Iran

Gastfreundschaft und Knechtschaft

Iran

Von Teheran und Isfahan...

Schon am Flughafen wird deutlich, Iran ist kein typisches Touristenziel. Eine etwa hundert Meter lange Schlange kriecht langsam zur Gepäckabgabe vor. Überwiegend sind es iranischstämmige Familien, die ihre schwerbeladenen Gepäckwagen vor sich herschieben. Hier steche ich schon allein durch meine Haarfarbe heraus. Die wenigen Deutschen sind fast ausnahmslos Ehemänner oder -frauen von Iraner*innen. Keine der Frauen trägt Kopftuch oder gar Tschador.
Gegen sieben Uhr morgens befinden wir uns im Anflug auf Teheran. Die Nacht war trotz ruhigem Flug nur wenig erholsam, eher ein Dahindämmern, wie es bei mir auf Flügen normal ist. Das Bild im Flugzeug verändert sich. Alle Frauen ziehen ihre meist recht modischen Kopftücher an. Bei den wenigen Deutschen sieht das teilweise noch etwas ungeschickt aus. Sie zupfen hier und da, rücken das Tuch vor und zurück und fragen wegen ihres Aussehens die Nachbarin oder schauen auf ihr Handy.

Vor uns ist noch ein Flug aus Frankreich, dem ehemaligen Asylland Ayatollah Khomeinis, eingetroffen. Neben den Schlangen für Iraner stehen wir Ausländer und warten auf die Überprüfung von Pass und Visa. Die Zollbeamten haben die Ruhe weg, halten zwischendurch ein Schwätzchen untereinander oder mit den Fluggästen. Mein Visum ist nicht im Pass, sondern auf ein Blatt Papier gedruckt. Auch Stempel gibt es keine in mein Dokument. Ein Entgegenkommen der staatlichen Stellen, da der iranische Stempel in manchen Ländern zum Einreiseverbot führen würde.
Der Fahrer erwartet mich am Ausgang des Flughafens. Endlich werde ich auch einmal mit einem Namensschild begrüßt! Leider spricht er kein Wort englisch, so das wir uns nur sparsam in Zeichensprache über den Weg ins Parkhaus verständigen. Ich platziere mein Gepäck auf der Rückbank, er befreit den Beifahrersitz von seinem persönlichen Besitz. Das Kaffeeangebot lehne ich dankend ab. Wir verlassen den Flughafen und mein mit beiden Armen unterstütztes "Iran!" wird durch sein "Iran!" beantwortet. Wir fahren über eine dreispurige Autobahn, wobei die Linien nur zur groben Orientierung dienen und die Straße groß- und freizügig genutzt wird. Die etwa zweihundert Kilometer lange Fahrt nach Kaschan habe ich schon im Voraus über mein erstes Hotel gebucht, damit ich nicht total übernächtigt irgendeinen Bus und danach noch mein Gasthaus suchen muss.

Der Fahrer hat neben seinem Klumpfuß auch eine verkrüppelte rechte Hand, die er nur mit Schwung in Position bringen kann. Zum Glück schaltet der Wagen automatisch, so dass er nur noch sein alle zehn Minuten klingelndes Handy und das Lenkrad bedienen muss. Teilweise benutzt er allerdings auch das Knie zum Lenken und fährt bedenklich schnell Richtung Leitplanke, wenn er gerade eine Nummer raussucht oder eine Textnachricht in die Welt hinausschickt. Einmal lasse ich einen erschrockenen Ausruf, als er doch zu schnell und direkt auf eine Böschung zufährt, überlasse mich aber ansonsten meinem Schicksal und schlafe sogar immer wieder für ein paar Minuten ein.
Die Landschaft ist karg, dünnes Grün auf felsigem Untergrund. Mancher Berg trägt noch eine Schneemütze. Ziegenherden mit ihren Hirten ziehen über das trockene Land. Weite Ebenen werden durch das Zargrosgebirge begrenzt. Ruinen zeugen von längst vergangener Besiedlung. Hin und wieder eine Tankstelle, eine kleine Ortschaft, ansonsten Weite. Der Iran ist mehr als vier Mal größer als Deutschland und hat mit knapp unter achtzig Millionen etwas weniger Einwohner.

Der Verkehr in Kaschan ist chaotisch. Motorräder, voll geladene Pick Up, Mengen von gelben Taxis und andere Verkehrsteilnehmer sorgen für viel Auspuffqualm und ständige Alarmbereitschaft. Aber mit kurzen Hupsignalen werde ich von meinem Fahrer sicher zu meinem traditionellen Gästehaus navigiert. Sobald wir die Hauptverkehrsachsen verlassen, wird es ruhig. In meinem Viertel, Teil der Altstadt Kashans, ist es sowieso zu eng für Autoverkehr.

Die traditionellen Gästhäuser gibt es inzwischen überall im Lande. Durch den zunehmenden Tourismus, vor allem von im Lande reisenden Iranern, ist die Nachfrage nach preiswerten Unterkünften gestiegen, so dass sich die Renovierung alter Häuser lohnt. Die Zimmer des Kamal al-molk House sind um einen quadratischen Innenhof angeordnet, in dessen Mitte sich eine etwa drei x drei Meter große Öffnung befindet. Im unter der Erdoberfläche liegenden Teil gibt es auch noch mehrere Zimmer um einen weiteren Innenhof, in der Größe identisch zum Oberen. Mein Gastgeber erklärt mir, dass die unten liegenden Zimmer in den alten Zeiten im Sommer, die Oberen im Winter bewohnt wurden. Kashan liegt auf der den Zentraliran beherrschenden Hochebene. Wüsten und Steppen zeichnen die Landschaft. Die daraus resultierenden großen Temperaturunterschiede zwischen den Jahreszeiten ließen die früheren Einwohner zu einer erstaunlichen Maßnahme greifen: Windtürme wurden errichtet, die durch unterirdische Kanäle frische Luft in die tiefer liegenden Zimmer führten. So entstand ein angenehmes, nicht zu warmes Raumklima für den Sommer. Im Winter, wenn es kühler wurde, schliefen die Bewohner in den oberen Zimmern. Die Sonne spendete dann noch genug Wärme, um durch die aufgewärmten Wände in den Nächten nicht zu frieren. Die orientalischen Bögen, das Buntglas in den Türen, die im Freien stehenden Liegen mit Teppichen und Kissen schaffen eine Wohlfühlatmosphäre. Von außen sehen die Häuser eher abweisend, da fensterlos, aus. Erst beim Eintreten bemerkt man, welche Schätze sich hinter den Mauern verbergen. Am Abend werden mehrere Türen offenstehen, so dass es mir möglich wird in einige der architektonisch sehr interessanten Innenhöfe zu blicken.

Verzierungen für das Auge

Nach meiner Ankunft schlafe ich erst einmal für ein Stündchen. Ich dusche, ziehe mich sommerlich an und besuche den großen überdachten Basar. Endlose Reihen von Geschäften liegen entlang der uralten Gänge. Mehrere, ebenfalls überdachte, Plätze öffnen  sich dem Blick in den verschiedenen Teilen des Basars. Eine innen mit prachtvollen Spiegelmosaiken verzierte Moschee liegt an einem von dreigeschossigen Häusern umfassten Platz. Ein anderer wird durch drei große kreisrunde Öffnungen in der etwa fünfzehn Meter hohen, reich ornamentierten Decke erhellt. Teppich- und Antiquitätengeschäfte, aber auch ein Teeshop laden hier zum Schauen ein. In dem mittigen achteckigen Bassin schwimmen Goldfische. Auf den mit Teppichen und Kissen bequem gestalteten Holzplateaus sitzen die Menschen mit ihren Teegläsern und unterhalten sich. Ein Ladenlokal wird renoviert, die Arbeiter verputzen gerade die Innenwände. Die gesamte Atmosphäre ist märchenhaft, ein Hauch von 1001 Nacht!

Aus einem der künstlich beleuchteten Gänge trete ich auf eine Terrasse im zweiten Stock hinaus.  Ein weiterer, offener Innenhof, vielleicht fünfzig Meter im Quadrat. Die Häuser sind vierstöckig und in Teilen stark renovierungsbedürftig. An der gegenüberliegenden Seite ein kleines Restaurant mit Tischen auf der Empore. Ich setze mich und mir wird ein köstliches Auberginenpüree mit Fladenbrot gebracht. Neben mir unterhalten sich zwei rauchende junge Iranerinnen und fotografieren sich gegenseitig mit ihren Handys. Eine trägt kein Kopftuch und beide sind auffallend geschminkt. Ich frage und darf ein Foto von den beiden machen. Mir wird zum ersten Mal bewusst, dass Frauen im Iran oft sehr selbstbewusst und selbstbestimmt in der Öffentlichkeit auftreten.

Alt trifft nicht mehr ganz so neu

Ein älteres Ehepaar aus Chemnitz, das seit Anfang Februar schon mit einem Wohnmobil durch das Land reist, verrät mir, wer mich auf das Dach des Basars bringen kann. Ich finde das beschriebene Geschäft für Brautmode und der vielleicht achtjährige Sohn des Besitzers flitzt los, um seinen Vater mit dem Schlüssel zu holen.

Das aus einem Stroh-Lehm Gemisch bestehende Dach wirkt mit seinen vielen verschiedenen Klimaanlagen wie eine Szenerie aus den Star Wars Filmen. Die Kuppeln mit Entlüftungslöchern, Lehmtreppen und verschiedenen Wölbungen, zusammen mit dem Blick über die Stadt auf die umliegenden Berge, sind einfach faszinierend. Aber auch der Blick von oben durch die Öffnungen in verschiedene Geschäfte ist interessant. Gar nicht so leicht herauszufinden, über welcher Gasse des Bazars ich mich gerade befinde.

Technik auf dem Basardach

Am Abend sitze ich noch länger mit Farid, dem Manager des Kamal al-molk House, zusammen. Auffallend ist neben der großartigen Freundlichkeit seine verblüffende Offenheit. Wir erzählen uns Geschichten aus unserem Privatleben, aber ich höre auch einiges über die Politik und die sozialen Umstände des Iran. Interessant ist, dass fast sechzig Prozent der Studierenden im Iran Frauen sind. Die Zahl der Scheidungen ist auf Rekordniveau: Auf vier Eheschließungen kommt eine Scheidung.

Farid erzählt mir, dass besonders im ländlichen Raum vor der ersten Ehe der Vater, ist dieser abwesend, der älteste Bruder und so weiter mit über den Ehepartner entscheidet. Wurde eine Frau aber einmal geschieden, so ist sie frei und kann nun selbst ihren Partner wählen. Durch die geänderte Situation der Frauen in der Gesellschaft bricht vieles auf. Während des Studiums und ohne Aufsicht der Eltern schwimmen sich viele frei und entwickeln ein von der Tradition abweichendes, frisches Frauenbild. Äußerlich kann ich das an modischer Kleidung, Schminke, sehr weit nach hinten geschobenen bunten Schleiern und vor allem sehr offenen Blicken festmachen. In mir entsteht ein neues, unerwartetes Bild der iranischen Gesellschaft.

Ein etwas abgelegener Teil des Basars, als Lagerraum genutzt

Farid gibt mir auch Einblick in seine politischen Ansichten. Sehr offen kritisiert er die religiöse Führungsriege und macht deutlich, dass die Öffentlichkeit und der private Raum zwei völlig verschiedene Welten sind. Während auf der Straße bei aller Veränderung doch noch die Konventionen in bestimmtem Rahmen eingehalten werden müssen, ist der private Raum ein als freies Refugium genutztes eigenes Universum. Der schon länger schwindende Anteil der Moscheebesucher ist auch ein Hinweis auf eine Veränderung innerhalb der Gesellschaft. Das Volk ist entzaubert. Farid selber möchte nach seinem zweijährigen Militärdienst gerne nach Europa auswandern, wo sein Patenonkel und Teile der Familie schon leben. Der Iran ist wirtschaftlich gebeutelt und natürlich noch immer sehr weit von unserer Freiheit entfernt. Die Inflation ist, auch durch den Boykott der westlichen Welt, sehr hoch. Der Ausbildung entsprechende Arbeit ist für studierte junge Iraner schwer zu bekommen. Auch deswegen ist die Unzufriedenheit mit der Machtelite gut spürbar.

Der Blick auf die umliegenden Berge

Nach anregenden Frühstücksgesprächen mit einem Ehepaar aus Orleans in Frankreich und noch einmal mit Farid vom Hotel, wartet um neun Uhr mein Taxi auf mich, um mit mir über mehrere Stationen nach Isfahan zu fahren. Eigentlich wollte ich mit dem Bus weiterreisen, aber da Taxifahrten, wie eigentlich auch alles andere, sehr preiswert sind, habe ich mich entschieden mir noch ein paar Sehenswürdigkeiten auf dem Wege anzuschauen. Auch mein heutiger Fahrer spricht keinerlei Englisch. So kommen wir nur mit Zeichensprache ein bisschen weiter. Mit einer Hand Süßigkeiten aus der Mittelkonsole in seinen Mund schaufelnd und mit der anderen Hand leider häufig das Handy bedienend, fahren wir viel zu schnell und sehr oft auf der Gegenspur. Selbst Kurven werden gerne links außen genommen, selbst vor Kuppen wird nicht nach rechts gewechselt. Mehrfach kommt es zum lautstarken Hupen des Gegenverkehrs, heftiger Kurbelei am Lenkrad und haarscharfen Entscheidungen. Zweimal greife ich durch lautstarkes Rufen ein. Vielleicht wäre es auch so gut gegangen...?

Noch in der Kühle des frühen Morgens besuchen wir Baq-e Shah, einen ab 1590 erbauten Prachtgarten. Von einer starken Quelle gespeist fließt gluckernd das Wasser durch zahlreiche schmale Kanäle. Ergänzt durch Hamam, Teehaus und reichverziertem Pavillon, sowie einer umlaufenden Lehmmauer, beeindruckt der Park durch seine strenge Geometrie.
Kurz vor unserem zweiten Ziel möchte ich aus dem Auto die schneebedeckten Gipfel fotografieren, als mein Höllenfahrer mich durch Runterdrücken der Kamera davon abhält. Wir passieren gerade eine nukleare Aufbereitungsanlage und mit gestischer Untermalung macht er mir klar, dass die Soldaten an den Kanonen der Wachtürme nicht nur zum Spaß Position bezogen haben.

Tafeln zur Ehrung abgeschossener Piloten im Iran Irak Krieg

Ich schaue mir Abyaneh an, ein an den Nordhang des Karkasgebirge geklebtes Dorf am Ende einer sich durch die Berge schlängelnden Straße. Die Frauen tragen noch traditionelle Trachten und verdienen sich ein Zubrot durch den Verkauf von Trockenobst und Handarbeiten.

In großen Teilen sind die Häuser in keinem guten Zustand, aber einige sind schon restauriert. Oftmals sind die Dächer des einen Hauses der Fußweg des schräg darüber liegenden.

Alle Gebäude sind aus rötlichem Lehm gebaut, so dass sich in Kombination mit den gerade weiß blühenden Mandel- und Obstbäumen, von der gegenüberliegenden Festungsruine aus gesehen, ein schönes Gesamtbild zeigt.  Ein ganz lebendiges Museumsdorf.

Nach einem kurzen Stopp an der sehenswerten Freitagsmoschee von Natanz mit der davorstehenden genauso sehenswerten riesigen und weit ausladenden uralten Platane besuchen wir einen Imbiss zum Mittagessen.

Das Essen ist bestenfalls mittelmäßig, der Preis allerdings gesalzen hoch für das Land. Ich vermute einen kleinen Betrug von Fahrer und Restaurantbetreiber, mag mich aber bei der Gesamtsumme von sechs Euro für uns beide wirklich nicht weiter aufregen.

Nach einer weiteren halsbrecherischen Stunde erreichen wir mein Gasthaus in Isfahan. Trotz des Beinamens "Traditional Hotel" ist es ein recht modernes, mittelmäßig verwohntes Haus für den allerdings unschlagbaren Preis von zehn Euro die Nacht -und das mitten im Zentrum. Ich werfe mein Gepäck ins Zimmer und mache mich auf für einen ersten Erkundungsgang.

Schnell wird klar, dass die Stadt interessant ist und eine Menge historisch und religiös bedeutender Bauwerke besitzt, aber den Titel als eine der oder sogar die schönste Stadt der Welt wohl heutzutage nur noch aus Marketinggründen trägt. Wie immer ist dabei sowieso vom Zentrum und vielleicht noch ein paar angesagten Stadtvierteln die Rede. Auf Grund fehlender Investitionen fangen aber hier schon, wie in den meisten Städten außer wirklich sehr wohlhabenden, kurz hinter den touristischen Highlights und den Haupteinkaufsgebieten die bröckelnden Häuser an. Auch in Isfahan gibt es zu viel Verkehr auf zu engen Straßen im Zentrum und wuchernde Hochhaus-Viertel zum Stadtrand hin. Gut ist die schon frühzeitig veranlasste Ansiedlung der reichlich vorhandenen Industrie außerhalb der zwei Millionen Stadt. So bleibt im Zentrum der Eindruck einer alten orientalischen Stadt mit lebendig interpretierter Geschichte erhalten. Durch den Basar und umliegende von Händlern und Handwerkern genutzte Ladenlokale entsteht Spannung. Das ist nicht wunderschön wie Venedig, aber dafür sehr interessant, mit tausenden Möglichkeiten zum Beobachten kleiner Alltagsgeschichten und vor allem ist es gelebte Stadt.

An meinem zweiten Tag muss ich herzhaft über mich selber lachen: Wie gestern gehe ich von meinem Hotel zu dem großen Platz, der mich entgegen der Beschreibung im Reiseführer und in einigen Blogs so enttäuscht hat, und möchte den alten Königspalast besuchen. Trotz längerem Suchen finde ich nur halbeingefallene Häuser und Baustellen. Sollte die Stadt tatsächlich den Palast eingeebnet haben?

Ich frage ein paar Leute, werde in die eine und andere Richtung geschickt, irre durch den Basar, bis sich ein junger Mann erbarmt und mich längere Zeit durch das Gewirr der Gassen führt. Die Geschäfte werden gepflegter, alles wirkt auf einmal sauberer und teurer, bis wir urplötzlich ans Tageslicht treten. ...Und da liegt er vor mir, der prächtige und riesige Meydan-e Imam, mit seinen gigantischen Ausmaßen von 524 x 160 Metern der zweitgrößte Platz der Erde. Zweistöckig laufen die Arkaden rund um den exakt rechteckigen Platz. In den Arkadengängen sind Unmengen von Geschäften angesiedelt. Ich habe einfach die Plätze verwechselt und ohne Karte meinen Fehler erst jetzt realisieren können...

Hier in den Geschäften darf nur Handgefertigtes angeboten werden: Teppiche, Schmuck, Porzellan, Schnitzereien und bedruckte Stoffe. Die Freifläche des Meydan-e Imam lädt mit ihren schmalen und breiten Wegen zum Flanieren ein. Kutschen warten auf Kundschaft, Bänke werden für Gespräche genutzt. Große Grünflächen und viele Büsche schaffen ein angenehmes Klima. In der Mitte steht ein großes Wasserbecken mit Springbrunnen. Am Abend picknicken Familien und treffen Freunde und Touristen zusammen. Die Hauptattraktionen, neben dem Platz selber, ist der etwas aus der Symmetrie verschobene alte Königspalast Ali Qapu, die gegenüber liegende kleinere Lotfallah Moschee, sowie die riesige, an der südlichen Kopfseite erbaute Masdjed-e Imam Moschee.
Der Königspalast besitzt eine große, auf den Platz weisende Terrasse. Achtzehn Holzpfeiler tragen ihr reich verziertes Dach. Der Ausblick über den Meydan-e Imam und die umliegende Stadt bis zu den Bergen ist überwältigend. Auch die  Masdjed-e Imam Moschee mit ihren kleinen und großen Höfen ist prachtvoll. Interessant, dass der Eingang der Moschee zwar symmetrisch in den Platz eingepasst ist, das Gebäude dann aber um 45° nach Südwest abknickt. Da der Platz zuerst da war, musste der Architekt zu diesem Trick greifen, um den Gebetsraum Richtung Mekka positionieren zu können.

Mein Tagesbuddy Hossein

Im angrenzenden Park begegne ich Hossein. Er spricht mich an, um ein paar Münzen gegen Rial Scheine für seinen jüngsten Enkel zu tauschen. Sehr freut er sich über einen in meiner Fototasche zurückgebliebenen Namibia Dollar. Er spricht ein passables Englisch und so setze ich mich neben ihn auf die Bank, um mir ein paar Geschichten über Stadt, Platz und seine Familie anzuhören. Hossein ist 86 Jahre alt, besitzt aber noch eine Menge Energie und Lebensfreude. Er lädt mich ein, am Abend ein Zurkhaneh zu besuchen. Übersetzt heißt das "Haus der Stärke“, wobei dieser Begriff eigentlich zu kurz greift. Wir verabreden uns für sieben Uhr.

In einem Zurkaneh finden traditionelle Kampfübungen der Männer statt. Ein abgesengter, mit einer Matte ausgelegter achteckiger Platz bildet das Zentrum. Drumherum sind Podeste für Zuschauer und der erhöhte Sitz des Morshed, eine Art Zeremonienmeister, sowie eines weiteren Trommlers. Am Rand stehen griffbereit die "Mil", bis zu 22kg schwere Holzkeulen. An den Pfeilern hängen mit Schellen versehene "Kabadeh", Metallbögen. Der Meister gibt durch das schnelle Schlagen der Zarb und das sparsam eingesetzte Klingeln einer Glocke den Rhythmus vor. Dabei zitiert er Hafis Gedichte und religiöse Texte. Das rituelle Programm geht von Liegestützen auf kleinen Holzbänken über tranceartiges, an Derwische erinnerndes Tanzen, Keulen- und Metallbogenschwingen bis zum gemeinsamen Schlussgebet. Der Morshed erinnert heute an die Opfer der Überschwemmungen in vielen Teilen des Iran und bittet die Sportler sowohl um Spenden als auch Gebete. Dann sprechen jeder Teilnehmer und der mit Schirmmütze und Anzug bekleidete Manager des Klubs persönliche Gedanken zu der Katastrophe aus.
Der Zurkaneh ist eine Stätte für die ganzheitliche Ertüchtigung von Körper und Seele. Eine soziale Instanz, deren stark spirituelle Ursprünge bis in vorislamische Zeit reichen.

Keulenschwingen für Fortgeschrittene

Mehrere Verwandte Hosseins nehmen an den Übungen teil. Alle schauen kurz vorbei und begrüßen uns höflich. Ich bin von dem gesamten Geschehen gefangen und verfolge alle Abläufe mit Begeisterung. Religion, Lebenseinstellung und Bewegung finden hier auf sehr spezielle Art zusammen. Heute ist diese Form der Ertüchtigung eine Subkultur, längst als Breitensport von Fußball, Gewichtheben und westlichen Varianten des Kampfsports abgelöst. Auch das Ringen, einst ein Teil der Übungen, hat sich schon vor langer Zeit als eigenständige Sportart aus dem Zurkaneh raus weiterentwickelt. Mir zeigt der Abend trotzdem viel über das von alters her gelebte iranische Verständnis von Spiritualität.
Hossein und ich gehen erzählend noch ein paar Straßenzüge durch das nächtliche Isfahan, bevor wir uns herzlich verabschieden und unsere Taxis mich ins Hotel und Hossein zu seiner leider schwer an Parkinson erkrankten Frau in einen Vorort der Stadt fahren.

Klimatechnik auf dem Basardach
Minarette im frühen Abendlicht
Zwei Schülerinnen
Kinderspass in den Straßen Isfahans
Hinter den Kulissen
Zuckerverkäufer
No items found.

Mir zufliegende Teppiche...

Das Armenierviertel um den Jolfa Platz ist ein wenig enttäuschend. Ich lasse mich vom Taxi bis zum Abbasi Hotel nahe der Hauptstraße Chahar Bagh bringen, um über eine der schönen Brücken auf die südliche Seite Isfahans zu gelangen. Da der Straßenbelag erneuert wird ist die Chahar Bagh momentan eine reine Fußgängerstraße. Gesäumt, wie sehr viele Straßen in der Stadt, von stattlichen Laubbäumen, hinter denen sich die Zweckbauten mit allem, was das Käuferherz begehrt, zum Glück recht klein ducken, ist sie so eine Oase der Ruhe. Ihre ohnehin großzügige Breite, die Unterteilung in beidseitige Fußgängerboulevards, Blumenrabatten und Straße, lassen sie fast wie einen langgezogenen, schmalen Park wirken. Der Zayandeh Rud führt viel Wasser.

Stilvoll am Meydan-e Imam

Noch vor einem Monat war das Flussbett, wie so oft in den letzten Jahren, ausgetrocknet. Die Übernutzung im Oberlauf lässt immer seltener genug Wasser hier ankommen. Durch das katastrophale Hochwasser in weiten Teilen des Landes ist dieses Jahr die Versorgung reichlich. In dem Park am Fluss sitzen eine Menge Leute und genießen das ungewohnte Bild. Ich setze mich eine halbe Stunde neben einen älteren Herrn, der mit einem kleinen Kofferradio traditionelle iranische Musik hört. Vor mir baden ein paar schwarz gewandete Frauen ihre Füße und genießen das laut lachend. Ein weiterer Mann setzt sich zu uns auf die Bank, teilt seine Chips mit Dipp an uns aus. Die südliche Flussseite ist genauso quirlig wie ihr nördliches Pendant. Wie fast überall in der Stadt laufen Menschenmengen an Geschäften entlang, hupen sich die Taxis ihren Weg frei. Ein wenig melancholisch bin ich und um des Gefühls Herr zu werden entschließe ich mich zu einem Friseurbesuch.

Das Team meines Vertrauens

Wahrscheinlich haben die schon passierten Barbershops mich auf die Idee gebracht. Außerdem ist Haarschnitt im Ausland immer ein kleines Erlebnis und zeigt einem die Eigenheiten des Landes. Ich entscheide mich für das Geschäft mit der lautesten Rap Musik. Drei Jungs empfangen mich und schalten erst einmal die Musik aus. Als ich sie bitte, das rückgängig zu machen, ist das Eis schon gebrochen. Fast eine Stunde werden meine Haare mit allem behandelt, was der Laden hergibt: Zuckerwasser, Haarspray, Gel... und am Ende bekomme ich noch die Augenbrauen in Form geschnitten. Die Frisur ist gelungen, auch wenn sich mein Haar momentan eher wie Gabelzinken anfühlt. Noch ein Foto vom Hairdesignteam meines Vertrauens und ich betrete, jetzt wieder mit einem fröhlichen Lächeln, die Straße.Das armenische Viertel entstand um 1600, als Schah Abbas 30.000 Armenier aus dem von Osmanen zerstörten Jolfa verschleppen ließ. Die Armenier waren gute Handwerker und Kaufleute mit Kontakten in alle Welt. Heute sind es vor allem ihre Kirchen, die das Viertel besuchenswert machen. Ansonsten gibt es den kleinen, quadratischen Jolfa Platz mit ein paar westlichen Boutiquecafés und eine von ihm weiterführende Straße mit relativ stylischen Läden. Wenn man kein Kirchenfan ist oder persönliche Gründe zum Besuch hat, kann man sich das auch sparen.Ich lasse mich vom Taxi ins Hotel zurückbringen und fahre nach einem kleinen Mittagsschlaf nochmals zum Meydan-e Imam.

Im frühen Abendlicht mit allen seinen Besuchern ist der Platz ein noch intensiveres Erlebnis. Ich lasse mich ein wenig treiben, höre mir die Träume von ein paar Jugendlichen an - fast alle wollen gerne nach Europa- und besuche einen der zahlreichen Teppichläden. Durch die unfassbare Inflation ist das Land für Besucher sehr preiswert, für die Einheimischen bedroht es die Lebensgrundlage. Eine Taxifahrt quer durch die Stadt kostet einen Euro, ein Essen im Restaurant mit frisch gepressten Säften liegt bei vier Euro. So sind auch die gezeigten Teppiche sehr günstig für ihre Qualität. Der Ladeninhaber, wieder ein Hossein, ist ein wirklicher Teppichhändler aus dem Bilderbuch: Eloquent, lustig und natürlich sehr geschäftstüchtig. Er erzählt mir von seinen drei Leben: eines hier am Rande des großen Platzes in seinem wirklich schönen Geschäft, das Zweite im Norden Spaniens und das dritte auf der Suche nach den guten Stücken in den Steppen des Iran. Sein Gehilfe legt währenddessen auf seine Anweisungen einen schönen Teppich nach dem anderen auf den Boden und zu jedem hat Hossein auch eine kleine Geschichte zu erzählen.

Hossein bei der Buchführung

Ich bin kurz vor Schwachwerden, verabschiede mich dann aber, um nicht mit Teppich weiter durchs Land ziehen zu müssen. In Teheran werde ich mich aber auf jeden Fall vor dem Rückflug noch einmal genauer auf dem dortigen Basar umschauen.Es gibt ein nach einigen Jahren Pause wieder eröffnetes Café links über dem Haupteingang zum Basar. Ich steige die Treppen hinauf, gehe durch einen kurzen Gang und dann liegt vor mir der ganze Platz mit seinen beleuchteten Baudenkmälern, seiner prachtvollen Weite, dem unwiderstehlichen Leben auf allen Flächen. Ich bestelle einen Kräutertee, halte einen Schwatz mit dem iranischen Ehepaar am Nebentisch und genieße die angenehme Temperatur. Durch die erhöhte Position darf sich jeder für eine kurze Zeit als König fühlen. Von hier erschließt sich die ganze Erhabenheit dieses Ensembles auf das Allerschönste, so dass ich lange verweile, bevor ich dann doch den Heimweg antrete.Nach dem Besuch eines der beiden letzten Gartenpaläste mit seinem gepflegten fünf Hektar großen Park und einem schmackhaften Mittagessen besuche ich Rastin, einen jungen Verkäufer aus dem Teppichgeschäft direkt am Basareingang.

Rustin, mein Kapitän durch die Nacht

Wir haben gestern ein paar Sätze gesprochen und uns auch heute zufällig kurz gesehen. Seine witzige und intelligente Art gefällt mir. Er ist ein Freidenker, lieber über ein Problem lachend, statt zu dramatisieren.Zwei Französinnen und ein holländisches Paar bekommen gerade Teppiche gezeigt. Während die Holländer gehen, gibt es einen Geschäftsabschluss mit den Französinnen. Überall liegt die Ware auf dem Boden, dazu Stapel neben Stapel die Wände entlang. Wir trinken zwei Glas Tee, erzählen dabei ein wenig aus unseren Leben. Rastin war Kfz-Mechaniker, danach Lkw- und Taxifahrer. Seit fünf Jahren ist er nun hier als Verkäufer angestellt. Eigentlich hat er Maschinenbau studiert, findet aber als Diplomingenieur keinen Job. Seine Deutschkenntnisse sind verblüffend, er hat sich die Sprache mit Hilfe des Internets selbst beigebracht und spricht fast akzentfrei, dazu grammatikalisch sehr korrekt.

Instandsetzung der Kuppel an der Masdjed-e Imam Moschee

Rastin ist unverheiratet. Brautgeld, Brautgeschenk und Hochzeitsfeier verschlingen Unsummen. Nicht selten wird inzwischen das Brautgeld gestundet. Trotzdem werden meistens noch hohe Schulden für das Fest aufgenommen. Da die Frau nach der Hochzeit meistens zuhause bleibt und nur der Mann arbeitet, ist es sehr schwer zu heiraten. Die Tradition steht so der gemeinsamen Zukunft oft im Weg.Mein Taxifahrer zum Hotel hat einen vollen und schön klingenden Tenor. Aus dem Nichts heraus fängt er an mir vorzusingen. Als ich mit einem Daumen hoch meine Begeisterung anzeige, trägt er die ganzen fünfzehn Minuten unserer Fahrt Lieder vor. Die der persischen Musik eigene Tonalität fasziniert mich und verschafft mir mein privates Erlebnis aus einer modernen Tausendundeiner Nacht. Ob es die Rufe des Muezzins, der Gesang des Morshed im Zurkaneh oder nun mein Taxifahrer ist, sie alle versetzen mich in einen träumerisch-melancholischen Zustand.Den obligaten Mittagsschlaf langsam hinter mir lassend, spaziere ich gemütlich durch mein Viertel. Kaum Menschen auf der Straße, die Häuser nach außen recht abweisend, genieße ich einfach die Ruhe und die schon gedämpfte Kraft der Sonne. Es zieht mich wieder zum Meydan-e Imam. Aber diesmal laufe ich die Straßen hinter der Lotfollah Moschee entlang. Hier ist schon nach wenigen Metern kein Tourist mehr zu sehen. Das warme Licht lässt mich nach Fotomotiven Ausschau halten. Ich sehe Vater und Sohn, die Pappkartons zerlegen und auf ihren Mazda Pick Up laden.

Aus der dahinter liegenden engen Unterführung kommt noch ein zweiter Vater mit seinen zwei Söhnen. Ich frage um Erlaubnis, fotografiere die Szene. Alle haben Spaß miteinander und wir lachen herzlich. Hier wird der Verpackungsmüll der Touristenläden am Platz weiterverwertet. Wahrscheinlich gibt es ein paar Rial mit der Kartonage zu verdienen.

Lieber geht nicht, danke für die Herzlichkeit!

Kinderarbeit ist hier des Öfteren zu sehen. Wie es mit dem Schulbesuch aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ich fürchte aber, dass Bildung in den armen Familien oft aus Not auf der Strecke bleibt. Der Anteil der Analphabeten ist allerdings seit der Machtergreifung der Mullahs deutlich gesunken.Es ist noch Zeit bis zur Verabredung mit Rastin aus dem Teppichladen am Basar und so gehe ich noch einmal in das Geschäft von Hossein in dem ich gestern ein paar schöne Arbeiten gesehen habe. Ein iranischer Teppichsammler ist außer mir der einzige Kunde. Er erzählt, dass er sein ganzes Erspartes immer in den Ankauf von Teppichen steckt. Manchmal zahlt er über einen langen Zeitraum Schulden ab.

Ein leicht schräger Vogel begegnet mir auf meinem Spaziergang

Ich schaue mir die drei schönsten Exponate vom gestrigen Abend noch einmal an und kann letztendlich nicht widerstehen zwei zu erhandeln. Wir beschließen den Kauf mit einem Tee und dann zeigt mir Hossein noch eine unglaublich feine Stickarbeit. Eigentlich ist mein Budget aufgebraucht, aber ich vergucke mich in das Stück und so werden wir ein zweites Mal einig, auch wenn ich diesen Kauf erst zuhause bezahlen kann. Hier gilt der Handschlag noch und scheinbar sieht er mich ich als Ehrenmann oder die Einnahmen sind so nötig, dass er mir vertrauen muss. Der Kauf wird von Hossein an mein Hotel in Teheran geschickt, damit ich auf der weiteren Reise unbelastet davon bin.Rastin und ich gehen in einen sehr schönen Innenhof, den ich, obwohl ganz in der Nähe des Basareingangs, bisher übersehen habe. Wir trinken Tee und unterhalten uns, als wären wir seit Jahren befreundet. Ein sechsjähriges Mädchen kommt an den Tisch und albert mit Rastin herum.

Sie verkauft hier noch um zehn Uhr abends ihre Kaugummis. Erst wenn alle Päckchen abverkauft sind, darf sie nach Hause. Trotzdem das auf mich sehr traurig wirkt, hat sie offensichtlich gerade viel Spaß und lebt den Moment. Sie nimmt Rastins Feuerzeug und spielt mit der Flamme, nachdem der letzte Bissen ihres Eises im Mund verschwunden ist.

Das Spiel mit dem Feuer wird früh gelernt

Wir fahren auf dem Roller durch das abendliche Isfahan. Mit dem Taxi ist das schon recht abenteuerlich, auf dem Roller kommt noch eine Schippe drauf. Rastin ist der erste, den ich hier mit Helm sehe und den muss ich aufziehen: "Deine Unversehrtheit ist mir wichtig!" Da ist sie, diese schon ein paar Mal erlebte totale Gastfreundschaft und Offenheit. Wir fahren in ein sehr gutes Restaurant und ich lade Rastin ein. Er versucht noch die Rechnung zu übernehmen, das weiß ich aber zu verhindern. So revanchiert er sich und fährt mich noch zurück zu meinem Hotel. Was für ein schöner und natürlich auch nachdenklich stimmender Abend! Ich bitte Rastin noch kurz zu warten, laufe in mein Zimmer und schenke ihm eines meiner Bücher, damit er sein Deutsch noch weiter verfeinern kann.Der schwarze Tee oder besser die fünf bis sechs Tassen Tee haben mir weitestgehend meine Nachtruhe gestohlen.

Pfeil zum Gebet Richtung Mekka

Recht unausgeschlafen dusche ich mich, packe verknautscht den Koffer. Ich bestelle beim Portier einen Fahrer für die Weiterfahrt nach Varzaneh und frühstücke meinen täglichen Schafskäse mit Gurke, Ei und dünnem Fladenbrot. Das Taxi lässt lange auf sich warten, mein Fahrer Said muss sich zunächst den Wagen seines Onkels ausleihen. Das eigene Fahrzeug ist in der Werkstatt. Er hat seinen Vater als Unterstützung mitgebracht. Mit anderthalb Stunden Verspätung geht es los, aber nur etwa hundert Meter. Dann bemerkt Said seinen fehlenden Rucksack. Er geht noch einmal ins Hotel und sein Vater wechselt schnell von der Rückbank auf den Fahrersitz. Scheinbar traut er den Fahrfähigkeiten seines Sohnes nicht so recht. Wir halten noch am Meydan-e Imam um Hossein meine Adresse in Teheran zur Anlieferung der Teppiche zu geben. Zurück am Auto finden wir Saids Vater mit Fladenbrot und Halvar auf meinem als Tisch genutzten Koffer vor. Er schmiert für uns drei Wegverpflegung....

Hinter den Kulissen ist das Chaos der Armut die Normalität

Die Fahrt aus der Stadt ist langwierig und chaotisch. Der Vater fährt wie meiner in seinen schlimmsten Zeiten: Im zweiten Gang bis achtzig und im vierten so untertourig, dass der Wagen buckelt. Trotzdem kommen wir voran und auf der Schnellstraße legt sich seine offensichtliche Nervosität auch etwas. Wir halten an einer riesigen Moschee im nirgendwo. Auf dem Vorplatz ist ein Markt aufgebaut. Ich möchte, während Saids Vater beten geht, etwas Obst einkaufen. Mir werden aber sowohl die Äpfel als auch das Stück Melone geschenkt. Alle Anläufe, meinen Schein noch an die Frau zu bringen scheitern. Ich setze mich in eine Nische in der äußeren Moscheewand und beobachte, wie auf dem Markt beim frisch aufkommenden, recht stürmischen Wind schnell eingeräumt wird. Eine Frau, wie fast alle hier auf dem Lande im schwarzen Tschador spricht mich an. Leider kann ich sie nicht verstehen. Sie geht lächelnd weiter, kommt dann aber zurück und zeigt auf ihre Tüte mit Äpfeln. Nach dem üblichen Anbieten, ablehnen, anbieten, ablehnen, anbieten nehme ich mir einen. Sie öffnet nun für mich sogar noch den Wasserhahn zum Abwaschen des Apfels. Die Gastfreundschaft ist manches Mal beschämend für mich. Mir begegneten hier so viel Freundlichkeit und Interesse wie nie zuvor auf meinen Reisen. Und auch wenn es an fehlenden Fremdsprachenkenntnissen oft scheitert oder einen das immer wiederkehrende "What´s your name?" und "Where are you from?" schon einmal anfängt zu nerven, gibt es doch immer wieder aufschlussreiche und wohltuende Gespräche und Gesten.Mehrmals müssen wir anhalten und den richtigen Weg erfragen. Aber schließlich erreichen wir das Havez Traditional Guesthouse.

Der Besitzer des Havez Traditional Guesthouse

Nachdem ich eingecheckt habe, bekocht mich der Besitzer mit Eiern, Gurken, Tomaten und Brot, weil ich unterwegs kein Mittagessen hatte. Nach und nach trudeln andere Gäste ein. Mathias und seine Frau führen seine Eltern anlässlich ihrer Goldhochzeit zwei Wochen durch den Iran. Sie selbst touren schon seit vierzehn Monaten durch die Gegend und wollen noch ein Jahr dranhängen. Ein Schwede ist seit zwei Jahren allein mit seinem Rad durch Okzident und Orient unterwegs und fährt von Yazd jetzt langsam nach Hause. Eine Iranerin hat einen Polen beim Couch Surfing in ihrer Teheraner Wohnung beherbergt und nun reisen die beiden zusammen durch die Provinz. Am Abend kommt noch eine Backpackergruppe aus der Tschechei dazu. Das Abendessen kochen immer Frauen des Dorfes, bringen es in unseren Innenhof und wir Gäste lassen es uns an einer großen Tafel gemeinsam schmecken. Genau wie am Abend wird auch das Frühstück mit Köstlichkeiten aus der Region gemeinsam eingenommen. Es gibt neben leckerer Sahne eine sehr schmackhafte iranische Variante des Spiegeleis und auch Karottenmarmelade fürs Brot. Die Atmosphäre ist sehr angenehm, alle Türen der um den Innenhof liegenden Zimmer sind offen und es kommt immer wieder zu Gesprächen auf den im freien stehenden bequemen Liegen. Wir fahren zu acht in zwei Autos zuerst in die Sandwüste und dann auf einen Salzsee. Als wir aussteigen herrscht stürmischer Wind und der Sand schmirgelt Haut und Kleidung. Wir kämpfen uns die Dünen hoch. Sandfahnen wehen ständig vom Grat hinab. Es ist schwer, überhaupt Fotos zu machen.

Der Mechanismus des Objektivs bewegt sich nach einigen Bildern schon merklich langsamer durch den überall hineinkriechenden feinen Sand. Mehr als eine halbe Stunde ist es nicht aushaltbar und ein gutes Stück des Weges zurück zum Wagen gehe ich rückwärts. Ich denke an die Hirten, die ich auf dem Hinweg gesehen habe. Wie sie wohl bei solchem Wind ihre Herde zusammenhalten?

Der Salzsee liegt auf dem einer Firma vom Staat verpachtetem Gelände. Hier wird periodisch Salz abgebaut. Das Eingangstor ist am Freitag verschlossen und so wird jemand herbeitelefoniert. Wir nutzen die Zeit zum Teetrinken bis ein Arbeiter in seinem verrosteten Auto vorfährt und uns gegen ein kleines Handgeld einlässt. Mit jedem Kilometer wird die Landschaft weißer bis ich ein Gefühl wie im Schnee habe. Leider können wir wegen der Regenfälle der letzten Wochen nicht zum totalen Weiß durchfahren. Dafür sehen wir mehrere große türkisfarbene Wasserlöcher, die durch die Arbeiten beim Salzbau entstanden sind. Knappe zwei Stunden laufe ich durch das Terrain bevor wir wieder in die farbigere Welt zurückkehren.

Im Hotel wartet nach einer Pause zum Salz abwaschen ein köstliches Mittagessen auf uns. Diesmal hat es die Schwägerin des Besitzers gekocht. Nach der obligaten kleinen Mittagsruhe setze ich mich auf eines der Podeste. Isaac aus Isfahan spaziert zusammen mit einem Schweizer ins Hotel. Sie unterhalten sich über den Einfluss von Drogen auf Kunst und Gesellschaft, ein Thema in das ich aus dem Off gerne und interessiert einsteige.  Wir sprechen über Stammesriten und kommen dann auf Hochzeitsfeiern zu sprechen. Isaac erzählt als Schlusspointe, dass in seinem Dorf die Hochzeiten meistens mit einer Schlägerei oder zumindest in schwer erhitzten Debatten über sonst unter der Oberfläche schwelenden Konflikten enden. Das sei dann immer der Punkt aufzubrechen. Auch die beiden verabschieden sich schließlich und ich lese weiter in meinem Krimi, den ich auf dem Bücherbrett des Gasthauses gefunden habe.Alle anderen Gäste zelten heute in der Wüste, so habe ich das Haus alleine für mich, zusammen nur mit dem 91-jährigen Vater des Besitzers - fast... Nachdem ich mir gerade in der Küche ein karges Abendessen aus den übriggebliebenen Zutaten des Frühstücks zubereitet habe, kommen plötzlich mehr als zwanzig Menschen in den Innenhof. Frauen, Männer, Kinder und zwei Babys - es sind drei Familien aus Isfahan, die hier einen Wochenendurlaub machen. Einer kennt einen, der einen kennt, der verwandt ist mit dem Besitzer und so wollen sie den renovierten Platz einmal besichtigen. Alles wird genau angeschaut, einschließlich meiner Person.

Starker Wind läßt den Sand die Kontrolle übernehmen

Auch mein Essen wird begutachtet, ein wenig Mitleid kommt auf. Zugegeben, ich habe bei Zubereitung und Dekorierung nicht allzu viel geleistet. Jeder möchte etwas wissen, aber wie so oft steht die Sprachbarriere im Weg. Eine Frau aus der Gruppe kommt hinzu. Sie spricht ein gutes englisch. Zu ihr und ihrem Mann gehören die beiden Babys. Selbst ein paar Sätze deutsch spricht sie und erzählt mir, dass sie Geologin ist und bis zu ihrem zweiten Kind noch an einem Institut gelehrt hat. Das Foto meiner Familie auf dem Bildschirm wird jetzt bestaunt und ich bekomme alle Kinder vorgestellt und die Verwandtschaftsbeziehungen werden geklärt. Wir lachen viel und erzählen einiges. Irgendwie kommen wir auf Trumps Beschluss, die Revolutionsgarden zu Terroristen zu erklären. Ein Mann holt seinen Ausweis hervor und beschuldigt sich, er sei ein Terrorist. Auf dem Ausweis ist er als Revolutionsgardist zu sehen. Wir sprechen kurz darüber, wie das gesamte Parlament- bis auf die weiblichen Parlamentarier- auf Trumps Beschluss hin am nächsten Tag in den Uniformen der Gardisten vor die Kamera getreten ist. Alle erklären wir uns zu Terroristen und lachen herzhaft. Schließlich werde ich von Frauen, Männern und Kindern mit high five verabschiedet. Ich bin wieder allein mit dem alten Vater. Kurz schaut noch die Schwiegertochter rein, bringt ihm Abendessen vorbei. Was für ein manchmal beängstigendes, dann wieder lustiges und für mich stets seltsames Land!

Stylischer Tourist am Eingang der Moschee
Innenhof der  Masdjed-e Imam Moschee
Pappesammler
Vater und Sohn
No items found.

Von Isfahan nach Yazd...

Es ist an der Zeit aufzubrechen. Mein Fahrer wartet schon und so verabschiede ich mich vom Team des Havez Traditional Guesthouse, nehme mein Gepäck und mache mich ich auf in Richtung Yazd.

Farbe auf grauem Belag

Von der Ebene fahren wir langsam in das Gebirge. Der Himmel ist blau, die Luft aber voller Staub und Sand wegen des immer noch starken Windes. Wir halten zwischendurch in Chakchak, einem bedeutenden Wallfahrtsort der Zarathustrier. Steile Treppen führen zum im Eingang eines Tales liegenden Feuertempel. Ein überwältigender Ausblick über das gesamte Tal und die umliegenden Berge lässt uns wiederholt auf dem Weg nach oben innehalten. Der lautmalerische Name Chakchak kommt von der tropfenden Quelle, die ebenso wie der uralte Baum zu den Heiligtümern des kleinen Tempels zählen. Seit Jahrhunderten brennen hier durchgehend kleine Flammen, es werden Kräuter und Sandelholz verbrannt. Die noch heute in der Gegend um Yazd anzutreffenden Zarathustrier sind eine das Feuer verehrende, aus vorislamischer Zeit stammende, religiöse Gemeinschaft. Der altiranische Prophet Zarathustra, als Begründer ihrer Religion geltend, lebte etwa achthundert vor Christus in Ostiran oder Westafghanistan. Heute gibt es die größte Gemeinde bei Mumbai in Indien. Im Iran zählt man noch etwa 30.000 Zarathustrier.
Zum Komplex des Tempels gehören auch schlichte kartonartige in den Berg geschlagene Aufenthaltsräume. In einem hat eine Gruppe junger Leute ihr Lager aufgebaut. Sie kochen, spielen Karten und ein Paar tanzt zu modernem Elektropop. Ich tanze kurz mit, bekomme lachend Applaus, fotografiere dann noch kurz die sich in Pose setzende Gruppe.

Tempel mit weltlichen Tönen

Wir fahren weiter nach Kharanaq. einer Ruinenstadt mit Karavanserei in einem landwirtschaftlich genutzten Tal. Der Kontrast, den die tiefgrünen Felder zu den braunen Lehmbauten und dem kahlen Gebirge bilden ist Balsam für die Augen. In den Ruinen dürfen wir herumklettern, nur vor einem Einsturz der recht brüchigen Lehmkuppeln müssen wir uns hüten.

Zurück auf der Schnellstraße nimmt der Verkehr mit jedem Kilometer, den wir uns Yazd nähern, zu. LKW-Kolonnen schieben sich in beide Richtungen. Wir fahren durch den üblichen Gürtel von Werkstätten ins Stadtzentrum.

Spendensammelaktion auf iranisch

Die Altstadt von Yazd ist UNESCO Weltkulturerbe. Das Gesamtensemble ist fast ausschließlich vor langer Zeit in Lehm erbaut worden. Von der Dachterrasse des Yazd Art House kann ich sehr schön die türkisenen Kuppeln der Moscheen und vor allem die für Yazd so typischen Badgirs sehen. Diese rechteckigen, über das Haus hinausragenden Windtürme dienen der Kühlung durch Luftzirkulation - eine uralte Form der Klimaanlage. Während der eine Zug die Luft ansaugt, gibt der andere die aufgewärmte Luft wieder ab. So entsteht in den alten Häusern der Wüstenstadt ein angenehmes Raumklima, vor allem in den heißen Sommermonaten. In Kaschan hatte ich schon welche gesehen und kurz beschrieben. Hier aber bilden sie durch ihre Vielzahl ein prägendes Element der Architektur.

Französische Familie auf der Terrasse

Nachdem ich einen Spaziergang durch die Gassen gemacht habe, komme ich zum Sonnenuntergang zurück auf die Dachterrasse. Jemand spielt verschiedene Saiteninstrumente, alle drei Ebenen hier oben sind voller Menschen. Touristen aus dem In- und Ausland unterhalten sich mit den Einwohnern der Stadt. Die Kameras werden hin und her geschwenkt, unzählige Bilder der Dachlandschaft, Selfies und Gruppenfotos geschossen.

Der warme Wüstenwind schmeichelt sich um alle Besucher des Cafés herum. Langsam wird das Blau der Dämmerung zum Schwarz der Nacht. Die Strahler, auf die Kuppeln der Moscheen gerichtet, lassen diese wie blaue Bojen aus dem Meer der Dächer herausleuchten. Noch ein Zitronensaft und ein kleiner Schokokuchen, dann breche ich auf.

Auf dem Heimweg schaue ich in der Freitagsmoschee vorbei. Sie ist ein Ort des Lebens, der Innenhof um diese Uhrzeit gut gefüllt mit sich unterhaltenden Menschen, spielenden Kindern und ein paar staunenden Touristen. Die Straße vor der Moschee mit ihren vielen Geschäften führt mich am Uhrenturm vorbei aus der Altstadt hinaus in den Verkehrstrubel des neuen Zentrums. Heute wird der Geburtstag des 12. Imams gefeiert. An allen Ecken stehen Männer und verteilen Rosenwasser in Plastikbechern. An mehreren Stellen liegen große Teppiche auf dem breiten Gehweg. Alte Frauen sitzen hier und schauen, sich miteinander unterhaltend, dem Geschehen zu. Ich biege in meine etwas ruhigere Seitenstraße ein und mit dem Schritt in den Innenhof des Hotels bin ich zurück in meiner Oase der Ruhe.
Durch den Rauchgeruch in meinem Zimmer habe ich sehr schlecht geschlafen. Die vom Wind durch den Kamin geführte Luft bläst unangenehm in die kalte Asche. Schon um vier Uhr bin ich deshalb wach und setze mich mit Computer in die wunderschöne alte Eingangshalle. Nach dem Frühstück bitte ich um ein neues Zimmer, leider sind alle belegt. So packe ich meinen Koffer, stelle in bei der Rezeption ab und lasse die Zimmertür zum Durchlüften offen stehen.

Ich spaziere durch das morgendliche, fast menschenleere Yazd. Kaum jemand ist unterwegs, kein Autoverkehr, keine Fußgänger. Heute ist iranischer Feiertag, die Menschen lassen es offensichtlich gemächlich angehen. Gegen Mittag finde ich einen sehr schönen Innenhof mit Bäumen, Wasserbecken und gemütlichen Sitz- und Liegeflächen. Der Besitzer betreibt hier mehrere kleine Läden neben seinem Restaurant. Ich genieße den kühlenden Schatten nach der Sonne in den engen Gassen. Zweimal nicke ich kurz über meinem Buch ein. Der wenige Schlaf macht sich bemerkbar. Ein leckeres Essen und zwei frische Orangensaft später bin ich ausgeruht zurück auf der Straße. Ich laufe noch eine kleine Runde und gehe dann zurück ins Hotel.

Mit geschicktem Wurf fliegen die Fladen an die Ofenwand

Die Rezeption hat nun doch noch ein Zimmer für mich und so kann ich nach einer kurzen Wartezeit, die ich zum Bilder von Kamera auf Computer überspielen nutze, umziehen. In meinem alten Zimmer sind schon drei Ventilatoren aufgebaut, um dem Geruch beizukommen. Ich bin froh hier keine weitere Nacht bleiben zu müssen und genieße meinen neuen Raum.
Am späteren Nachmittag finde ich auf dem Dach eines kleinen Hotels eine weitere sehr schöne Fläche zum fotografieren. Das Licht ist ideal und die Luft mit dem Nachlassen des Windes klarer geworden. Ich habe den 360° Panoramablick ganz für mich allein und fotografiere ausgiebig die Stadt vor hoch aufragenden Bergen in der Ferne. Auf den höchsten Gipfeln sind selbst hier noch Schneereste als letzte Zeugen eines strengen Winters zu sehen. Ein toller Kontrast zu den, allerdings nur durch das Teleobjektiv wahrzunehmenden, Dünen am Fuß der Berge.

Verschiedene Türklopfer für die weiblichen und männlichen Hausbewohner


Ich wechsele zu dem Café vom Vorabend und bestelle einen der mir hier lieb gewordenen Granatapfelsäfte. Für die Früchte in hervorragender Qualität ist die Provinz Yazd berühmt. Der recht süße Geschmack mit den sauren Noten passt hervorragend zum warmen Klima. Noch lange nach dem Schlucken ist ein leichtes Prickeln im Hals spürbar und belebt den Organismus. Das Café ist um diese Zeit des Tages Treffpunkt für die Gäste der Stadt.

Französische Reisegruppe mit Reiseleiter im Café

Das bunte Gemisch verschiedener Nationalitäten unterhält sich in allen möglichen Sprachen. Den Großteil aber machen eindeutig Franzosen, Iraner und Deutsche aus. Überraschend oft sehe ich europäische Familien mit noch recht jungen Kindern. Ich setze mich zu einer Gruppe aus Deutschland. Es sind zwei Brüder, der eine mit Frau, und zwei Kinder. Die Tochter des einen steht vor den Abiturprüfungen im Mai und so erzählt sie von ihren kleinen Ängsten. Es ist lustig, mitten in einer fremden Familie zu sitzen und über deren Leben etwas zu erfahren.

Touristen aus dem In- und Ausland

Das Café hat drei Ebenen, zwei zum Sitzen und Trinken und als Aussichtsplattform zum Schauen und Fotografieren. Ich stehe mehrere Male vom Tisch auf und fotografiere Menschen auf der Plattform. Hier haben alle Ferienlaune, selbst die, die gar keine Ferien haben. Jeder kann jeden ansprechen und oft werden die Kameras ausgetauscht, damit Paare oder Gruppen vollzählig auf ihren Bildern erscheinen. Auch die iranischen Frauen kann ich ansprechen ohne mich seltsam zu fühlen. Es ist ein bemerkenswert offener Platz des Austausches.

Leuchtender Stein sorgt für Wüstenstimmung


Ich bekomme selbst hier in der Provinz das Gefühl, das sich in den letzten Jahren die Rolle der Frau in der Gesellschaft geändert hat. Sie zeigen ein solches Selbstbewusstsein und so wenig Scheu, wie ich es nicht erwartet hätte. Öfters lassen sie sogar in Restaurant oder Hotel ihr Kopftuch auf die Schulter herunterrutschen. Das kann im Iran noch immer mit Haft oder zumindest einer großen Menge Ärger geahndet werden. Dennoch scheinen viele Frauen - und auch junge Männer - die erlaubten Grenzen bewusst zu dehnen, um das Regime herauszufordern oder sich ein bisschen zusätzliche Freiheit zu verschaffen. Es wird interessant zu sehen, ob der Staat dem Druck der Jugend nachgibt oder versucht weiter mit schweren Repressionen dagegenzuhalten. Durch die schlechte wirtschaftliche Lage, hervorgerufen durch Missmanagement und dem Boykott des Westens, ist das ultrareligiöse Regime in die Defensive gedrängt und hat nicht mehr so viel Rückhalt in der Gesellschaft wie noch vor einigen Jahren. Die Zahl der regelmäßigen Moscheebesucher ist stark rückläufig. Und auch unter den Orthodoxen gibt es natürlich Reformwillige und Hardliner. Die jungen, oftmals gut ausgebildeten Menschen drängen nach Veränderung, wollen meistens aber auch raus aus dem Iran in die reichen Länder des Westens immigrieren, um dort ihrer Ausbildung angemessene Arbeit zu finden. Sie sehen in der augenblicklichen Lage kaum Zukunft für sich und so gibt es auch nicht viel für sie zu verlieren. Die Unruhe ist deutlich wahrzunehmen und die öfters gegenüber mir geäußerte Kritik ist durchaus deftig und ein klares Zeichen ihres Aufbruch Wunsches.

Blick im Abendlicht über die Dächer Yazds


Am Morgen warte ich auf Arzaneh von Iran Travel, die mir eine fünftägige Reise mit Guide zusammengestellt hat. Ich muss meine Tour bar bezahlen, weil es auf Grund der Sanktionen nicht möglich ist, Geld in den Iran zu transferieren. Sie lässt mich den Vertrag unterschreiben, ich zahle und wir treffen vor der Tür Hassan, meinen Fahrer. Die beiden wirken recht vertraut. Später erfahre ich, dass Hassan der Schwiegervater von Arzaneh ist. Ein Familienunternehmen, in dem ihr Mann und der Schwager ebenfalls beteiligt sind.

Abschied nehmen von Yazd

Zum Glück sieht das Auto gut gewartet aus und Hassan spricht ein sehr feines Englisch. Auf dem Weg nach Meymand halten wir an einer uralten Lehmburg. Bis vor etwa fünfzig Jahren wurde sie bewohnt, heute ist es nur noch ein Ausflugsziel. Ich denke an Jimi Hendrix´ "Castles built of sand". Hassan erzählt mir einiges über die iranische Geschichte und wir lernen uns auch schon ein wenig besser kennen, während wir von uns berichten.

Wir halten an einer renovierten Karawanserei. Unter Schah Abbas wurden die Handelsrouten ausgebaut und in dem Zuge auch alle fünfundzwanzig Kilometer, die Tagesetappe eines Kamels, Unterkunftshäuser für die Reisenden errichtet. Es gab drei Kategorien der Unterkunft: Für die ärmeren den Schlafsaal, für die etwas reicheren das Einzelzimmer zum Innenhof und für die wohlhabenden Reisenden die Mehrzimmersuite.

Diese Karawanserei ist rund erbaut, um so den hier oft starken Winden möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Nach einem Mittagessen in der unattraktiven Provinzstadt Schahr-e Babak, in dem ich die ungepflegteste Toilette meiner bisherigen Reise benutzen muss, fahren wir die restlichen dreißig Kilometer bis Meymand.
Das Dorf ist über dreitausend Jahre alt und seit 2015 als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Inzwischen sind einige der in den Felsen gegrabenen Häuser für Touristen hergerichtet. Während noch vor vierzig Jahren mehrere tausend Menschen hier lebten, sind es heute unter hundert, überwiegend Alte die ausharren. Ein paar treffen wir bei einem Rundgang durch die Siedlung.

Seltsame Luftverdichtung auf dem Weg...

Die Höhle, in der ich übernachten werde, hat keine Stehhöhe und ist wie auch alle anderen von innen völlig rußgeschwärzt. Aber es sind Teppiche ausgelegt, es gibt Strom und so sorgt ein Radiator für die nötige Wärme.

Tagesnotizen in der Wohnhöhle

Ludovic, ein Franzose aus der Nähe von Paris, ist mit seinem Bruder das letzte halbe Jahr mit dem Fahrrad bis hierher gefahren. Er hatte geglaubt, die Höhlen wären verweißt und sie könnten hier einfach so schlafen. Sarjad, die hier fünf Häuser vermietet, hat die beiden daraufhin eingeladen umsonst in einer ihrer Höhlen zu übernachten- nur weil sie ein Herz für Radfahrer hat!

Ludovic

Während Ludovic und ich uns angeregt unterhalten, kommt die Gastgeberin und lädt uns zum Tee in ihre Höhle ein. Hier sitzen auch schon Amir und sein Bruder aus dem nordwestlichen Iran. Ludovic und ich tauschen einige Radfahreranekdoten aus, während auf einer Art mit Kerosin betriebenem Samowar der Tee in seinem verrußten Kessel köchelt. Reihum auf den Teppichen sitzend ist es direkt sehr gemütlich. Geschichten aus aller Welt werden erzählt und Sarjad deckt kleine Teller und Messer für die rumgereichten Orangen und Äpfel. Stunden sitzen wir zusammen, bevor Hassan und ich uns zurückziehen. Wir möchten uns noch ein wenig vor dem Essen ausruhen.

Sariad und der etwas unheimliche Kocher...

Unsere Köchin holt uns zum Abendessen. Zum immer noch starken Wind gesellen sich jetzt auch Regen und die abendliche Kühle. Hassan läuft im Hemd und ich in Sandalen zum Gastzimmer. Das leckere Essen wärmt uns zusammen mit dem obligatorischen Tee wieder auf. Wir unterhalten uns nur noch kurz, da Hassan leider von Zahnschmerzen geplagt wird. Ich wünsche im vor seiner Höhle eine ruhige, möglichst schmerzfreie Nacht.

Hassan, noch tapfer seine Zahnschmerzen unterdrückend

Dann ziehe ich mich in meine zurück und schaue mir noch ein paar Jahre Bilder aus meiner ewigen "Haus und Familie"-Serie an. Der Titel stammt von meinem Vater, der diese Fotos so von den Urlaubsbildern getrennt aufbewahrte. Ich habe den Namen mit einem Zwinkern übernommen. Immer noch etwas traurig gucke ich die Aufnahmen von Tomms Geburtstag und den letzten Ausflug mit meinem Vater vor seinem Tod an. Aber immerhin sieht man ihm, trotz seiner zu diesem Zeitpunkt schon sehr angegriffenen Gesundheit, noch den Spaß an einem Tag mit seiner Familie an. Er fehlt mir.

Endlich bekomme ich einen Anruf von Anke. Ich freue mich sehr ihre Stimmen zu hören und ein bisschen aus ihrem Urlaub mit Tomm und Eddy berichtet zu bekommen. Das Gefühl, in einer zwei- bis dreitausend Jahre alten Wohnhöhle zu liegen und durch das Handy mit der Familie in Deutschland verbunden zu sein, lässt mich schmunzeln. Was mag sich über die Jahrhunderte hier zugetragen haben? Geburten, Sex, Tod, Leid und Freude, Hass, Missgunst, Tragödien, vielleicht ein Mord.... Ähnlich wie die 2400 Jahre alte Zypresse, an der wir heute angehalten haben, hätte dieser Raum bestimmt vieles zu erzählen- wenn er denn nur könnte!

Landschaft um Meymand

4.49 Uhr ist es, als ich es, von der Toilette kommend, aufgebe weiteren Schlaf zu suchen. Mein Tagebuch der E-Bike-Tour nach Portugal erzählt mir seine Geschichte und bringt verschüttete Bilder zurück ins Bewusstsein. Die ersten Sonnenstrahlen lassen mich in meine Kleidung steigen und einen kleinen Rundgang durch das Dorf starten. Das gute Licht nutzend fotografiere ich ein paar der Höhleneingänge. Ich laufe noch ein wenig aus dem Dorf heraus und finde den Friedhof. Neben schon moderneren Grabmälern gibt es auch noch sehr einfache, nur durch ein paar Steinplatten markierte.

Augenblicklich leben nur zwanzig Menschen im Ort. Etwa achtzig weitere sind für die ersten vier Monate des Jahres mit den Ziegenherden auf den umliegenden Weiden. Von Mai bis August sind dann fast alle im Dorf, um die Gemüsegärten zu pflegen solange der Bach genügend Wasser hat. In den letzten vier Monaten des Jahres verbringen die Dorfbewohner die meiste Zeit in den Höhlen, um der Kälte trotzen zu können. In diesem Abschnitt fertigen sie Handarbeiten für sich und die Märkte an.

Einwohnerin von Meymand

Nach dem Frühstück starten Hassan und ich in unseren zweiten Tag. Es läuft gut mit uns, wir erzähle einiges und schweigen auch angenehm miteinander. Eine Polizeikontrolle stoppt unsere gemeinsame Harmonie. Hassan ist zu schnell gefahren, wir müssen anhalten. Alle freundlichen Versuche inklusive umarmen scheitern und so zeigt Hassan seine Papiere und bekommt für seine acht Kilometer zu viel die recht hohe Strafe von zwei Millionen Rial, vierzehn Euro aufgebrummt. Wir teilen uns das Bußgeld und er bedankt sich recht gerührt.

Ein kleiner Teil des Dorfes Meymand

Ich nutze noch die Gelegenheit und bitte die Polizisten ein Foto zur Erinnerung schießen zu dürfen. Eine Abfolge von Handyschnappschüssen in verschiedenen Konstellationen ist die Folge. Eigentlich wird davor gewarnt, Polizei oder Militär zu knipsen, aber mit etwas Charme und durch das von ihnen gezeigte Interesse ist es hier möglich. Auf meine Frage, ob es nicht auch ein kleines Schmiergeld getan hätte, erklärt mir Hassan, dass Korruption in dieser Form im Iran nicht existiere und der Versuch üble Strafen nach sich ziehe.

Kurz vor Knolle...

Wir fahren nach der unfreiwilligen Pause weiter bis Rafsanjan und treffen an einer Moschee unseren Guide für ein Barbecue im Canyon von Raggeh. Von der Hauptstrasse abbiegend folgen wir einer kaum wahrnehmbaren Staubpiste für eine Stunde in die Wüste. Mehrere Weggabelungen sorgen für Verwirrung und einmal verfahren wir uns leicht. Das Gelände ist absolut eben und trotzdem erkennen wir die Abbruchkante erst hundert Meter vorher an einer kleinen Verschiebung in der Landschaft. Hassan ist wegen der Steine und den Bodenunebenheiten in Sorge um sein Auto und deshalb erleichtert, als wir das Ziel erreichen. Wir packen alles für unser Picknick aus dem Kofferraum und steigen einen Serpentinenweg hinab zum tief eingeschnittenen Fluss.

Das gluckernde Wasser und die grünen Bäume bilden eine Oase gegenüber der nur von ein paar spärlichen Pflänzchen bewachsenen Ebene. Wir entfachen ein kleines Feuer, legen vorsichtig Kohlen nach und spießen die marinierten Hühnerstücke auf. Immer wieder müssen wir unser Essen gegen den vom böigen Wind mitgetragenen Sand schützen. Auch wenn es ein klein wenig in den Zähnen knirscht, schmeckt es uns dreien vorzüglich. Anders als ein paar Trupps vor uns packen wir alles wieder ein und machen uns auf den Rückweg.

Irgendwo geradeaus liegt der Canyon von Raggeh versteckt

Generell liegt im Land nicht viel Müll herum. An den Schnellstraßen um die Versorgungsstationen mit ihren vielen Läden und vor der Einfahrt in die Städte sind es hauptsächlich Tüten und auch anderer Verpackungsmüll, der das Auge stört. Leider ist im Canyon durch den hohen Wasserstand im Winter und durch andere Besucher schon etwas zu viel liegengeblieben. Das stört an diesem ansonsten so idyllischen Ort. Laut dem Guide wird jeden Donnerstag der Müll abgeholt, da hier freitags die Einheimischen gerne picknicken. Warum nicht jeder einfach seinen Abfall direkt selber entsorgt, erschließt sich trotzdem nicht.
Beim Absetzen des Guides treffen wir Ludovic wieder. Er und sein Bruder mussten heute ihre Fahrt abbrechen und sich von einem Pick Up mitnehmen lassen. Der Wind ließ sie teilweise nicht mehr vorwärtskommen und der Sand ist ihnen in alle Öffnungen geflogen. Umringt von mehreren Iranern, die die beiden gerne nach Hause einladen möchten, sitzen sie auf einer Decke. Aufgrund fehlender Sprachkenntnisse verstehen die Iraner nicht, dass der Pick Up, der Ludovic und seinen Bruder bis hierher gebracht hat sie später auch weiter bis Kerman mitnehmen wird und sie deswegen den Platz nicht verlassen wollen. Hassan erklärt ihnen die Situation auf Farsi und wir verabschieden uns ausgiebig bevor wir uns auf den Weg in die Stadt machen.

Blick von Chakchak, dem Wallfahrtsort der Zarathustrier
Die Altstadt von Yazd
Badgirs im Abendlicht
Vier Schwestern auf Tour
Polizei bei der Arbeit
No items found.

Glück im Unglück vor den Kalouts...

In Kerman wollen wir ein Schuhgeschäft finden. Ich habe vor drei Tagen in Varzaneh meine gut eingelaufenen, allerdings auch nicht mehr völlig intakten Wanderschuhe stehen gelassen. Der Besitzer des Hotels hatte mich kurz vor Yazd noch angerufen. Leider habe ich wegen der Lautstärke im Auto statt "shoes" "shirt" verstanden und gesagt, er solle das irgendjemand geben. Als ich bemerkt habe, um was es sich wirklich handelte, war es sowohl des Weges als auch meiner Reaktion wegen zu spät um etwas zu ändern.

Gut beladener Pickup auf dem Weg nach Kerman

So stehe ich jetzt in einem Schuhgeschäft und probiere ein paar Adidas Trekkingschuhe an. Die schlechte Verarbeitung und zuletzt auch der Preis von umgerechnet zwölf Euro machen mich stutzig. Hassan erklärt lachend, die Schuhe würden im Iran hergestellt und der Preisunterschied zu echten Adidas resultiere eben genau daraus. Also ein Fall von Produktpiraterie. Für Hassan ist die Lage klar: Die Möglichkeit des Herstellens besteht. Die echte Firma ist wegen des Boykotts nicht im Lande vertreten. Also besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.... So erklärt sich wohl auch die Anwesenheit amerikanischer Marken wie Nike, Pepsi oder Coca-Cola. Ähnlich China gibt es offensichtlich wenig Kontrolle durch den Staat und keine Einsicht in der Bevölkerung für die Problematik des unerlaubten Kopierens von Markenartikeln. Andererseits lässt sich auch argumentieren, dass es schwer genug ist im Iran noch eine Familie zu ernähren, weshalb Markenpiraterie vielleicht zu vernachlässigen ist…. Gespannt sehe ich dem Belastungstest meiner iranischen "Adidas“-Schuhe entgegen.
Ich bekomme von Hassan noch den zu einem kleinen Museum umgebauten alten Hamam, das Basar-Viertel und ein wunderschönes Teehaus gezeigt. Hier werden, vielmehr als ich es bisher wahrgenommen habe, Wasserpfeifen geraucht. Sogar die Frauen ziehen eifrig an blubbernden Geräten und stoßen große Rauchwolken aus. Ich habe über den Versuch gelesen, das Rauchen der Wasserpfeife in den Cafés zu verbieten. Angeblich auch, weil immer mehr Frauen beim Rauchen anzutreffen sind und das dem Regime ein Dorn im Auge ist.

Eine Menge Rauch für das System

In Kerman wird der Wunsch eindeutig ignoriert. Eine kleine Band spielt interessante traditionelle Musik und wir lassen uns in dieser schönen Atmosphäre unseren schwarzen Tee schmecken. Hassan erzählt mir von den vielen Afghanen in der Stadt. Flüchtlinge und Schmuggler aus dem Nachbarland prägen die Stadt mehr als anderswo. Opium wird von hier weiter ins Land gebracht und über die Türkei schließlich auch nach Europa eingeführt.
Unser Guesthouse ist gegenüber der Wohnhöhle recht sauber. Von dem "super clean" in der Beschreibung des Reiseveranstalters ist es allerdings noch weit entfernt. Wir bestellen unser Abendessen und duschen erst einmal ausgiebig den Sand von unseren Körpern. Wie schon so oft fällt die schlampige Verarbeitung der Materialien ins Auge. Die Armaturen hängen zwei Zentimeter aus der Wand, die Fliesen sind schlecht gefugt und an allen Kanten wird gepfuscht. Da ich die hohen deutschen Standards gewohnt bin, zieht sich diese Beobachtung durch das ganze Land. Ob es an der Ausbildung der Handwerker liegt oder einfach kein Interesse für akkurate Arbeit besteht, kann ich nicht sagen. Bestimmt hat es auch mit dem zur Verfügung stehenden Geld zu tun. Aber das allein ist es nicht. Die teilweise fehlende Sauberkeit ließe sich so auch nicht erklären. Es ist eine Frage des Wohlstands. Unsere schon zu Allergien führender Sauberkeitswahn ist allerdings bestimmt auch nicht mit den natürlichen Umständen im reinen...

Die ersten Kalouts

Ich freue mich auf die Kalouts. Ein UNESCO Weltkulturerbe geformt aus Wind, Wasser und Sand. Bizarre, hoch aus ihrer Umgebung ragende Felsformationen auf einer Fläche von 16.000 Quadratkilometern in der heißesten Wüste der Welt.
Aber zuerst besuchen wir am Morgen Baq-e Shahzadeh, ein Ende des 19. Jahrhunderts errichteter prachtvoller Garten. Sein geometrischer Aufbau wird durch den alten Baumbestand aufgelockert. Die von einer ergiebigen, aus den Bergen kommenden Quelle gespeisten treppenartig aufsteigenden Becken führen vom Eingang aufwärts bis zu einem kleinen, aber sehr schönen Palast. Wasserspiele sind in einer so trockenen Gegend immer großer Luxus und auch Anziehungspunkt. Wir genießen diese angenehme gartenarchitektonische Abwechslung.

Der kleine Palast des Baq-e Shahzadeh

Der Weg führt uns über das Gebirge Richtung Shafiabad, der letzten Siedlung vor der Lut Wüste. Hassan kommt mir ein bisschen fahrig vor, ich fühle mich nicht so sicher wie die letzten Tage. Er streicht sich immer wieder über das Gesicht, als wenn er müde wäre. Nachdem ich mir das einige Minuten angesehen habe und er aus meiner Sicht auch noch sehr dicht an einer alten Frau vorbeifährt, bitte ich ihn um eine Teepause. Meine verschwitzten Hände trocknen wieder, wir unterhalten uns und genießen die Aussicht auf die vegetationsfreien braunen Berge.
Wie schon oft in den letzten zwei Tagen bitte ich Hassan mich für ein Foto aussteigen zu lassen. Ein ausgetrocknetes Flussbett hat meinen Blick auf sich gezogen. Ich gehe noch ein bisschen weiter die Straße entlang, um eines dieser typischen Bilder einer endlos scheinenden Straße mit Telefonmastenbegleitung zu fotografieren. Hassan kommt mir entgegen, möchte dann wenden, um wieder in meine Richtung kommend, mich aufzunehmen. Ich schaue noch auf das Flussbett als ich einen sehr lauten, dumpfen Knall höre. Mir ist sofort klar was passiert ist. Hassan hat bei seinem Manöver ein Auto übersehen und die beiden sind fast frontal zusammengekracht.

Mir sackt mein Magen ab und ich schicke ein Gebet zum Himmel das es keine Toten oder Schwerverletzten gibt. Unser Auto ist vorne völlig eingedrückt, der Reifen steht verdreht vom Chassis ab. Das andere Fahrzeug liegt auf dem Dach, die Rückscheibe ist rausgedrückt. Sprit läuft auf die Straße, Fahrzeugteile liegen in zehn Meter Umkreis verteilt. Ein Verkehrsschild ist in den Graben geflogen. Hassan steigt benommen, aber offensichtlich fast unverletzt aus. Aus dem anderen Auto steigt zuerst der Fahrer, noch nicht begreifend, was hier überhaupt passiert ist, aus. Dann erschreckt er plötzlich und schaut sich hinkniend in das Wrack. Er hilft nacheinander fünf Jugendlichen heraus. Alle sind ebenfalls benommen, scheinbar aber ohne größere Blessuren. