem fortlaufenden Tag immer mehr der Reiz der Metropole. Gerade die abrupten Brüche im Stadtbild lassen kaum Ermüdung aufkommen. Hinter jeder Kurve lauert das Unerwartete, der ständige Wechsel. Im Cismigiu, dem zentralsten und ältesten der zahlreichen großen Parks, ruhen wir uns am See ein wenig aus und schauen den Tret- und Ruderbooten zu. Ausgelassen feiern ein paar hier ihr Wochenende, spritzen sich mit Wasserflaschen voll, lachen viel. Ein Maler hat eine große Leinwand aufgebaut und arbeitet sich am Porträt eines Paares ab. Auf der naheliegenden Bank sitzen zwei junge Männer. Aus dem Radio höre ich Deodatos „Also sprach Zarathustra“, so etwas würde bei uns allerhöchstens in der späten Nacht zu hören sein. Wir kommen ins Gespräch und sie zeigen mir eine App mit dem aktuellen Kulturprogramm der Stadt. Bei der Jugend ticken die Uhren in großen Teilen der Welt schon ähnlich. Etwas abseits, vor einem verfallenden Gebäude unter den tiefhängenden Ästen eines Baumes, sitzen drei Jungen und rauchen. Bevor ich mich aus ihrem Versteck zurückziehen kann, sprechen sie mich auf Deutsch an, sind Schüler der naheliegenden Goetheschule. Deutsche Schulen haben in Rumänien wegen der einst hohen Zahl deutschstämmiger Siedler eine lange und angesehene Tradition.

Wir schlendern zum Kunstmuseum und schauen uns den Flügel mit alter europäischer Kunst an, die ehemals die Königsfamilie zusammengetragen hat. Hier am Boulevard Calea Victoriei liegen die Prachtbauten dicht beisammen. Wir wechseln die Straßenseite und setzen uns in eines der wunderschönen Cafés hinter dem beeindruckenden Gebäude der Symphonie. Es ist eine kleine Flaniermeile der Schicken und Reichen der Stadt. Doch schon wenige hundert Meter weiter wähnen wir uns in einer anderen Welt. Noch nicht renovierte, teilweise verfallende und leerstehende Gebäude, billige Geschäfte und überfüllte Mülltonnen prägen hier das Stadtbild. Wir gehen noch ein paar Winkel ab bevor wir wieder auf die Calea Victoriei zurückkehren. Es ist Wochenende und so ist der Boulevard bis auf große, kreuzende Straßen vollständig für Autos gesperrt. Das Volk flaniert auf der breiten Straße soweit das Auge reicht. Ein toller Anblick, Paare, Familien, jung und alt, zu Fuß oder mit Fahrrad, E-Roller und Skateboard nutzen das Angebot. Warum ist es bei uns schwer so etwas temporär zu schaffen? Die Stimmung ist herrlich und wir freuen uns jeden Meter unseres Weges über den sonnigen Boulevard. An den Kreuzungen stehen Polizeiautos quer und trennen die kreuzenden Autos von den Passanten. Die wunderschönen Paläste kontrastieren die weniger gelungenen Gebäude. Es gibt angenehm breite Fahrradspuren in beide Richtungen mit einer sinnvoll schützenden Abbordung zur an Wochentagen viel befahrenen Straße. So lernen wir zufällig ein Stück äußerst gelungener Stadtpolitik kennen.

Ein Mann schreit lautstark irgendeine Meinung heraus. Anscheinend stören ihn die sich gerade positionierenden Straßenmusiker. Der dazu gerufene Polizist versucht ihn zu beruhigen und geht sehr freundlich auf den Mann im Unterhemd ein. Seine deeskalierende Art zeigt nach einer kurzen Zeit Wirkung und der Mann wird ruhiger. Wir spazieren die Prachtstraße auf und ab, ich versuche die Stimmung in Fotos zu konservieren. Näher zur Innenstadt wird die Dichte der Geschäfte und so auch die der Menschen größer. Straßenmusiker buhlen vermehrt um die Gunst des Publikums. Wir biegen noch einmal ab in Richtung Philharmonie und setzen uns vor eines der schönen Restaurants zum Abendessen. Am Nebentisch sitzen zwei exaltierte Damen. Eine Jüngere mit weißer Haarfärbung, langen und spitzen knallroten Nägeln und eine Ältere mit dichtem schwarzem Haar und auffallendem Goldschmuck. Der männliche Begleiter ist bis auf seinen Siegelring am kleinen Finger unauffällig. Wie so oft sind es bei uns Menschen die weiblichen Charaktere, die sich auffallend und gepflegter zeigen. An der jüngeren ist jeder Zentimeter durchgeplant, Dekolleté und Gesicht wirken chirurgisch nachgebessert. Ihre Unterhaltung wird in Englisch geführt und ist sehr lebhaft. Offensichtlich arbeiten die beiden Damen im Kulturbereich und verbringen hier einen letzten Abend zusammen, bevor die Schwarzhaarige abreist. Ich beobachte die beiden und für eine Minute kommen wir ins Gespräch über ein lokales Getränk das wir nach einer Erklärung der Älteren auch bestellen. Es ist eine Art Marsala, ein leckerer aber zu süßer Likörwein.

Zum Abschluss unseres Abends reihen wir uns noch einmal in die größer werdende Menge auf der Calea Victoriei ein und lassen uns langsam Richtung Altstadt zu unserem Hotel leiten. Eine Sängerin nutzt mit ihren Begleitmusikern die gute Akustik zwischen den Häusern und zieht eine große Menschenmenge an. Zahlreiche Handys nehmen ihre Darbietung auf. Wir bleiben ein letztes Mal hängen bevor auch wir voller Bilder unser Hotel aufsuchen.

Die Walachei ist in großen Teilen flach, eine staubige Agrarwüste, an die spanische Felder-Welt um Burgos erinnernd. Auf unserem Weg nach Tulcea, der Hafenstadt am Donaudelta, durchqueren wir die schon sprichwörtlich leere und ereignislose Ebene. Vergessene Dörfer mit wüstenhaften Temperaturen. Ein paar Menschen, aber genauso viele Katzen und Hunde auf den Straßen, kleine Geschäfte, die das nötigste und wenig frisches anbieten. Davor im Schatten schon in der Mittagshitze angetrunkene Männer. Ohne Arbeit, aber mit Batterien von leeren Bierflaschen oder selbstgebranntem Schnaps in großen Plastikgefäßen vor sich auf den wackeligen Tischen. Jeder Garten ist auch ein Nutzgarten: Mais als Tierfutter oder für Polenta, etwas Wein und verschiedene Gemüsesorten mit schönen Blumen dazwischen gepflanzt. Selbstversorgung ist eine Notwendigkeit, finanziell und organisatorisch. Fast jedes Grundstück ist durch einen farbigen Zaun von Nachbar und Straße getrennt. Teilweise wirkt das pittoresk, teilweise auch einfach arm.

