Jordanien

Lost in Jordan

Jordanien

Ruhe in Petra...

Der Anflug auf Aqaba lässt mir das Wort karg durch den Kopf schweben. Weite flache Wüstengebiete, ein paar Nord-Süd Straßenverbindungen, irgendwelche kleinen Industrieanlagen und wenig sonst.
Nach Coronatest, Visum- und Passkontrolle stehe ich im warmen Februarlicht und suche meinen Autovermieter. Auf der Motorhaube füllen wir die Formulare aus und dann geht es los. Da der Tank nur viertelvoll ist, und ich keinen Dinar besitze, geht es erst einmal in die Stadt. Es ist Freitag, alle Banken haben geschlossen und ich bin froh als der Tankwart Euros akzeptiert. Für die Kreditkarte bräuchte ich meine PIN-Nummer, die liegt aber irgendwo zuhause. Der Wechselkurs ist fair und so lasse ich die auf mich etwas trostlos wirkende Stadt mit ihren Betonzweckbauten zufrieden hinter mir und lenke den Opel Astra Automatik, schwarz gerollt und schon etwas in die Jahre gekommen, gen Norden. Die Wüste liegt flach und langweilig vor mir. Das ändert sich erst als ich nach hundert Kilometern ostwärts in das Gebirge abbiege. Hier wird es mit jedem Kilometer, den ich mich weiter den Berg hochschraube, spektakulärer. Zerklüftete Berge und die weite Ebene, ergänzt durch die sich langsam dem Horizont zuneigende Sonne, verschmilzen zu einem stimmungsvollen Landschaftsgemälde.
Alle paar Kilometer eine Beduinenfamilie mit Ziegen, ein paar Kamelen und dem unvermeidlichen Toyota oder Nissan Pickup. Hin und wieder kreuzen Esel die Straße. Ein jüngerer Beduine gibt mir Handzeichen. Ich brauche ein bisschen bis mir klar wird, dass er gerne mitgenommen werden möchte. Wir können uns leider nur rudimentär verständigen, aber sein leichter Pferdegeruch ist mir genauso sympathisch wie sein Lächeln. Im Gegensatz zu mir besitzt er eine funktionierende Karte im Handy und kann mir in dieser schilderarmen Gegend den Weg nach Petra zeigen. In einem der hin und wieder aus den graubraunen Felsen auftauchenden Dörfer lasse ich ihn aussteigen, nicht ohne ein Foto von meinem ersten Reiseführer zu knipsen.

Ich kurbele mich die nächsten hundert Haarnadelkurven herauf und komme mit anbrechender Dämmerung in Wadi Musa, der Petras Touristen beherbergenden Stadt an. Die zuhause ausgedruckten Kartenausschnitte nützen wenig und so kurve ich erfolglos suchend bis in die Dunkelheit hinein die Straßen entlang. Letztendlich bitte ich einen Taxifahrer vorauszufahren und, nachdem der sich den Weg freitelefoniert hat, geht es auf eine weitere Odyssee durch die Stadt. Ich merke schon recht bald, dass ich hier ein bisschen Lehrgeld zahlen werde, aber das ist mir jetzt auch egal. Als wir nach einem Riesenbogen ankommen bin ich etwa zwei Kilometer von unserem Startpunkt entfernt. Mein Gasthaus mitten im Wohngebiet und vollkommen ohne Beschilderung hätte ich noch Stunden erfolglos suchen können. Ich zahle den überzogenen Touri-Preis, froh meine Muschel für heute und die nächsten Tage erreicht zu haben.
Leider gibt es keinerlei Heizung im Haus und das Thermometer fällt dramatisch. Ich frage nach dem nächsten Restaurant und schaue mir den Weg auf Google an. Der anschließende Versuch zu Fuß scheitert, weil das Restaurant nicht geöffnet hat. Ich laufe zurück und steige nochmals ins Auto. Kurz vor dem Haupteingang von Petra komme ich in eine Polizeikontrolle. Als der Beamte den Touristen erkennt darf ich weiterfahren. Devisen sind knapp dieser Tage, da ist gute Stimmung wichtig. Außerdem bin ich hier der Gast.

Der nächste Morgen bringt gewechseltes Geld und eine jordanische Telefonkarte. Erst später werde ich merken, dass der Kartenschlitten meines Handys von dem freundlichen Mitarbeiter zerbrochen wurde...aber jetzt kann ich wenigstens auch durch das Land navigieren. Ich habe keine Lust noch einmal nach einem Übernachtungsplatz suchen zu müssen. Ohne die wenigen Straßenschilder lesen zu können und ohne Straßennamen überhaupt, ist es für Fremde sinnlos, kleine anonyme Privatunterkünfte finden zu wollen...


Leider ist zu der Kälte nun auch Bewölkung und Nieselregen bei acht Grad Celsius hinzugekommen. Ich werde mir trotzdem die alte Nabatäer Stadt Petra anschauen. Aufgrund von Corona, Wetter und Jahreszeit sind nur sehr wenige Touristen unterwegs. Die Anzahl der Hassler übersteigt ihre Zahl fasst. Nachdem ich den Eintrittsbereich hinter mir habe und bevor ich zur Hauptattraktion Khazne Faraun, Schatzhaus, komme, geht es durch den schmalen, langen Siq. Links und rechts ragen die Sandsteinwände steil auf und hier fühle ich zum ersten Mal den Zauber Petras. Leider finde ich auf dem großen Platz vor dem Schatzhaus kaum Zeit zur ruhigen Betrachtung. Kameltreiber, Pfadweiser und andere Wegelagerer wollen ihr Geschäft mit mir machen. Durch die wenigen Touristen in den letzten beiden Jahren ist die Not groß und die Familie will ernährt werden. Ich habe Verständnis, schön ist das für mich aber nicht. Zum Glück wird es nach diesem Höhepunkt merklich ruhiger und ich wandere weiter die Straße der Fassaden entlang Richtung Amphitheater.

Kurz vorher biege ich aber links auf die steilen Treppen Richtung Farasa-Schlucht. Hier ist es heute gänzlich menschenleer und mit jeder Stufe fasziniert mich die Aussicht mehr. Vorbei an den beiden Obelisken zum großen Opferplatz ist es nicht mehr weit. Bedrohlich sind die Wolken hinter den kugeligen Bergen, immer dunkler sich auftürmend und nun auch noch dramatisch von der schwachen Wintersonne angeleuchtet. Ich gehe noch ein kleines Stück weiter, folge dann dem Zuruf eines beduinischen Ladenbesitzers zum Tee. Gerade noch rechtzeitig mit den ersten schweren Regentropfen betrete ich das aus Teppichen und Blech zusammengezimmerte Zelt. Muhammad, einer seiner sieben Brüder sowie der Cousin Farhad warten, heute recht erfolglos, auf Kunden. Der Ausblick ist trotz Regen grandios. Ich lasse mich am Feuer nieder und bekomme einen heißen, stark gezuckerten Tee gereicht. Während der Niederschlag immer stärker auf Plane und Teppiche klopft, sitzen wir vier zusammen, kommen uns im Gespräch langsam näher. Ab dem zweiten Tee regnet es an ersten Stellen durch das Dach. Kurze Zeit später sind es ein Dutzend tropfende Lecks. Wir unterhalten uns glänzend in mehr oder weniger gutem Englisch. Nach dem dritten Tee bauen die drei das Feuer auf die noch trockenere Seite um. Äste des Wacholderstrauchs werden verbrannt, es riecht aromatisch. Der ganze Platz ist mit Teppichen ausgelegt. Damit das Feuer keinen Schaden anrichtet, brennt es in einer erhöhten Pfanne mit einem untergelegten Blech. Feuerholz ist in dieser kargen Landschaft kostbar, dafür brennt der Wacholder zum Glück äußerst langsam. Immer wieder schichtet einer der Männer das Holz ein bisschen um. Mit einem einfachen Blasebalg wird die Flamme angefacht. Das Regenwasser fängt Farhad in einer Plastikschüssel auf. So ist auch das Abwaschwasser für die Teegläser gesichert.  Mohammed singt zwischendurch jordanische  Volkslieder und falsch verstandene Zeilen westlicher Popmusik. Dabei tanzt er durch den Regen und schreit gegen den Wind an. Das ganze Geschehen strahlt eine surreale Verrücktheit aus. Nach zwei Stunden taucht aus dem Nichts ein schwules österreichisches Paar mit Regenschirmen auf. Die beiden bleiben auf einen Tee, setzen dann ihren Weg fort. Farhad versucht noch ihnen den Weg zu erklären, aber sie hören offensichtlich nicht richtig zu. Muhammad erzählt unterdessen, wie er seiner Frau nur wegen einer Wette mit dem Bruder den Hof gemacht hat und jetzt unglücklich verheiratet ist. Eine Trennung würde fünftausend Dinare kosten, eine für ihn utopische Summe. Tradition ist in diesen engen ländlichen Geflechten noch oft wichtiger als die individuelle Suche nach Glück. Er beneidet die beiden anderen um ihre Freiheit, rät ihnen aus seinem Fehler zu lernen und erst einmal Junggesellen zu bleiben.

Farhad sieht die beiden Österreicher in der Ferne umhergeistern und möchte los, um sie auf den richtigen Weg zu führen. Ich sitze nun schon vier Stunden hier und beschließe auch aufzubrechen. Zusammen mit Muhammad ziehen wir los. Sie schenken mir noch Armbänder für meine Kinder, mir wird ein Tuch um den Hals gelegt. Ich gebe den dreien etwas Geld. Davon gibt es hier offensichtlich nicht genug, etwas anderes zum Wiederschenken habe ich auch nicht. Die letzten beiden Jahre waren hart. Die ausbleibenden Touristen haben dafür gesorgt, dass jegliche Reserven aufgebraucht wurden. Muhammads Bruder mußte sogar seine geliebten vier Pferde verkaufen, um den Kopf über Wasser halten zu können.
Die Österreicher trauen Muhammad und Farhad nicht richtig und so suchen sie ihren eigenen Weg, während wir mit Teepausen bei Tante und Freund querfeldein durch die Berge laufen. Meine Führer begleiten mich noch zu dem Aussichtspunkt, an dem ich das Schatzhaus am besten von oben sehen kann. Einer der Instagram-Punkte Petras, wenn auch bei heutigem Licht eher für Schwarzweißfotografie. Der Weg dorthin führt nun durch zahlreiche Bäche. Wir passieren einige der wieder aufgebauten kleinen Staubecken. Mit denen hatten schon die Nabatäer das kostbare Nass aufgefangen, um das Überfluten des Siq zu verhindern und gleichzeitig den seltenen Regen später noch für ihren Feldbau nutzen zu können. Die steilen Abstiege sowohl durch als auch entlang der Bäche sind abenteuerlich und nicht ganz ungefährlich. Zum Glück ist die Oberfläche des Sandsteins rau, sodass meine Wanderschuhe guten Halt finden. Nach dem Tee bei der Tante werde ich ihr übergeben. Das letzte Stück meines Weges lege ich mit Tante, ihrer Freundin und einem Bekannten der Familie zurück. Bei jeder Schwemmfläche suchen die drei nach alten Münzen, die von den seltenen Regenfällen freigespült werden. Sie sind durch Verkauf an die Touristen ein willkommener Zuverdienst. Und tatsächlich findet die Tante ein kleines, stark angegriffenes Geldstück. Trotzdem ich meinen Pilzsucher-Blick einschalte, bleibe mein Suchen erfolglos.

Es ist schön, mit ihnen diese Stunde zu gehen, weil ich sonst kaum einmal die Möglichkeit hätte einem ungezwungenen Gespräch zwischen Einheimischen so ruhig zu lauschen. Nicht das ich auch nur den Sinn erraten würde, aber allein der Melodie der Sprache einmal so schön folgen zu können und dabei Mimik und Gestik zu beobachten ist ein Geschenk. In der Nähe der Straße trennen sich nach einer herzlichen Verabschiedung unsere Wege. Meine Kleidung ist ebenso wie meine Schuhe inzwischen völlig durchnässt, so dass ich bei der Fahrt zu einem Restaurant erst einmal die Heizung aufdrehe, damit ich mich ein wenig entfriere. Letztendlich wird mir aber erst nach einer heißen Dusche und dem unter die Decken kuscheln langsam wieder warm.

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Amman im Blick...

Ich lasse es am nächsten Morgen ruhig angehen, warte bis die Sonne durch die Wolken bricht. Ein gemütliches Frühstück später ziehe ich mich warm an. Wolken und Sonne wechseln den ganzen Tag und sobald ich in schattige Zonen komme, wird es kühl. Nach den mir schon bekannten Sehenswürdigkeiten Petras gehe ich am alten Amphitheater und den großen Königsgräbern vorbei. Auch beim fünfzigsten Angebot möchte ich weder Kamel noch Esel, um mich vorwärtszubringen. Mein heutiges Hauptziel ist Ad-Deir, das größte aus dem Felsen gehauene Gebäude Petras. Mit seiner Breite von fast fünfzig Metern und fast identischer Höhe ist es wirklich beeindruckend. Auf dem Weg dahin gilt es aber erst einmal nach der kleinen Wanderung durch das Tal an die achthundert Treppenstufen und so auch einige Höhenmeter zu ersteigen. Links und rechts am Weg sind immer wieder Verkaufsstände. Das Angebot ist überall ähnlich und auch die Versuche ein Verkaufsgespräch anzuleiern zeugen von geringen Englischkenntnissen oder wenig Fantasie. Nachdem ich zuerst noch höflich antworte, hebe ich nach einiger Zeit nur noch ablehnend eine Hand. Petra ist so etwas wie die jordanische Ausgabe der heimatlichen Drosselgasse, wenn es um die Menge an Souvenirständen geht. Mächtig angestrengt komme ich schließlich auf dem Plateau an. Bei Nüssen und frischgepresstem Orangensaft genieße ich erst einmal vom gegenüberliegenden Café das „Kloster“ Ad-Deir. Entstanden kurz vor Christus, ist es weniger ausgeschmückt als das Schatzhaus, überzeugt aber durch Größe und die fantastische Lage. Außerdem sind nur fünf weitere Touristen anwesend und keinerlei Gehassel hier oben. Zu meinem Glück scheint nun auch wieder die Sonne und strahlt das Gebäude herrlich an. Eine halbe Stunde wohlfühlen und dann wandere ich das restliche Plateau ab. Es gibt mehrere Stellen mit unfassbar schönen Blicken in die umgebende Bergwelt. An einer Stelle sehe ich durch die Gipfel und über das Wadi Araba bis nach Israel. Hier ist niemand. Die wenigen Touristen bleiben nahe beim Al Deir und der Cafeteria. Ich höre den Vögeln und dem Windhauch zu, während meine Füße ein wenig kribbeln als ich sie über den Plateaurand ins Nichts baumeln lasse.

Bevor ich mich auf den Rückweg mache, setze ich mich noch einmal für ein Stündchen in das herrlich gemütliche Café. Der anschließende Gang wird mir gegen Ende schwer und ich frage mich, ob ich wirklich so unfit bin oder mir meine Corona-Erkrankung doch noch in den Knochen steckt. Auf jeden Fall bin ich am Schluss froh, als ich mein Auto erreiche und ins Zentrum von Wadi Musa fahre, um mir ein jordanisches Gericht schmecken zu lassen. Jetzt noch eine heiße Dusche und ein gutes Buch, mehr brauche ich heute nicht mehr.
Zwei Tage Petra sind gut bemessen. In wärmeren Wetter wären auch noch ein oder zwei weitere Tage für größere Wanderungen schön gewesen. So aber starte ich am Morgen in Richtung Amman und freue mich auf den jordanischen Großstadtalltag.

Der King’s Highway ist so monoton, dass ich mein Navigationsgerät verrückt spielen lasse indem ich links abbiege und mir einen Weg über kleinere Straßen suche. Nach ein paar Kilometern zahlt sich das aus und ich fahre entlang des Gebirgskamms, westlich über die niedrigeren Berge gen Israel blickend. Spektakulär ist die Aussicht, auch wenn noch immer Dunst in der Luft eine bessere Sicht verhindert. Ich biege noch ein paar Mal ab und lande schließlich auf einer immer schmaleren und schmutziger werdenden Straße.  Letztendlich hört sie ganz auf. Ein paar Minuten zurück finde ich den richtigen Abzweig und hangle mich weiter nach Norden. Irgendwann beginnt meine Abfahrt und in vielen engen Kurven geht es hinab ins Jordantal. Hier in der Ebene ist mehr los. Es gibt Gemüseanbau und jede Menge Stände, die Tomaten, Möhren und Auberginen verkaufen. Auch Industrie kommt hinzu, ein Pottasche-Werk, Magnesiumproduktion und auch viele kleine Handwerksbetriebe in den Dörfern. Links und rechts in den Feldern liegt jede Menge Plastik, eine der Geiseln der Menschheit, die moderne Heuschrecke.
Auf einmal hört die Bebauung auf und das Tote Meer kommt ins Blickfeld. In der Mitte tiefblau und dann hin zu den weißen Salzrändern türkis. Dreiunddreißig Prozent Salzgehalt hat das lebensfeindliche Gewässer. Die Tendenz ist steigend, weil der Wasserspiegel stetig sinkt. Zwischen siebzig Zentimeter und ein Meter pro Jahr. Das Tote Meer stirbt, weil nördlich zu viel Wasser aus dem Jordan abgezweigt wird, um Felder und Städte zu versorgen.

Das Tote Meer

Langsam wird der Verkehr dichter, ich nähere mich Amman. Trotz der Menge von Fahrzeugen wird kaum aggressiv gefahren. Außer dem obligatorischen Hupen ist es angenehm sich treiben zu lassen. In der Stadt sind die Straßen sehr voll. Ohne Navi wäre ich aufgeschmissen! So werde ich treffsicher bis vor die Hosteltür geführt.
Ein netter junger Mann erklärt mir alles und ich bin sehr zufrieden mit meiner Wahl. Es gibt zwei Dachterrassen, eine ruhige nach hinten und eine weitere mit fantastischem Blick über die Stadt. Ich packe aus, wähle mich ins WLAN ein und gehe danach erst einmal in der Nähe bei einem Schnellimbiss-Tip des Vermieters etwas essen. Gesättigt lasse ich mich danach auf der Terrasse nieder, schreibe Tagebuch und freue mich an der langsam untergehenden Sonne. Nach der Fahrt mit ihren zahlreichen Stopps schaffe ich erst einmal nicht viel mehr als Wäsche waschen, aufhängen und zwischendurch einen Film auf Netflix gucken.
Ich suche mir auf TripAdvisor eine Sushibar heraus und ziehe mich noch einmal fürs Restaurant um. Leider hat mein Favorit am Montag geschlossen. Stattdessen lande ich in einem neuen und auf futuristisch getrimmten Turm im vierten Stock. Service und Sushi sind erstklassig, die Aussicht über das moderne Amman auch. Zufrieden und satt steure ich den Astra durch die nächtliche Stadt zurück zu meinem Bett.

Ein leckeres Frühstück auf der Dachterrasse später gehe ich hinunter Richtung Downtown und lasse mich auf die laute Mischung aus Autos und Menschen ein. Hier gibt es verschiedene Souks für Gold, Möbel, Essen. Eigentlich ist das ganze Viertel ein einziger umtriebiger Markt. Auf meine Bitte ein Foto schießen zu dürfen bekomme ich von einem alten Mann angezeigt, dass er fünf Dollar haben möchte. Wir unterhalten uns – soweit es unsere gemeinsamen Sprachkenntnisse zulassen – über die Städte, die er in Deutschland gesehen hat. Lustigerweise fragt er zuerst, ob ich Thielenbruch, einen kleinen Ort nahe meiner Heimat, kenne. Letztendlich darf ich meine Fotos auch ohne Dollars schießen.

Ein kurzer Trip in der Freiheit

Weiter die Straßen entlanggehend sehe ich drei Männer auf einem alten Sofa sitzen. Auch von ihnen mache ich ein paar Aufnahmen. Sie laden mich zu einem Tee auf ihr Sofa ein. Muhammad, Muhammad und Osman sprechen nicht viel Englisch, stellen mich aber fast jedem Vorbeikommenden vor. Per Handy wird der Tee geordert. Bezahlen darf ich nicht. Als ich ausgetrunken habe möchte Muhammad mit mir noch eine Runde drehen. Hier, in diesem Teil des Viertels, verkaufen alle Möbel. Sie kennen sich offensichtlich untereinander und so wird der Deutsche als Trophäe ein wenig rumgeführt. Dann verabschieden wir uns mit Handschlag und ich ziehe weiter ins etwas ruhigere aber auch hochpreisige Jebel Amman. Hier leben viele Expats und so gibt es eine etwas westlichere Café- und Restaurant Szene. Gerade sind die Schulen aus und gut angezogene Mütter holen ihre Sprösslinge ab. Es ist auch die Jahreszeit für den Grünschnitt. So liegen vor einigen Häusern große Mengen Äste und Zweige zur Abfahrt bereit. Die Kinder brechen sich ein paar ab und beginnen spannende Degenkämpfe. Ich gehe ins Books@Cafe, ein schon länger bestehender Treffpunkt von Einheimischen, Auswärtigen und Touristen. Es gibt eine kleine Kunstgalerie, einen Buchladen, Seminarräume und das Café mit Terrasse. Die Atmosphäre ist ruhig und angenehm. Mit der Buchverkäuferin unterhalte ich mich ein wenig über deutsche und jordanische Kultur, bevor Ich mir mein Essen bestelle und die anderen Tische beobachte. Solch eine Insel im Gewusel ist von Zeit zu Zeit ein wichtiger Ort!

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Lost in translation...

Nach dem Geldwechsel in einer Bank spaziere ich langsam bergauf zu meinem Hostel. Ein paar Jungs stehen entlang einer Mauer. Vor der Tür meines Hostels parkt ein weißes Mercedes Cabrio mit bordeauxroten Ledersitzen mitten auf der Straße. Zwei kleine Brautjungfern tanzen auf den Rücksitzen zu lauter Musik, während der Bräutigam in feinem Zwirn mit ein paar Freunden herumscherzt.

Ich darf ein paar Hochzeitsfotos – noch ohne Braut – schießen. Etwas entfernt steht ein orangener Bus für andere Teile der Verwandtschaft. Ich gratuliere dem Bräutigam und auch seiner Schwester in der falschen Annahme sie sei die Braut, ein selten dummer Fauxpas! Schon vorher etwas griesgrämig schaut sie von nun an mit einer Miene zu mir, als wäre ich an ihrer ganzen Misere schuld. Als die sehr hübsche zweite Schwester mit ihren Kindern im Kleinwagen eintrifft gibt es weiteres Palaver, vorbeifahrende Autos hupen und die am Straßenrand staunenden Straßenkinder, sichtlich viel ärmer angezogen, sehen sich unter Gefeixe die Szene an. Von hier aus zieht die ganze Verwandtschaft weiter, um dann die Braut abzuholen. Alle sind bis zum letzten herausgeputzt. Die jungen Frauen tragen hier draußen längere schwarze Kleider über ihren kurzen Partykleidern. Heute Abend wird irgendwo ein großes Fest steigen. Der Angestellte des Hostels erzählt mir, nachdem er mir die Vorgänge von der Dachterrasse aus erklärt hat, dass seine Eltern schon sehr lange für diesen Tag sparen. Die Kosten einer Hochzeit trägt allein die Familie des Bräutigams. Es ist das größte Fest im Leben eines Paares und ruiniert die Finanzen der Familie oftmals nachhaltig.

Am Abend sehe ich dann auch noch eine richtige Braut. In einem Traum aus Weiß steht sie vor dem diesmal schwarzen Sportcabrio und wird von drei Fotografinnen und zwei Beleuchtern in Szene gesetzt.

Ich habe im dreizehnten Stock des Landmark Hotel zu Abend gegessen und mich beim wundervollen Ausblick über die leuchtende neue City ein bisschen wie in „Lost in Translation“ gefühlt: wieder einmal melancholisch und manchmal ein wenig sprachlos in einem mir fremden Land. Außer mir sitzt noch eine Frau alleine an einem entfernten Tisch. Die Stimmung über der Szenerie scheint einem Edward Hopper Gemälde zu huldigen. Unten vor dem Ausgang dann die Hochzeitsgesellschaft. Ich nutze das Kunstlicht und fotografiere ebenfalls die Braut. Sie strahlt, was ihre ohnehin reich vorhandene Schönheit noch stärker betont. Die anderen Gäste sind auch in Hochstimmung, eine schöne Gruppe. Ich gehe zu meinem Auto und fahre bei jordanischer Musik durch das quirlige Amman

Ich wache früh auf - das Bett. Mein Buch hilft mir in den nächsten zwei Stunden aus der Dunkelheit ans Tageslicht. So weit ich das hinter den zugezogenen Vorhängen erkennen kann. Irgendwann ein Husten und Räuspern auf der Terrasse. Kurz denke ich es wäre Onkel Joe, will schon den Vorhang beiseiteschieben. Aber das wird nichts nutzen. Wir haben vor drei Wochen Abschied genommen, wir, seine Freunde. Mein bester Freund ist an Krebs gestorben. Kein abhusten am Morgen, keine erste Zigarette zum ersten Milchkaffee in der noch kühlen Morgensonne mehr. Nur noch ein Häufchen Asche in einer Urne. Oder hoffentlich doch eine nun irgendwo anders herumflatternde gute Seele, losgelöst und nach neuem Ausschau haltend. Eine Menge gemeinsame Erinnerung, die jetzt nur von mir noch erinnert wird. Der Tod ist in den letzten Jahren zu meinem unbequemen Begleiter geworden. Langsam geht es auf acht. Ich höre die Dame, die das Frühstück vorbereitet, ankommen. Ein schwarzer Kaffee wartet, und ein weiterer sonniger Tag. Ich denke an unsere letzte gemeinsame Reise nach Costa Rica, an das Lächeln und das Staunen, Ich denke an die Leseabende und das zwischenzeitliche, immer gute erzählen. Irgendwie ist die Melancholie des gestrigen Abends nicht gewichen. Wir sehen uns später! Zeit für ein wenig Abwechslung hier in Jordanien.

Frisch geduscht packe ich meinen Koffer und nehme Abschied von Ibrahim und dem Hostel. Kurz muss ich noch einmal umkehren, weil ich meine Trekking-Schuhe im Regal vergessen habe. Ich werfe alles in den Kofferraum und fahre noch hoch zur Zitadelle. Sie liegt herrlich auf einem der zahlreichen Hügel der Stadt. Es gibt einige sehenswerte Ruinen, aber für mich sind es vor allem die wunderbaren Blicke von den verschiedenen Seiten des Plateaus über die Stadt. Philadelphia hieß Amman zur Zeit der Römer. Der Blick auf die im Wadi liegende Ruine des Amphitheaters ist von hier oben am schönsten. Es ist ein warmer Vormittag und ich genieße jede Minute hier hoch oben. Ich reiße mich los und verlasse Amman. Noch einmal durch den dichten Verkehr und dann geht es über den King´s Highway in den Süden.

Die erste Stunde führt die Straße durch eine einzige Melange aus handwerklichen Gewerken und kleinen Läden. Alles, bis weit weg von der Hauptstadt, ist umtriebig und versucht den Lebensunterhalt zu verdienen. Erst ein paar Kilometer vor dem sehr eindrucksvollen Mujib Canyon wird es stiller und die Ausblicke ins weite Land gewinnen wieder Oberhand. Ich lenke rechts in eine kleine Haltebucht. Der Blick über das kahle Gebirge und in den Canyon ist umwerfend. Ein kleines rudimentäres Haus verkauft Andenken, Kaffee und Tee. Draußen steht Aldi dran, danach sieht es allerdings garnicht aus. Von hier schraubt sich die Straße talwärts, um unten dann über den relativ neuen Staudamm und anschließend wieder aufwärtszuführen. Da kurze Zeit später wieder ein Ort nach dem anderen kommt beschließe ich zum Desert Highway zu wechseln, der schnellsten Verbindung von Amman nach Aqaba. Jede Menge Lastwagen fahren in beide Richtungen. Es ist ein wenig monoton, aber dafür mache ich jetzt Strecke. Die Sonne sinkt schon tiefer als ich in dem am Berg klebenden Dorf Dana eintreffe. Ich unternehme einen kleinen Spaziergang und bestaune den fantastischen Blick ins Dana Valley und die umgebenden Berge.

Als ich wieder ausparken will, übersehe ich ein hinter mir geparktes Auto und touchiere es leicht. Zwei Jungen schauen sich den Schaden an und ich denke, dass sie mich weiterschicken. Ich fahre den Berg wieder hinauf Richtung King´s Highway als mir ein aufgebrachter Reiter entgegenkommt und mich aus dem Sattel heraus, das Handy in der Hand, schon anschreit. Ich steige aus und bekenne mich sofort schuldig. Von Polizei ist die Rede und vor lauter Aufregung oder Wut fällt dem Reiter auch noch das Handy aus der Hand und auf den Boden. Ich zeige ins Dorf, steige ein und fahre zurück. Am Parkplatz stehen bereits mehrere Männer und die beiden Jungen von eben. Wir untersuchen mein Auto und das des aufgebrachten Reiters. Es gibt eine kleine Schramme, ob sie von mir ist kann ich nicht sagen, glaube es nicht unbedingt. Sie diskutieren untereinander und die beiden mit Englisch Kenntnissen auch mit mir. Alle sind relativ gelassen und ich bekomme mit, dass die beiden Jungen den Schaden am Telefon deutlich aufgebläht haben. Als der Reiter kommt und sich seinen Wagen anschaut, wird er auch wesentlich freundlicher. Letztendlich gebe ich im zwanzig Dinare und einen Handschlag. Wir sind alle zufrieden und so gibt es noch ein Gruppenfoto, bevor ich aufbreche. Ich bin erleichtert, dass die dumme kleine Geschichte so schnell aufgelöst werden konnte. Ein Warten auf die Polizei hätte lange gedauert und so herrscht auch auf beiden Seiten bessere Laune. Ich fahre zum zweiten Mal den Berg hinauf und dann im Limelight zum nächsten Ort. Die abendliche Stimmung heitert mich auf, vielleicht auch der gute Ausgang des Malheurs. Ich fotografiere einen der üblichen Müllhaufen in Kombination mit einem bunten Obstlastwagen. Der Besitzer kommt dazu, möchte wissen, warum ich seinen Wagen fotografiere, und ich porträtiere auch ihn gleich.

Ich gehe das Dorf einmal ab, bevor ich weiterfahre und mit der Dämmerung in meinem Camp ankomme. Hier sind außer mir noch einige Franzosen zum Wandern eingebucht. Ich bekomme mein Zelt zugewiesen und freue mich über einen warmen Aufenthaltsraum mit Strom, leckeres Abendessen und sogar WLAN. Im Zelt selbst gibt es nichts davon. Aber wer braucht das auch, wenn sich die ganze Sternenvielfalt des Firmaments über einem ergießt?

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Dana und wieder der Tod...

Kurz vor dem Zähne putzen erreicht mich die Nachricht von Claus, dass unser mittlerer Bruder Stefan tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde. Er litt seit langer Zeit an einer schweren psychischen Krankheit und es war nicht möglich mit ihm Kontakt zu halten. Nach dem Tod unserer Mutter, seiner letzten Ansprechpartnerin, wird sein Weg die letzten beiden Jahre in die absolute Isolation und von da in den Tod geführt haben. Einmal war er noch bei mir als ich leider mit Lagerschwindel unansprechbar im Bett lag. Er hatte alle elektronischen Geräte in seiner Wohnung mit dem Hammer zerstört, weil Stimmen versuchten ihn in den Selbstmord zu treiben. Ich frage mich, wann der Punkt gewesen ist, an dem vielleicht ein Eingreifen noch möglich gewesen wäre. Ob es solch einen Punkt gab. Mein älterer Bruder ruft mich an und wir sind beide geschockt. Vor allem geschockt, weil uns jetzt noch einmal durch den einsamen Tod ganz deutlich vor Augen geführt wird, welch beschissenes Leben Stefan hatte. Ich telefoniere auch mit Anke, sie versucht mich etwas zu trösten. Letztendlich ist der Tod wahrscheinlich eine für ihn bessere Lösung als das Leben, in dem sowieso kein Glück mehr zu erwarten war. Ich denke lange über sein Schicksal nach. Auch an viele gemeinsam verbrachte Tage und Nächte in unserer Jugend, an den Spaß und die damals noch harmlos wirkenden, manchmal irritierenden Verrücktheiten. Immer wieder wache ich weinend in dieser Nacht auf. Was für eine miese Krankheit, die einem genickbrechende Fantasien als Realität vorgaukelt und alle, die versuchen einen von diesem Wahn abzubringen als Gegner begreifen läßt. So sind nach und nach sämtliche Freunde von ihm abgefallen, zuletzt meine Eltern durch ihren Tod. Ich habe Horror davor, seine Tür zu öffnen, um die Wohnung zu leeren. Ein bisschen fällt mir jetzt doch noch die Rolle als Spion zu, den er in mir oft gesehen hat.

Ich wache früh und unausgeschlafen auf. Nach dem Frühstück freue ich mich, heute eine sechsstündige Wanderung durch das Wadi Dana erleben zu dürfen. Ablenkung ist gut und eine Wanderung durch neues und schönes Terrain auch richtig, um die Gedanken ein wenig zu ordnen und meine Ruhe bald wiederzufinden. Unseren Zelten werden weiße regendichte Kappen aufgezogen, heute Nachmittag soll eine Schlechtwetterfront durchziehen. Aber der Moment bringt blauen Himmel, kühlen Wind und einen wartenden Muhammad.

Empfunden heißen sechzig Prozent aller männlichen Jordanier Muhammad und so heißt auch unser Führer. Wir sind zu viert unterwegs. Zwei Schottinnen aus Edinburgh komplimentieren die Wanderrunde. Zuerst geht es entlang unserer Höhenlinie, bevor wir nach einer Viertelstunde langsam ins Tal hinabwandern. Wir begegnen auf der ganzen Strecke immer wieder Beduinen mit ihren Schaf- und Ziegenherden. Sie sind Halbnomaden mit ihrem Wintercamp in windarmen Tälern und dem Sommercamp auf luftigen Höhen. Muhammad erzählt, dass ein Hirte bis zu einhundertfünfzig Tiere betreut. Unterwegs sehen wir auch einige ihrer Zeltlager, im Augenblick noch in den Tälern gut geschützt gegen die teils eisigen Winde. Muhammad zeigt uns ein paar von den Nabatäern in den Felsen gehauene Höhlen. Nach Petra nicht besonders spannend, aber neben der wunderschönen Natur ein weiterer kleiner Baustein unserer Tour. Er selbst verbringt manchmal ein paar Tage hier, in der Natur nach Ruhe suchend. Das Führen von Gruppen ist sein Geldverdienst, aber eigentlich studiert er fünfunddreißig Kilometer entfernt Englisch an der Universität. Das kommt auch uns zugute, es gibt endlich einmal keine Verständnisprobleme in einer Gruppe. Nach zwei Stunden suchen wir ein wenig Feuerholz, um einen Tee zu kochen. Das ist schon ein schönes Ritual, besonders an solch einem sonnigen, aber trotzdem kühlen Morgen. Wir treffen einen Hirten den Muhammad kennt und er bietet uns einen Ritt auf seinem Esel an. Keiner hat Interesse und so dreht Muhammad eine Runde.

Kurze Zeit später ist es Zeit, das Mittagessen zu kochen. Wir suchen wiederum Feuerholz und schnippeln einiges an Gemüse für die Pfanne. Etwa zweihundert Meter entfernt und fünfzig Meter tiefer liegt ein weiteres Beduinen-Camp. Eine Herde wird direkt neben uns gen Tal getrieben. Von hier oben können wir das Camp schön beobachten. Muhammad ist fast fertig mit kochen und so werden noch zwei Dosen Thunfisch geöffnet und das obligatorische Fladenbrot gereicht. Nach dem auf und ab schmeckt es uns allen köstlich. Wir wandern nach dem Essen noch eine Stunde weiter, bis wir an einer geteerten Straße rauskommen. Wenig später werden wir von einem Geländewagen abgeholt und zurück zum Camp gefahren.  Rechtzeitig, um vor der aufziehenden Regenfront einzutreffen.

Der späte Nachmittag und der Abend gehören dem Camp. Irgendwann wird der antik wirkende Benzinofen angeworfen und der vielleicht zwanzig mal drei Meter messende Raum wärmt sich langsam auf, während draußen das Thermometer weiter fällt. Ich lese in meinem Buch über einen Kanadier, der für Amerika in den Vietnamkrieg zieht und vermisst wird, während alle anderen Gäste auf ihren Handys die neuesten Nachrichten des seit heute Morgen in großen Teilen der Ukraine eskalierenden Angriffs durch die russische Armee schauen und darüber diskutieren. Die Plätze um den Ofen sind heißbegehrt, hier sitzen Franzosen, Israelis, Jordanier und der Deutsche eng beisammen und versuchen ihren Anteil an Wärme zu bekommen. Nachher geht es für jeden dann in die kalten Zelte, um irgendwie die Betten warmzubekommen. Aber vorher steht das auch heute wieder hervorragend wärmende und schmackhafte Buffet bereit. Es ist sehr gemütlich den Essgeräuschen und danach den verschiedenen Gesprächsfetzen zu lauschen. Alle sitzen an der Wand entlang auf den gemauerten Sofas mit ihren verschiedenen Polstern und unterhalten sich friedlich in kleinen Gruppen. Immer wieder kommt einer der aufmerksamen Camp-Mitarbeiter mit Tee, Plätzchen, Kaffee oder Obst vorbei. Der Running Gag ist das stete „Welcome to Jordan“ bei jedem Rundgang, der Werbespruch des Tourismusverbandes. Wie schön es ist, in solch internationaler Runde zu sitzen und wie schrecklich, wenn Despoten andere Länder terrorisieren und dabei die Welt ins Unglück stürzen. Der schnell für zu leicht befunden Gedanke an Weltfrieden steigt in mir auf. Aber ohne gerechte Verteilung und damit hohen Besitzverlust für die Reichen ist das nicht möglich. Es ist zum Heulen, das wilde Tier und den Wahnsinn nicht gebändigt zu bekommen. Was für ein Paradies könnte die Erde sein, wenn der Mensch mit seinen Möglichkeiten nicht den eigenen Vorteil in den Mittelpunkt des Denkens stellte. Ich lese noch lange, auch um mich nicht wieder zu wach dem Hundegebell und meinen hoffentlich heute mit mir einschlafenden Gedanken über Leben und Tod auszusetzen. Der Tag hat zunehmend Ruhe in mein Denken gebracht. Mehr ist momentan nicht zu wollen.

Mir fällt ein, dass Karen mit ihrem Theaterensemble nach Russland oder in die Ukraine gereist ist. Ich sende ihr eine Nachricht über Signal und freue mich, als ich von ihr höre, dass sie in Russland ist... Auch nicht großartig in der augenblicklichen Lage, aber besser, sicherer, beim Aggressor als unter den Beschossenen. Leider ist sie in Rasnov am Don und damit nahe der ukrainischen Grenze. Ihr Flug wurde auch schon abgesagt und sie werden jetzt mit dem Bus eine dreizehnstündige Fahrt nach Moskau antreten, um dann hoffentlich noch mit ihrem Aeroflot Anschlussflug oder ansonsten mit Lufthansa nach Deutschland zurückfliegen zu können. Ich drücke ihr von ganzen Herzen die Daumen.

Der Morgen ist sehr kalt und der Weg aus den Decken in meine klammen Klamotten hält mich etwas länger im Bett. Zum Glück ist im Haupthaus schon der Brenner warm und ich sichere mir mit meinen zwei Pullovern übereinander erst einmal die Pole Position. Die Israelis folgen kurze Zeit später und dann rollt auch schon das Frühstücksbuffet an. Ich begleiche meine Rechnung und bin ganz froh mich in den Wagen flüchten zu können. Es windet stark, nieselt leicht und das Thermometer zeigt 4° Celsius an. Heute fahre ich über den Desert Highway ins Wadi Rum. Auf dem Weg halte ich bei einer größeren Gruppe Kamele, die kurzfristig den Verkehr lahmlegt. In aller Ruhe ziehen sie, den Mittelstreifen abgrasend, die Straße entlang, bis sie schließlich in der umliegenden Wüste verschwinden.

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Die Magie der roten Wüste...

Das als UNESCO Weltnaturerbe geadelte Wadi Rum habe ich mir bis zum Schluss aufgehoben. Nach dem Besuch der Kalouts im Iran wollte ich schon länger diesen Wüstenteil besuchen. Am gestrigen Abend habe ich mit einem der ansässigen Beduinen hin und her geschrieben und er holt mich im Rum Village, dem Einfallstor zum Nationalpark, ab. Schon einige Kilometer vorher ändert sich die Landschaft und ich bekomme einen Vorgeschmack auf das Kommende. Auf dem Weg halte ich kurz für die im heruntergekommenen Bahnhof geparkte Dampflok aus dem „Lawrence von Arabien“-Film an. Sehr pittoresk stehen noch einige Waggons mit abblätternder Farbe und ein weiterer Zug mit geladenen Steinen auf den Schienen. Ein schöner Vordergrund für den vom Wind aufgepeitschten Sand und das dahinter liegende Gebirge.

Raschid ist kurz nachdem ich im eine WhatsApp geschrieben habe am vereinbarten Café. Wir essen zusammen im Dorf zu Mittag und dann steige ich in seinen alten Toyota Hilux. Die Wüste ist schon hier wunderschön und ich freue mich auf meine drei Nächte in seinem Camp. Auch hier ist es sehr windig. Roter Sand weht auf breiter Fläche durchs Gelände. Sobald ich aussteige, werde ich gestrahlt und kann nur mit dem Rücken im Wind stehend die Augen öffnen. Ich beziehe mein Zelt und freue mich, dass es wesentlich dichter als das vorherige ist. Danach gehe ich ins Hauptzelt Tee trinken und schlafe eine kurze Weile über meinem Buch auf einer der gemütlichen Bänke ein. Die letzten beiden unruhigen Nächte fordern ihren Tribut.

Am Nachmittag wandere ich das umliegende Gelände ab und steige auf einen kleineren, länglichen Hügel. Von hier habe ich eine schöne 360° Sicht auf die umliegenden, höheren Berge. Unten in einem Camp fährt sich ein blauer Wassertanklaster fest. Die Mitarbeiter bekommen ihn nur mit Mühe wieder aus dem Sand. Der gleiche LKW war vorher in unserem Camp und hat die auf einem Felsvorsprung untergebrachten Tanks gefüllt. Da es auch eine Warmwasser-Solaranlage gibt, habe ich Hoffnung auf eine angenehme Dusche. Wieder im Camp gehe noch in eine sich verjüngende Schlucht und finde eine große Menge leerer Flaschen vor. Der Wind weht sie von überall her hier hinein. Das Plastik- und vor allem Plastikflaschen-Problem wird einmal mehr unschön sichtbar. In dieser Umgebung ist es noch viel verstörender solch eine Ansammlung von Müll zu sehen als am Rande einer Siedlung. Ich hoffe sehr, dass sich die Welt bald auf eine Lösung einigen kann. Ansonsten werden wir irgendwann, in recht absehbarer Zeit, an unserem Müll ersticken.

Im Hauptzelt spielen zwei Schweizerinnen und ein Franzose Shithead. Ich lasse mir das Spiel erklären und wir spielen ein paar Runden zusammen. Es kommen noch zwei junge Deutsche dazu. Keiner, außer mir, ist älter als fünfundzwanzig Jahre. Die beiden aus Nürnberg und Hannover stammenden, in Haifa studierenden Deutschen haben ihr Stipendium abgeschlossen und möchten nun noch ein paar Wochen die umliegenden Länder kennenlernen, bevor sie in die Heimat zurückkehren. Alle sind nur für einen Tag im Wadi Rum und letztendlich sehen sie außer der kurzen Fahrt hierher und ihren kleinen Wanderungen um das Camp nichts von dem Naturwunder. Das erinnert mich an eigene frühere Shoestring-Reisen durch Mittelamerika und Asien. Allerdings war es damals noch schwieriger ohne Internet die guten Orte zu finden.

Endlich eine warme Dusche! Nach dem eiskalten Wasser in Dana, das kombiniert mit den Außentemperaturen und den luftigen Zelten mich trotz Wanderung vom Duschen abgehalten hat, gibt es nun eine heiße, fast kochende Dusche. Ich genieße, wenn auch wegen der Lage in der Wüste mit schlechtem Gewissen, jede Sekunde und auch das abschließende Abtrocknen und Anziehen in der Kühle des Abends kann den Genuss nicht schmälern. Anschließend gehe ich zurück ins Hauptzelt und setze mich zu den anderen auf die um das Kaminfeuer liegenden Kissen. Raschid ruft uns nach draußen und zeigt, wie das Essen in einem mit Sand zugeschaufelten unterirdischen Ofen gegart wurde. Alle freuen sich über das köstliche Mahl und nehmen auch gerne noch die kleinen Süßigkeiten, die vor dem Tee gereicht werden. Es ist ein gemütlicher Abend am Kamin mit Menschen aus verschiedensten Orten. Draußen pfeift währenddessen der Wind kalt um die Zelte.

Wie immer werde ich früh wach. Im Hauptzelt wird gerade das Feuer angezündet. Ich setze mich zum Aufwärmen hin. Nach und nach trudeln Gäste und Gastgeber ein. Das Frühstück wird auch schon hereingetragen. Ich unterhalte mich mit einem in London lebenden französischen Paar. Sie ist schwanger. Ich schließe mich ihnen für eine Jeeptour zu den Sehenswürdigkeiten der Wüste an. Wieder einmal Muhammad ist der Fahrer. Es ist noch so kalt als wir starten, dass Yves und ich auf der Pritsche mit zwei Pullovern, winddichten Jacken, Handschuhen und Mütze Platz nehmen. Wir werden von einem Ort zum anderen geschaukelt und zum Glück wandelt sich das Wetter zum Guten. Der scharfe Wind legt sich und die Wolken verschwinden ganz. Wir pellen uns Schicht um Schicht aus unserer Kleidung. Yves wird Molekularbiologe und steckt gerade in den letzten Prüfungen. Die beiden haben ein Apartment mit Garten im Londoner Osten gekauft. Dort war es für sie noch erschwinglich. Am Siq Khazali, einem sehr engen und hohen Canyon steigen vor uns vier schwarze Frauen in weißen Gewändern und mit farbigen Turbanen von einem Toyota Land Cruiser. Sie gehen zum Siq und fotografieren einander. Gegen die dunklen Felswände und die beiden links und rechts stehenden blätterlosen, fast weißen Bäume stechen sie sehr schön heraus und geben ein farblich kontrastierendes Fotomotiv ab. Ich höre, dass sie aus Paris kommen. Sie könnten auch für ein Vogue Fotoshooting hier sein. Ich schaue mir noch kurz den Canyon an. Weit kann ich ohne klettern und durch das hier noch vorhandene Wasser nicht hineinsteigen. Aber auch der schnelle Eindruck zeigt einen sehr schönen Ort. Die hohen Wände zusammen mit Wasser in der Wüste haben eine spezielle Magie.
Wir fahren noch eine große rote, an einem Felsen angelehnte, Düne an. Ich gehe barfuß nach oben, um dann in großen Sätzen wieder hinabzuspringen. Das Wadi Rum ist höchst eindrucksvoll. Die vielen solitär stehenden Felsen und der manchmal helle, manchmal rote Sand des breiten Tals sind ein Landschaftstraum. Minute um Minute gibt es neue Eindrücke. Mich fesselt jeder von ihnen.

Ich sitze mit Zaba am Feuer. Er erzählt mir ein wenig über die Struktur des Dorfes. Das ganze Rum Village bewohnt ein Beduinenstamm und alle gehören letztendlich zu einer Familie. Die Mitarbeiter hier sind von einem Zweig der Familie, sie sind Cousins, Neffen und Onkel. Die Eltern vom Leiter des Camps leben in der Wüste. Für Zaba ist nicht das Wadi Rum die Wüste, sondern das größtenteils flache Gebiet außerhalb. Sein Vater hat aber auch noch ein Haus im Dorf. In der Wüste lebt er mit einer Frau, in dem Dorfhaus lebt seine zweite Frau. Bis zu vier Frauen sind den Männern erlaubt. Den Einwurf, das dann nicht für jeden Mann eine Frau da sein kann, überhört er. Alle Camps innerhalb des Naturreservats gehören den Zalabia-Beduinen. Auch hier kümmern sich nur die Männer um die Gäste. Das Zelt füllt sich nach und nach. Nach dem Abendessen bring Rachid alle Gäste zum Uno spielen. Die Zalabias verstehen es professionelle Gastlichkeit zu leben. Leider breche ich heute früher auf zu meinem Zelt, weil Rachid für mich am Morgen um halb sieben eine Ballonfahrt gebucht hat.

Yves hatte mir gesagt, dass die Zeit in Jordanien umgestellt wurde. Nun bin ich wach und nach meinem Handy habe ich noch eine halbe Stunde, nach dem iPad bin ich aber schon zu spät dran. Ich ziehe mir alles an, was ich der Wüstenkälte entgegensetzen kann, und gehe durch den Sand zur Küche. Der Koch ist schon wach und schneidet Zwiebeln. Es ist der, dem ich gestern die Uhr umstellen mußte und mich schon da gefragt habe, ob die neu eingestellte Zeit wirklich die Richtige ist. Er spricht kein englisch und mit Hand und Fuß frage ich nach der Uhrzeit. Er schaut auf die von mir umgestellte Uhr und zeigt mir danach sein Handy. Das zeigt aber nur jordanische Schrift an. So weiß ich immer noch nicht, ob ich gut in der Zeit liege oder gerade meine Ballonfahrt verpasse. Da das Internet ausgeschaltet ist, bleibt mir nichts anderes über, als auf den Koch und Rachid zu vertrauen. Ich setze mich ins große Zelt mit Handschuhen und Mütze, um zu warten was passiert. Nachdem auch die spätere Möglichkeit verstreicht, wecke ich die beiden im Hauptzelt am Feuer schlafenden. Rachid kommt unter der Wolldecke hervor, schaut auf die Uhr und wird ganz hektisch. Innerhalb von fünf Minuten sitzen wir im Auto und er fährt wahnwitzig schnell Richtung Dorf. Zwischendurch geht es kurzzeitig sogar auf zwei Reifen weiter. Ich bekomme Beklemmungen und bitte ihn mein Leben zu schonen. Er lacht nur und meint, dass wir unter zweihundert führen. Ich bin froh, als wir das Dorf erreichen und die vielen Hubel ein schnelles Vorwärtskommen verhindern. Immer wieder versucht er den Ballonfahrer zu erreichen, der geht aber nicht an sein Handy. Hinter dem Dorf fahren wir wieder von der Straße ab und das Spiel beginnt von neuem. Endlich erreichen wir das Gebiet in dem normalerweise gestartet wird. Weit und breit ist kein Ballon zu sehen. Nach einer Weile geben wir die Suche auf. Es geht ins nächste Dorf in dem Rachid uns ein paar Falafel Kugeln in der Papiertüte kauft. Wir werden es wohl morgen noch einmal probieren. Offensichtlich war der Ballonfahrer auch aus irgendeinem Grunde nicht da. Rachid ist nicht von seinem Cousin geweckt worden. Sein Handyakku war leer. Es sollte einfach nicht sein. Den Rückweg fahren wir einen wenig genutzten anderen Weg zum Camp. Hier kommen wir ohne Kontrolle und Schranke und auch noch schneller zurück. Zeit für Frühstück…

Ich teile mir einen Guide mit Christa und ihrem Sohn Justin, beide aus dem Stuttgarter Raum. Rachids Bruder Awad fährt uns wesentlich tiefer ins Wadi als zuvor. Keine Camps und auch keine anderen Wagen mehr. Wir halten an einem der höheren Berge und steigen die nächste Stunde hinauf. Eine grandiose Aussicht ist unsere Belohnung. Wir schauen weit nach Saudi-Arabien hinein. Später wird wie immer Tee auf einem kleinen Feuer gekocht. Wir steigen wieder hinab zu unserem Wagen. Awad fährt mit uns einen weiteren Punkt an. Ein Cousin Awads kommt im Land Cruiser vorbei. Eigentlich möchte er grüßend vorbeifahren. Aber natürlich bleibt auch er auf einen Plausch und einen Tee bei uns sitzen. Wir steuern noch ein paar weitere Sehenswürdigkeiten an, bevor uns Awad ein köstliches Mittagessen kocht. Auf dem letzten Teil unserer Fahrt darf Justin das Steuer übernehmen und hat einen Riesenspass mit dem alten Mitsubishi. An einer Düne fährt er uns kurz fest, kann sich aber rückwärts wieder freifahren. Einen Kilometer vor dem Camp wechselt er wieder mit Rachids Bruder die Positionen. Wahrscheinlich darf der ältere Bruder den Fahrertausch nicht sehen.

Mein letzter Morgen in Jordanien. Rachid bringt mich zurück ins Dorf und ich fahre weiter zum Flughafen, gebe mein Auto ab und kaufe für die restlichen Dinare zwei Tafeln Kinderschokolade. Jordanien, was für eine Überraschung!

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Jordanien