Nach drei Stunden Fahrt kommen wir aus der Ebene wieder in hügeliges Terrain. Direkt werden die Felder weniger, es gibt mehr Wiesen und damit auch wesentlich mehr Blumen. Unfassbar viele weiße Schmetterlinge tanzen allein oder zu Paaren über die Straße. Trotzdem ich langsamer fahre, ist es nicht möglich ihnen auszuweichen. Noch nie habe ich eine solche Konzentration gesehen. Es schmerzt mich, Dutzende zu töten. Immerhin scheint es hier noch keine schrumpfende Population zu geben! Auch unsere Autoscheibe wird immer fleckiger.

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Labyrinth Donaudelta...

Tulcea ist eine lebendige Hafenstadt. Schön ist sie nicht. Wir fahren direkt durch zur Uferpromenade und hoffen noch unser Passagierboot nach Crisan zu erreichen. Hinweisschilder sehen wir keine und nur mit Google Maps finden wir den Parkplatz am Kai. Leider sind alle Plätze belegt und langsam wird unsere Zeit knapp. Wir kurven ein wenig die Straße auf und ab, schließlich landen wir zum zweiten Mal auf dem staubigen Platz. Anke entdeckt ein Auto, das scheinbar ausparken möchte. Ich schiebe mich vor und wir warten, bis die Ehefrau noch dazukommt, die beiden abfahren und wir endlich einparken können. Der Automat ist nur rumänisch beschriftet und während wir noch rätseln, welches Ticket wir für drei Tage ziehen sollen, kommt ein netter Herr dazu. Er erklärt, der Automat sei kaputt und wir sollen ein Beweisfoto schießen. Er schreibt uns einen Zettel, den wir für etwaige Kontrolleure hinter unsere Windschutzscheibe legen. Wir bedanken uns, packen unser Gepäck bei 35°C aus und hecheln zum Schiff. Einer der weiß gekleideten Angestellten verkauft uns unsere Billets. Wir steigen auf das Mitteldeck, nehmen uns zwei der alten Stühle und erwarten froh unsere Abfahrt.
Vorbei an einigen alten Kästen aus der Sowjetzeit verlassen wir Tulcea und fahren auf den langweiligsten, weil schon lange für die Schifffahrt begradigten und ausgebaggerten, von drei Donauarmen. Die Rumänen um uns herum packen ihre verschiedenen Esswaren aus und ich schaue ein wenig neidisch. Der Bordkiosk verkauft leider nur Kaffee aus der Pumpstation, Zigaretten, Süßigkeiten und diversen Knabberspaß. Dumm, dass wir es versäumt haben uns auch einen kleinen Vorrat anzulegen. So setzen wir uns an die schattige Längsseite und lassen das Ufer langsam an uns vorbeiziehen. An den wenigen Haltestellen steigen immer eine Handvoll Menschen aus und zu. Nach guten zwei Stunden erreichen wir Crisan. Der etwas großspurig Boulevard genannte breite Fußweg läuft auf einigen Kilometern geradlinig entlang der Häuser. Fast jedes hat eine kleine Plattform zum Angeln, abends essen und zum Anlegen der kleinen Boote. Es wirkt alles recht gepflegt, kaum Müll. Ein paar Häuser stehen zum Verkauf, ein paar sind unbewohnt, aber ansonsten scheint hier eine ruhige Zufriedenheit zu herrschen. Die Boote sind die einzige Möglichkeit Crisan zu verlassen. Mit ihnen wird alles Notwendige aus Tulcea ins Dorf geschafft. Wir gehen entlang der im Bau befindlichen kleinen griechisch-orthodoxen Kirche zu unserer Pension. Hier ist er wieder, einer der vielen Zipfel vom Ende der Welt. Auf der Plattform vor unserem Haus können wir sehr schön die Zeit fließen lassen. Es gibt eine kleine runde Bar und zwei schattenspendende Bäume. Immer wieder kommt eines der stark motorisierten Boote vorbei. Alle paar Stunden ein dickes Containerschiff auf dem Weg zum oder vom Schwarzen Meer. Herrlich ist es, hier zu sitzen und den Möwen bei der Jagd zuzuschauen. Gegen Abend werden es immer mehr und es sind Tausende, die dann in der untergehenden Sonne die Insekten auf ihren Jagdausflügen dezimieren.

Vom sehr breiten Kanal geht es mit hoher Geschwindigkeit in den breiten Seitenarm und dann wesentlich langsamer in die kleineren Verästelungen des Deltas. Wir sind auf dem Boot der Pension unterwegs, um uns der vielfältigen Vogelwelt zu nähern und die Schönheit der Wasserwege zu genießen. Zuerst bekommen wir Reiher, vor dem Dickicht aus Uferpflanzen stehend, zu sehen. Verschiedene Entenarten und Schwäne tummeln sich im von Seerosenblättern fast abgedeckten Wasser. Haubentaucher schwimmen auf den größeren Seen. Der Höhepunkt sind die großen Scharen Pelikane auf mehreren der weiten Gewässer, die sich immer wieder nach engen Passagen öffnen. Unser Bootslenker fährt für ein UNESCO-Weltkulturerbe-Gebiet recht ruppig an die Tiere heran. Scharenweise erheben sie sich aus dem Wasser und fliegen in kleinen Formationen aus sechs oder sieben Pelikanen ein Stück weiter, um sich dann wieder auf dem See niederzulassen. Auch wenn das Mittel fraglich ist, der Anblick ist wunderschön. Der Start, genau wie die Fußbremse auf dem Wasser nach ihrem Flug, ist lustig anzuschauen. Zusammen mit dem sich uns bietenden Panorama aus schier endlosem Wassergebiet und unzähligen Wasserpflanzen wird uns deutlich, dass wir hier in einer der großen Naturlandschaften der Erde unterwegs sind. Mit über fünftausend Quadratkilometern ist das Donau- hinter dem Wolga- Europas größtes Flussdelta. Unzählige Vögel, aber auch Fische, Amphibien und Reptilien haben hier ihr Rückzugsgebiet. Viele Arten sind endemisch.

Am Morgen leihen wir uns ein Kanu und paddeln auf den Wasserwegen jenseits des großen Donauarms. Es ist schön, die gestern erhaltenen Eindrücke noch einmal vertiefen zu können. Auch die motorlose Ruhe ist sehr angenehm. Der Blick richtet sich hier auch eher auf die kleinen Ereignisse, grüne und braune Frösche in erstaunlicher Menge, die Schönheit der Wasserrosenblüte, der Schatten unter uralten Weiden. Ohne vorherige Einweisung wären wir schnell verloren. Es gibt kaum merkbare Landmarken. Hin und wieder sind es die durch ein paar in den Boden gerammte Stöcke gekennzeichneten Fischernetze. Die Einfahrten von den kleinen Seen hinein in die Seitenarme sind im Schilf kaum erkennbar. Ein einzelner Pelikan ist uns nun genauso Sensation wie gestern ein ganzer Schwarm. Es ist eine wildromantische Urlandschaft, durch ihre wenigen Bestandteile sehr harmonisch, sehr beruhigend. Hin und wieder kommt ein Boot mit ein paar Tarnhosen tragenden Fischern vorbei. Zwei Kanus mit einer Familie begegnen uns auf einem kleinen See. Ansonsten gehört dieser kleine Teil des Deltas uns heute allein.

Wir brechen am Nachmittag noch einmal in der Sonnenglut auf, um eines der Naturwunder des Deltas, einen uralten Eichenwald, auf Sanddünen verwurzelt, anzuschauen. Nach der Bootsfahrt zum Selbstversorgerdorf Letea werden wir mit einer Pferdekutsche erst über die staubige Sandpiste des Dorfes und danach durch die umliegenden, von Kühen und Pferden bevölkerten Wiesen zum Wald gekarrt. Die gesamte Fläche von fünftausend Hektar ist zum Schutz vor den Weidetieren vollständig eingezäunt. Das Tor wird geöffnet und wir zuckeln langsam durch das Eichendickicht. Nach einer halben Stunde halten wir und der Kutscher fängt seine rumänische Erklärung an. Von den zehn anderen Teilnehmern verstehen wir und die vierköpfige deutsche Familie nichts. Englisch spricht der Führer leider nicht. Ich denke schon, dass der Ausflug, da sich das Gelände für den Laien nicht wesentlich von einer Heidelandschaft mit dichteren Waldpartien unterscheidet, eine relativ sinnfreie Veranstaltung für uns ist, als ein junger Rumäne sich verantwortlich fühlt. In bestem Englisch und mit gutem Witz erklärt er uns die Besonderheiten des Waldes. Das Gebiet, auf dem wir stehen, war vor zweitausend Jahren noch der Grund des Schwarzen Meeres. Durch das Anschwemmen von großen Massen Sediment wurde das Meer zurückgedrängt und es entstand Festland. Der Samen, in festgesetzten Schiffen liegend, ließ den hier sichtbaren, letztendlich menschenangelegten Urwald entstehen. Wir gehen noch ein bisschen durch die schöne Landschaft. Der Kutscher erklärt, dass vor einigen Wintern Schakale über den die Ukraine von Rumänien abgrenzenden, damals zugefrorenen Arm der Donau gekommen sein und nun heimische Tiere angriffen und ausrotteten. Ich denke, dass von Wölfen die Rede ist. Wie so oft spielt bei diesen Tieren eine hohe Emotionalität mit und wir haben es auf jeden Fall mit einem Feind des Wolfs zu tun. Auch hier wieder eine etwas seltsame Wahrnehmung für einen Führer durch ein so wertvolles Naturschutzgebiet. Wir fahren auf dem Weg zurück zum Bootsableger noch einmal durch das schöne Dorf. Fast alle Häuser sind gepflegt und traditionell mit Reet gedeckt. Die blau-weiß gestrichenen gehören griechisch-stämmigen Einwohnern. Neben den Russen eine der großen Minderheiten in Letea. Es wäre schön gewesen hier ein wenig Zeit zum Schlendern zu haben. Die sympathische Geschäftsuntüchtigkeit der Ortsbewohner verhindert aber jeden weiteren Ansatz. Vielleicht möchten die Anwohner auch nur die Touristen vom Dorf fernhalten….

Schon früh am Morgen laufen wir den Kilometer zum Schiffsanlegeplatz, um die frühmorgendliche Fähre zurück nach Tulcea zu nehmen. Während wir warten, kommen immer mehr Fahrgäste mit ihrem Gepäck. Ein paar junge Katzen streichen uns um die Beine und ergattern ein paar Happen aus unserem von der Pension mitgegebenen Frühstückpaket. Mit ein bisschen Verspätung läuft das Schiff, aus Sulina kommend, ein. Wir sichern uns zwei Stühle am Bug. So haben wir nicht nur eine schöne Sicht, sondern auch die ganze Rückfahrt Schatten. Ich hole uns zwei Kaffee aus der Thermoskanne, heiß und schwarz. Am nächsten Halt beobachte ich, dass ein älterer Mann vom Kioskbetreiber seine Packung Zigaretten im Tausch gegen abgezähltes Geld über die Reling gereicht bekommt. Unsere Crew ist dieselbe wie auf der Hinfahrt und wahrscheinlich auch an vielen anderen Tagen. Bewohner, Fahrgäste und Angestellte kennen sich. Das Ganze wirkt recht familiär oder zumindest dörflich. Ich fotografiere den neben mir stehenden Mann, weil er eine Sportjacke eines Düsseldorfer Provinzclubs trägt. Eine schöne Idee für eine Fotoserie: Kleidungsstücke deutscher Sportvereine in der Zweitverwertung. Die Idee kam mir erstmals, als ich einen Mann im Trikot meines Heimatvereins Union Rösrath am Flughafen im Iran sah.

Eine graue Dampfwolke kündigt Tulcea an, willkommen zurück im Trubel. Unser Auto steht dank des netten Mannes ohne Strafticket auf dem Parkplatz. Wir lüften ein wenig und verabschieden uns in Richtung Brasov.

Bei bis zu 38°C sind wir heilfroh mit einer Klimaanlage im Auto zu sitzen, auch wenn ihre Kapazität kaum ausreicht, um gegen die durch die großen Scheiben eintretende Hitze anzukommen. Insgesamt über sechs Stunden fahren wir durch das flache Land, halten nur zum Tanken und um ein paar Nüsse und Obst zu kaufen. Mit dem Auftauchen der ersten Erhebungen schieben sich von Westen Wolkenbänke heran. Es sieht stark nach Gewitter aus, wir bekommen aber nur noch die Ausläufer mit. Allerdings hat der Regen in den bergigen Regionen um Brasov zu Problemen mit überfluteten Straßen geführt. Wegen der Wassermaßen kommen wir in einen langen Stau. Polizei fährt mit Blaulicht und Sirene an uns vorbei und sorgt dafür, dass der Verkehr an den teilweise nur noch einspurigen Straßen abwechselnd bergauf und bergab weiterfährt. Das Wasser läuft nur langsam ab und genauso langsam löst sich der Stau auf. Das Thermometer ist innerhalb einer Stunde von 30°C auf 18°C gefallen. Als wir über die Berghöhe nach Brasov hinunterfahren ist es erneut sonnig und die Temperatur steigt wieder auf 35°C. Was für eine Wetterkapriole...

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In den Karpaten...

Brasov empfängt uns mit seinen Vorstädten voller Plattenbauten, bevor wir noch einmal über einen Hügel fahrend in den sehr schön erhaltenen alten Teil der Stadt einfahren. Der Großteil der Häuser ist renoviert und so ist die Altstadt ein Magnet für Touristen, aber auch für die Einwohner der Stadt. Der Piata Sfatilui bildet das Herz der Altstadt. Der herrliche Platz mit dem mittig liegenden alten Rathaus gehört zu den schönsten im ganzen Land und so ist er mit den vielen Restaurants auch voller Menschen, die ihre freie Zeit genießen. Wie überall in der Stadt gibt es auch hier ein tolles Angebot an Bänken, so dass nicht jeder zum Konsumieren gezwungen ist sondern auch einfach sitzend dem Geschehen folgen kann. Uns ist es fast ein bisschen zu rummelig und wir vermuten, dass der Platz zu schön für gutes Essen ist. Nach einem Bummel durch den überschaubaren Kern der innerhalb der Stadtmauern liegenden Altstadt lassen wir uns zu einem köstlichen Abendessen in einer der kleinen Seitengassen nieder. Auffallend ist, dass die Restaurants alle sehr gut besucht sind und es schon schwer wird einen Platz an einem der Außentische zu bekommen. Trotzdem scheinen es fast ausschließlich inländische Touristen zu sein. Gerade einmal ein knappes Dutzend ausländischer Kennzeichen habe ich bisher gesehen.

Der Morgen ist noch angenehm kühl und so nutzen wir die frühen Stunden, um nach dem Frühstück auf den Hausberg der Stadt zu steigen. Durch schönen Buchenwald gehen wir in immer engeren Serpentinen bis zur Bergstation der Seilbahn hinauf. Mit der zweiten Kabine des Tages erreichen wir den Grat. Unsere Hoffnungen auf eine schöne Aussichtsplattform und einen Milchkaffee mit Aussicht werden nicht erfüllt. Ein Kiosk mit kleinem Sortiment und ein noch nach den Zeiten des Sozialismus riechendes Lokal steht eine mit Maschendraht abgesperrte Plattform zur Seite. Ähnlich den Bootsausflügen im Delta wünschen wir uns einmal mehr ein wenig Geschäftstüchtigkeit. So gehen wir einige Meter südlich zu dem Hollywood-Schriftzug ähnlichen weißen Brasov-Buchstaben und genießen von hier den Blick über Altstadt, Plattenbauten und weites Umland. Ein noch schönerer Aussichtspunkt liegt einige Meter weiter. Kleine Holzplateaus bieten sich zum Verweilen an und bevor wir unsere Runde fortsetzen lassen wir die Blicke schweifen. Die Lage an verschiedenen Handelswegen hat einst den Deutschritterorden zur Anlage einer Festung am Fuß der Karpaten bewogen. Schön zieht sich die Bebauung aus der Ebene durch ein sich verengendes Tal nun schon langsam die Berge hinauf. Zwischen und hinter den Häusern beginnt der dichte Wald. In die andere Richtung schauend sehen wir dessen grüne Wände, die kurz unter den hier noch nicht so hohen Gipfeln enden. Bis auf den von Wanderern hinterlassenen Plastikmüll ist es eine wirkliche schöne Runde, die uns in weitem Bogen wieder zurück nach Brasov führt. Wie schon des Öfteren frage ich mich, wer so weit geht und dann seine leere Plastikflasche ins Gebüsch entsorgt? Ich stelle mir immer vor, dass eine solche Umgebung auch eine entsprechende Wirkung auf Menschen hat. Das scheint aber leider nicht bei allen so zu sein.

Am Nachmittag treten wir in die Gluthitze vor unserem Hotel und finden einen handgeschriebenen Zettel am Auto vor. Wir fragen die Rezeptionistin und sie übersetzt uns, dass jemand unser Auto angefahren hat. Wir entscheiden uns erst einmal den schönen alten Stadtteil jenseits der Stadtbefestigung anzusehen und uns danach darum zu kümmern. Bevor wir nach unserer Rückkehr weiter zum Abendessen ziehen, telefoniere ich zuerst mit einem unfreundlichen Mitarbeiter von Hertz, bevor ich die Frau an der Rezeption bitte, die Telefonnummer auf dem Zettel zur Klärung anzurufen. Die Mitteilung stammt nicht vom Verursacher des kleinen Vorfalls, sondern von einem Passanten, der den kleinen Unfall beobachtet hat. Der achtzigjährige Nachbar war es und ist, ob er den Vorfall bemerkt hat oder nicht, danach durch die gegenüberliegende Toreinfahrt entschwunden. Ich telefoniere noch einmal mit Herz und lasse mir mitteilen, welche Papiere ich für den Schaden benötige. Andrea, die sehr hilfsbereite Frau aus dem Hotel, verspricht uns, sich der Angelegenheit anzunehmen und rät von einem Anruf bei der Polizei ab. Anke und ich gehen zum Abendessen und sie überquert die Straße, um den Nachbarn zu kontaktieren. Leider erfahren wir von ihr, nachdem wir von unserem schönen Abend im Prato wieder am Hotel ankommen, dass der Nachbar weder auf Telefon noch auf Klingel reagiere. So sucht sie uns nun doch die Adresse der Polizei heraus und zeigt uns auf Google den etwas versteckten Eingang in einem runden Gebäude, etwas außerhalb der Stadt an den Ausfallstraßen. Es ist ihr sichtlich unangenehm, dass wir als Gäste durch einen Nachbarn unsere Urlaubszeit mit einem Ärgernis vergeuden müssen. Ich finde solche Vorkommnisse immer eher spannend, lassen sie einen doch das Land etwas besser kennenlernen.

Nach unserem Aufbruch am nächsten Morgen fahren wir zur zuständigen Polizei. Anke wartet im Schatten und ich gehe ins Gebäude. Schon drei andere Personen füllen Papiere aus und so bekomme auch ich ein Papier in Englisch und ein paar Erklärungen, was ich alles eintragen soll. Die Wache ist ein wenig in die Jahre gekommen und in einem Gebäude der Achtziger Jahre untergebracht. Ein paar der Deckenplatten sind wegen Wasserschaden entfernt oder halb abgerissen worden. Alles wirkt ein wenig lieblos und dreckig. Ich gehe zurück zu Anke vor den Imbiss nebenan und fülle alles so gut wie möglich aus. Eine Doppelseite, kopiert von der noch auf Schreibmaschine geschriebenen Urfassung des Formulars, bringt mich zum Lachen. Das Papier ist einer dieser immer misslingenden Versuche, einen komplexen Vorgang in ein vorgestanztes Muster zu biegen. Trotzdem gebe ich mir Mühe und zeige mein Ergebnis dem diensthabenden Beamten. Ein paar aus seiner Sicht nötige Kleinigkeiten ergänze ich. Dann werden mein Pass, Führerschein und der Fahrzeugversicherungsschein kopiert und als Krönung reicht der Polizist mir ein Mundstück, in Plastik eingeschweißt. Zwanzig Stunden nachdem ein alter Mann einen Kratzer in unser parkendes Auto gefahren hat, darf ich in ein Alkoholtestgerät blasen. Der Sinn lässt sich nicht erschließen, aber natürlich blase ich meine 0,0 Promille in das Gerät. Der Beamte schaut sich noch den Schaden am Auto an und geht dann mit mir wieder zurück in die Wache. Ich warte noch einige Minuten bis sich das Fenster zwischen ihm und mir ein drittes Mal öffnet und ich die für die Autovermietung wichtige Anzeige samt Schadensnummer erhalte. Alles in allem ein recht flüssiger Ablauf für einen bürokratischen Vorgang...

Statt wie geplant zu unserer zweitägigen geführten Wanderung durch die Wälder der Karpaten aufzubrechen, fahren wir nun in den herrlichen Königsstein Nationalpark nach Magura. Die Unwetter der vergangenen Tage haben die Straße zum vorgesehenen Treffpunkt unpassierbar gemacht und so wird unser geplanter Ausflug zur Bärenbeobachtung um ein paar Tage verschoben. Wir fahren noch auf einem Umweg zurück auf das platte Land, um uns eine der UNESCO geschützten Kirchenburgen anzuschauen. Sechs von den zahlreichen noch erhaltenen alten Wehrkirchen haben diese besondere Auszeichnung erhalten. Die von Prember ist die größte unter ihnen. Alle 242 Familien des Dorfes konnten im Falle eines Angriffs von Türken oder Tartaren in der burgartigen Anlage Schutz finden. Jede Familie besaß ihren eigenen Raum, den sie für den Notfall mit Vorräten bestücken konnte. In der Mitte thronte die Kirche, außen herum waren in drei Stockwerken die Familienräume eingebaut. Durch Schießschachten und Pechnasen wurde der Feind in Schach gehalten. Eingenommen wurde die Kirchenburg nie.

Erst auf den letzten acht Kilometern steigt die Straße aus der Ebene an und führt ungeteert in Serpentinen durch grünen Buchenwald bis auf tausend Meter nach Magura. Das Streudorf liegt umwerfend auf einem Höhenplateau, umgeben von den bis zu zweitausendvierhundert Meter hohen Gipfeln des Königsstein-Gebirges. Kurz nach unserer Ankunft beginnt der schon länger durch heftiges Grollen angekündigte Regen. Mengen von Wasser prasseln in den nächsten vier Stunden herab. Zwei Unwettermeldungen treffen auf Ankes Handy ein und wir beginnen uns Sorgen zu machen, ob die Piste, auf der wir auch wieder zurückfahren müssen, diesen Wassermassen standhält. Mit einem Intermezzo aus Hagel und einem weiteren Stakkato-Regen verlässt das Gewitter unser Tal und der blaue Himmel erobert sich seinen Platz langsam zurück. Wir spazieren entlang der zwei Dorfstraßen und sind begeistert über die wundervollen Ausblicke auf Gipfel und Täler. Die sanften Bergwiesen kontrastieren mit den sich im Hintergrund schroff erhebenden Bergspitzen. Magura ist ein lebendiges Dorf. An verschiedenen Stellen entstehen Neubauten, die meisten recht gut eingepasst. Wahrscheinlich werden es Ferienhäuser für reiche Bukarester oder Brasover. Besonders prächtig sind aber die mit schön geformten Holzschindeln verkleideten traditionellen Häuser in verschiedenen Farbtönen. Leider sind einige in einem unrettbar schlechten Zustand und so Verfall und Abriss preisgegeben.

Weil Anke noch schläft und das Frühstück erst spät serviert wird, unternehme ich einen kleinen Morgenspaziergang. Ich nutze das schräg einfallende Licht für ein paar romantisierende Aufnahmen des Dorflebens.... Ein weißer Transporter fährt langsam von Haus zu Haus und bringt Säcke mit jeweils zwanzig Weißbroten zu den Bewohnern. Ein noch etwas verschlafen wirkender Mann mit nacktem Oberkörper kommt aus dem Haus gelaufen und wedelt mit seinen Geldscheinen. Der Fahrer hält, um ihm seinen Sack aus dem Laderaum zu reichen. Wie an jedem Halt wird ein kurzer Plausch gehalten bevor beide ihres Weges ziehen. Eine Frau in Trachtenkleidung holt sich ihren Sack und schultert ihn auf dem Weg zurück ins Haus. Der Fahrer winkt mich heran und erklärt mir radebrechend, dass die Brote auch für die Tiere als Zufütterung dienen. So erklärt sich, was eine alte Frau mit zwanzig Broten anfangen kann.

Wir haben uns über eine Wander-App zu einer knapp zehn Kilometer Rundwanderung entschieden. Die Streckenführung ist am Anfang etwas verwirrend und Anke und ich werden uns erst nach einem kurzen Wortwechsel über den Weg einig. Es geht die ersten Kilometer ständig bergauf und unter der stechenden Sonne ist jeder Schritt ein Angang. Stark schwitzend pausiere ich immer wieder kurz in den spärlich vorhandenen Baumschatten. Bei der erstn längeren Pause bekommen wir Besuch von drei mit ihren Glocken um den Hals sich ankündigenden Kühen. Eine ist sehr neugierig und kommt mit ihrer von Fliegen umschwirrten Schnauze immer näher. Ich halte ihr zuerst noch den Fotoapparat entgegen, kapituliere aber letztendlich und stehe aus dem Gras auf um auf Augenhöhe zu ihr stehend mich für den weiteren Weg bereit zu machen. Mit den letzten Metern der Steigung öffnen sich immer weitere Panoramen des Nationalparks. Wir halten an einem Haus an und klopfen, um nach Wasser zu fragen. Unsere Flasche ist schon leer und die Sonne brennt fast senkrecht vom Himmel. Eine Frau lässt kleinen Sohn und Wäschekorb stehen, um uns zu helfen. Da dem Jungen jedoch die sich entfernende Mutter nicht geheuer ist, erklärt sie uns wo im Haus wir Wasser finden. So gehe ich durch eine Tür in die Küche des Hauses und fülle unsere Flasche. Nachdem wir uns bedankt haben, gehen wir weiter und halten bald an einem schattigen Platz für unser kleinenes Mittagspicknick an. Auf den letzten Kilometern geht es noch einmal durch eine schattige Senke. Hier, wie auch schon an anderen Stellen auf unserem Weg, hat es einen Erdrutsch gegeben. Wir sehen ein Auto, das von den Erd- und Wassermassen mitgerissen wurde und nun etwa zwanzig Meter unterhalb des Weges im wieder ruhig fließenden Bach liegt. Der schwarze Wagen ist an mehreren Stellen stark eingedrückt. Auf dem Weg zurück zur Pension hoffen wir, dass die Insassen mit dem Leben davon gekommen sind.

In unseren Liegestühlen ruhend schauen wir entlang eines Tales Richtung Höhenzug. Unser Gastgeber sichelt, für uns nicht sichtbar, de tiefer liegende Wiese. Seine Tracht tragende Mutter kommt stark gebeugt und auf einen Stab gestützt die schwere Steigung hinauf. Die gichtigen Finger um ihren Stock greifend, ist ihr der Schmerz anzusehen. Als ich sie um ein Foto bitte, erscheint ein liebes Lächeln in ihrem furchenreichen Gesicht. Sie lässt sich gerne von mir porträtieren und erzählt dabei, für uns durch Gestik und Mimik verständlich, von ihren Schmerzen. Ein kleines Gespräch und ein Moment, in dem Worte nicht verstanden werden müssen. Welche Kraft und welcher Wille bei ihr sichtbar wird, das alltägliche noch leisten zu wollen und dem Siechtum so lange wie möglich die Stirn zu bieten!

Über den Bergen braut sich das nächste Gewitter zusammen und während wir noch unsere Getränke nach der Ankunft im Garten sitzend genießen, fallen auch schon die ersten Tropfen. Wir gehen nach oben und schauen dem Gewitter ganz gemütlich auf unserem Bett liegend zu. Das Zimmer verlassen wir nur noch, um in der Gaststube unser leckeres Abendessen zu genießen. Hier gibt es keine Karte, es wird einfach ein klassisches Hausmannskost-Menü serviert. Viel Fleisch, viel Kartoffel oder Polenta und kein Gemüse. Zum Nachtisch leckerer Kuchen. Und ganz wichtig: bevor der erste Gang serviert wird, steht der selbstgebrannte Obstschnaps samt Pinnchen auf dem Tisch.

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Zu Besuch bei Freunden...

Entgegen unseren Befürchtungen ist die Piste aus den Bergen hinab ins Tal in einem guten Zustand. Wir nehmen noch ein junges Paar mit, das zum Bus im nächsten Ort möchte. Sie leben in Brüssel und waren in den Bergen klettern. Die Frau ist Rumänin und sie besuchen ihre Verwandtschaft. Die beiden erzählen, dass sie erstmals ohne ihr Kind ein paar Tage unterwegs sind und so genießen wir zu viert diesen kinderfreien Augenblick zusammen. Anke und ich fahren heute Gabriela und Stefan mit ihren drei Kindern Lea, Philipp und der sechsjährigen Maya besuchen. Gabriela ist eine Lehrerkollegin von Anke und so haben die beiden unser Treffen in der Schule zwischen Tür und Angel arrangiert. Trotzdem sie sich kaum kennen freuen sich alle auf das kleine Urlaubsabenteuer. Die Familie hat vor einigen Jahren ein Haus nahe Medias gebaut, Gabrielas Geburtsort. Jedes Jahr verbringen sie hier einige Wochen und genießen das Wiedersehen mit der Familie. Die beiden älteren Kinder sind nur selten im Haus. Die meiste Zeit verbringen sie mit ihren Cousins und Cousinen in den Häusern der Verwandtschaft und den Kneipen von Medias. Maya, das Nesthäkchen, ist dafür umso präsenter. Ihre beste Freundin, das Nachbarmädchen, ist für ein paar Tage nicht da und so wird Anke mit ihrer Liebe zu kleinen Kindern direkt in Beschlag genommen. Wir erfreuen uns an dem großen Pool und genießen mit viel Wein und gutem Essen das Leben in der Familie. Zur Meeresfrüchtepasta, die Stefan als Sohn eines Koches köstlich zubereitet, kommen auch der verschlafene Philip um fünf Uhr aus dem Bett und seine ältere Schwester Lea mit einem Cousin aus der Stadt dazu. Während wir essen, schneien noch Gabrielas Schwester und ihr Mann herein. Sie setzen sich mit einer Cola und einem Wasser nach draußen an den Pool. Der Schwager fastet gerade aus religiösen Gründen und so bleiben wir zu acht am geselligen Tisch. Nachdem sich die Kinder wieder verstreut haben und wir Erwachsenen am Pool sitzen, wird erst etwas stockend erzählt. Dann lockert sich aber die Atmosphäre und es unterhält sich jeder mit jedem. Stefan ist gerade in einer Umbruchsphase. Er berichtet, dass sein erstes Drehbuch von der Ufa geblockt wurde und er jetzt hofft, einer der Brancheriesen werde es in einer Produktion umsetzen. Gabriela erwartet ihr erstes Schuljahr an einer neuen Schule. Die Schwester leidet an einer Autoimmunkrankheit und ist sichtlich angeschlagen. Nach einer Stunde brechen sie und ihr Mann auf. Gerne wären sie noch etwas länger geblieben, eigentlich wollten wir zusammen ein bisschen feiern, aber der Schmerz ist zu groß und sie möchte lieber zu Hause ausruhen. So bleiben wir vier übrig und betrinken uns langsam mit den von Stefan immer wieder herbeigezauberten Weinflaschen. Mir wird schon etwas schummerig und auch Anke und Gabriela wirken angeschickert, Stefan ist sogar sichtlich hinüber, hält aber leicht lallend noch den Gesprächsfaden. Irgendwann legt er sich flach auf die Couch und schläft friedlich ein, während wir anderen uns weiter unterhalten. Gabriela hat es schon aufgegeben ihn abends ins Schlafzimmer verfrachten zu wollen. Fast täglich schläft er, seinen Urlaub genießend, hier draußen ein und kommt im Morgengrauen ins Bett gekrochen. Während erste Tropfen fallen, räumen wir noch die Polster und leeren Flaschen ins Haus und schwanken in unser Zimmer. Ein herrlicher Urlaubsabend mit überraschend offenen Gesprächen über familiäre Sorgen und Nöte.

Verblüffend frisch sitzen wir am nächsten Morgen beim leckeren Frühstück und quatschen uns in den Tag hinein. Stefan holt Maya von Verwandten ab und nach zwei Runden Rummy-Cup mit Anke, Maya und mir brechen wir zu einem Rundgang in die Innenstadt von Medias auf. Gabriela zeigt uns ihre alte Schule. Trotzdem sie Halbungarin ist und keine deutschen Wurzeln hat, ist sie auf die deutsche Schule gegangen. Das war nicht unüblich, da diese im Gegensatz zu den staatlichen Schulen einen guten Ruf genoss. Es ist eine Schule wie aus längst vergangenen Zeiten. Ein bisschen Miniatur Schloss mit schiefem Turm und altem Gemäuer. Auch Gabrielas Nichten und Neffen besuchen heute diese Schule und lernen hier Deutsch. Auf einer Runde um den parkähnlichen zentralen Platz der Stadt kaufe ich an einem Fenster eine hier immer frisch hergestellte Süßspeise für Maya. Es ist eine Art Teigtasche, die es mit verschiedenen Füllungen gibt. Maya entscheidet sich für Erdbeermarmeladenfüllung und sieht damit recht zufrieden aus. Anschließend essen wir alle in einem der Gasthäuser des Platzes. Es ist das, in dem Stefan und Gabriela vor einigen Jahren ihre kirchliche Trauung gefeiert haben. Hierfür musste Stefan aber zuerst getauft werden und den christlich-orthodoxen Glauben annehmen. Wir fahren noch einmal alle zusammen zum Haus und schauen uns ein Fotoalbum von Taufe und Trauung an, bevor wir uns verabschieden und weiter nach Sibiu reisen.

Die Innenstadt von Sibiu mit der Unter- und der wunderschönen Oberstadt ist die schönste von uns besuchte in Rumänien. Die herrschaftlichen Häuser, die herrlichen, zusammenhängenden drei Plätze, die schönen Geschäfte in der breiten Einkaufsstraße und die Weitläufigkeit der gesamten Oberstadt sind grandios. Solch ein Ensemble, zudem in einem so wunderbar renovierten Zustand, wünscht sich manche Großstadt! Auch die an verschiedenen Stellen die Stadtmauer unterbrechenden in die Unterstadt führenden Treppen und die Auffahrten für ehemals Kutschen, nun Autos, tragen zu einem wirklich äußerst stimmigen Bild eines historischen Ensembles bei. Wir freuen uns an unserem Abend und flanieren entspannt entlang der Häuser. Jede Ecke bietet ein neues schönes Panorama. Erst noch einem Freiluftkonzert lauschend, suchen wir uns danach ein Restaurant für unser Abendessen. Unsere Entscheidung etwas abseits der Plätze zu dinieren, wird mit einer modernen Variante der traditionellen Siebenbürgischen Küche belohnt. Etwas anders gewürzt, ein paar Zutaten ausgetauscht oder eine neue hinzugefügt... es ist spannend und köstlich was wir serviert bekommen. Auf dem Rückweg zum Hotel möchte ich einer Bettlerin, die halb schlafend auf den Stufen der Treppe an unserem Hotel sitzt, etwas Geld hinlegen. Sie wacht auf und strahlt mich mit einem für ihr Alter jugendlich-frischem Lächeln an. Jetzt erst sehe ich die vor ihr liegenden Teller. Sie fragt mich, welche ich haben möchte, und ich entscheide mich für zwei mit einer farbigen Blume. Sogar eingepackt bekomme ich die und so bin ich etwas beschämt über meine für einen Kauf doch etwas geringe Summe. Anke und ich spazieren noch eine Runde durch die Unterstadt und als wir wieder an unserer Unterkunft eintreffen gebe ich der alten Frau noch einen Extraschein.

Heute geht es für uns noch einmal für zwei Tage tief in die Karpaten. Wir haben die vorher ausgefallene Tour zu einer Berghütte im größten zusammenhängenden Waldgebiet Europas auf dem Programm. Andrei, unser Führer, wartet schon auf uns, als wir um drei Uhr um eine Stunde verspätet am Treffpunkt eintreffen. Die chronisch verstopften Straßen Rumäniens, ein Zeichen für die Korruption und wie die einer Bevölkerung schaden kann, sind schuld.  Selbst zwischen den großen Städten gibt es über dreißig Jahre nach der Revolution und der Einführung der Demokratie noch keine Autobahnen und teilweise nur einspurige Straßen in jede Richtung. Ein echter Wermutstropfen auf einer Rumänienreise mit dem Mietwagen und natürlich noch ein viel größeres Problem für die eigene Bevölkerung. Viele Staus, Unfälle und Todesfälle sind die Folge der ausbleibenden Verbesserungen im Verkehrssektor.

Nach einer zweistündigen Fahrt mit dem Geländewagen über immer schlechter werdende Waldpiste und vorbei an einem großen Stausee, erreichen wir den Punkt an dem es nur noch zu Fuß weitergeht. Wir schultern unsere kleinen, gut gefüllten Rucksäcke und steigen noch zwanzig Minuten recht steil bergan die Böschung hinauf. Unmengen von kleinen Waldfröschen hüpfen und krabbeln um unsere Füße. Mengen von Schmetterlingen tanzen entlang der Blüten. Kurz bevor wir die Lichtung mit unserer Hütte erreichen, werden wir ganz still. Hier könnten um diese Uhrzeit schon Tiere zum Fressen eingetroffen sein. Leider sind noch keine zu sehen und so ziehen wir erst einmal in die schön gemachte Holzhütte ein. Zur kleinen Lichtung hin sind große Scheiben eingebaut und wir sitzen gespannt auf unseren Stühlen und warten im Dämmerlicht. Anke liest ein wenig, während Andrei und ich uns leise unterhalten. Plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, erscheint ein Braunbär am Rande der Wiese, verschwindet aber direkt wieder im Dickicht. Anke glaubt zuerst, wir wollten uns einen Spaß machen, sieht aber dann ein, dass sie den ersten Bärenauftritt verpasst hat. Die Enttäuschung hält aber nicht lange an, denn ein paar Minuten später taucht der gleiche Bär an anderer Stelle wieder aus dem Unterholz auf. Wir sind völlig konzentriert und schauen uns jede Tatzen Bewegung genau an. Bären fressen überwiegend Pflanzen. Aber auch Maden, Ameisen oder Honig stehen auf dem Speiseplan. Unser Bär frisst Wiesenkräuter und bohrt mit seiner Schnauze im Erdreich herum. Nach einiger Zeit taucht ein zweiter Braunbär auf, zieht sich aber erst einmal zurück als er den Kontrahenten sieht. Schreckhaft sind die Bären und bevor der zweite, längere Auftritt folgt, wird erst einmal mit jedem Zentimeter Weg das Umfeld sondiert. Die Lichtung reicht für beide und auch weil sie immer so stehen, dass sie sich nicht ansehen, gibt es keine Aggressionen. Wir genießen bis zum letzten Funken Tageslicht unsere private Theatervorstellung. Auf der Hütte gibt es keinen Strom und somit auch kein WLAN oder Lampe. Nur Kerzen würden die immer stärkere Dunkelheit erhellen können. Aber wir ziehen es vor früh ins Bett zu gehen, damit wir in der Morgendämmerung wieder unsere Plätze einnehmen können.

Gegen fünf in der Früh stehe ich am Fenster. Erst ist einer der beiden Bären da, kurze Zeit später auch der zweite. Dazu gesellt sich noch ein Fuchs, wesentlich quirliger und scheuer noch, als es die Bären sind. Immer wieder schaut er auf und senkt dann seine Nase wieder auf Beutesuche. Ein Baumstumpf zieht ihn immer wieder an. Scheinbar gibt es irgendwelche proteinreichen Kleinlebewesen im Totholz zu holen. Mehr als zwei Stunden bleibt das Trio auf der Lichtung bevor sie weiter in ihre Ruhequartiere ziehen.

Wir frühstücken und dann brechen wir zu einer Wanderung durch das umliegende Gebiet auf. Wir bringen eine Infrarotkamera zur Wildbeobachtung an einem viel genutzten Wildwechsel an. Andrei ist ein freier Mitarbeiter eines prosperierenden Projekts mit dem Ziel, den Königstein Nationalpark um wesentliche Gebiete der Fagaras-Karpaten zu erweitern und so den größten europäischen Nationalpark zu Lande zu schaffen. In diesem Gebiet lebt die höchste Dichte an Bären, Wölfen und Luchsen auf dem ganzen Kontinent. Eine teilweise atemberaubend schöne Bergwelt mit riesigen zusammenhängenden Wäldern, oftmals Primärwald. Zwanzigtausend Hektar Land wurden in den letzten zehn Jahren angekauft, zweihunderttausend sind das langfristige Ziel. Die großen Gegner sind Korruption und Holzwirtschaft. Die teils illegalen Holzeinschläge, oftmals Kahlschlag ohne Chance auf schnelle Schließung der entstehenden Lücken hinterlassen schwere Schäden. Wie bei allen großen Naturschutzprojekten muss der Bevölkerung dieser Gegend, den Ortschaften in den Tälern, eine Perspektive für eine Zukunft mit der bestehenden Flora und Fauna aufgezeigt werden. Die langfristige Planung gegen den kurzfristigen Gewinn von einzelnen gesetzt werden. Die Fundatia Conservation Carpathia hat neben den Arbeitsplätzen in ihren sechs Baumschulen für Setzlinge auch einige für Ranger und Guides geschaffen. Es wird vertretbarer, schonender Holzeinschlag erlaubt und ökologische Produkte aus heimischer Produktion werden überregional vertrieben. In Schulungen wird das Ökosystem der nächsten Generation nahegebracht. Wisent und Biber wurden wieder angesiedelt, damit Lücken im Ökosystem geschlossen werden. Ein im Land arbeitendes österreichisches Biologen-Ehepaar gründete die Stiftung und führt sie zusammen mit einem international besetzten Stiftungsrat. Namhafte Organisationen im Ausland unterstützen ihre Arbeit.

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Auf Bärensafari...

Es geht lange und steil bergauf bevor wir an einer weiteren Berghütte eine Pause einlegen. Kurz vor dem Gipfel entdecke ich nur einen halben Meter neben mir eine schwarze Viper, die giftigste Schlange des Landes. Sie ist schon in Angriffsposition, ob wegen mir oder etwas anderem ist nicht ganz klar. Wir stehen ganz still, beobachten das Tier wie es langsam in einen flachen Wacholderbusch entschwindet. Schlangen faszinieren mich immer wieder. Ihre Art der Bewegung, die Aura voll Magie und Kälte.
Mit den letzten Höhenmetern hinauf zum Gipfel auf fast neunzehnhundert Metern öffnet sich die Landschaft und wir schauen über die Berge hinweg in die weite Ebene. In der anderen Richtung sehen wir das Königsteinmassiv mit seinen Zweitausendern. Wir setzen uns in eine windstille Mulde und verbringen eine zweite Pause vor dem prächtigen Panorama. Querfeldein entlang des abfallenden Bergkamms beginnen wir unseren Rückweg. Leider entdecken wir keines der hier zur Wiederansiedlung lebenden Wisente. Insgesamt sollen fünfundsiebzig Exemplare aus verschiedenen europäischen Ländern hier über längere Zeit wieder eine stabile Population des bis vor kurzem ausgerotteten Tieres hervorbringen. Nach fast fünfzehn Kilometern und tausend Höhenmetern kommen wir recht erschöpft wieder zu unserer Hütte. Nach Dusche und leckerem Abendessen schauen wir noch einmal einem Bären beim Grasen zu bis wir dann sehr zufrieden in unseren gemütlichen Betten einschlafen.

Bevor wir in großem Bogen durch einen Primärbuchenwald zurück zu unserem Geländewagen gehen, frühstücken wir noch gemütlich zusammen. Anke entdeckt einen großen Vogel auf einem toten Ast. Es ist ein Schwarzspecht, der größten der Specht-Familie zugehörig. Mit seinem roten Kamm und dem ansonsten pechschwarzen Körper ist er ein beeindruckender Anblick. Am Vortag habe ich mich noch über die riesigen Löcher gewundert, die der Schwarzspecht in totes Gehölz hakt, um im weichen inneren nach Maden zu suchen. Nun kann ich mir das sehr viel leichter erklären. Gegenüber den mir aus unserem Garten bekannten Arten Grün-, Bunt- und Kleinspecht ist dieser ein ganz anderes Kaliber!

Unser Führer fährt uns über die holperige Strecke zurück in das lebendige Städtchen Rucar. Wir packen das Gepäck in unseren Mietwagen, verabschieden uns herzlich von Andrei und reisen unserem letzten Ziel entgegen. Erneut fahren wir durch das Königswinter Rumäniens, Bran. Touristenmaßen schieben sich durch die Straßen, Fast Food Läden werben genauso mit Dracula-Motiven wie die Impfkampagnen Plakate am Straßenrand. Und über allem thront das uralte, für all diese Vermarktungskirmes herhaltende Schloss Bran. Obwohl das Vorbild für Bram Stokers Dracula, Vlad der Pfähler, nie hier gewohnt hat, passt das Schloss einfach zu gut zur Mythisierung dieses Teils der rumänischen Geschichte. Auf einem pittoresken Felsen errichtet, beherrscht es - wie von Walt Disney gezeichnet - über den Ort hinaus die umliegende Landschaft. Ein Vorzeigegruselschloss, das in Kombination mit der Romanfigur täglich Tausende in den kleinen Ort pilgern lässt. Nach unseren ruhigen Tagen in der Natur ist dies der Gegenpol in den Karpaten. Wir sind froh, heute ohne Stau dem Ort des Schreckens zu entkommen....

Der Verkehrsinfarkt erreicht uns dann aber doch wieder in den Bergen vor Sinaia. Genau wie auf dem Hinweg nach Brasov schieben wir uns, diesmal ohne Unwetter, schrittweise durch das Gebirge. Außer einer langsam schaltenden Ampel im Wintersportort Busteni gibt es diesmal keinen ersichtlichen Grund, wenn man von dem der Straße völlig unangemessenen Verkehrsaufkommen absieht. Nach anderthalb Stunden haben wir den Stau hinter uns und rollen wenig später in Sinaia ein. Wir sind von der Fahrt gerädert und unternehmen zur Entspannung nach dem Abendessen noch einen längeren Spaziergang durch den leider recht vernachlässigten Park von Schloss Peles zum nahe liegenden rumänisch-orthodoxen Kloster. Der nach dem Berg Sinai benannte Komplex ist der Ursprung der Stadt. Heute leben noch zwanzig Mönche in der ansehnlichen Anlage. Mit ein wenig mehr Pflege wären Schloss, Park, Kloster und umliegende Gebäude ein schönes Touristenziel.

In der Nacht wache ich mit Unwohlgefühl in der Magengegend auf. Leider zwingt mich ein Magen-Darm-Virus mehrmals auf die Toilette und so schaffe ich es kaum, mich anzuziehen und ins Auto zu stolpern. Anke übernimmt auf dieser letzten Etappe das Steuer und ich konzentriere mich auf meinen Körper. Wir brechen sehr zeitig auf, um früh genug am Flughafen zu sein. Beim Vermieter ist noch niemand vor Ort und so stellen wir unser Auto mit dem kleinen Schaden einfach vor das Büro. Mit einer Stunde Verspätung hebt der Flieger ab und ich bin dankbar den Flug ruhig hinter mich zu bringen. So enden unsere beiden Wochen in einem landschaftlich und kulturell spannenden Land etwas unrühmlich.

Viel unberührte Natur, noch mehr intensive Landwirtschaft. Hinreißend schöne Innenstädte in Siebenbürgen, umgeben von teilweise ausufernden Hochhaussiedlungen. Eine raue Schönheit als Hauptstadt mit Verkehrschaos vom Pferde- bis zum Sportwagen. Schwarzes Meer, Karpaten, Donaudelta und Donaubruch, vier Naturlandschaften, alle eine Reise wert. Durch die immer wieder verschobenen Grenzen und die verschiedenen Völker mit ihren Traditionen zusammenlebend in einem Land ist Rumänien auch für kulturell Interessierte ein großartiges Reiseziel. Wir sind glücklich, es noch nicht überlaufen vorgefunden zu haben.

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Rumänien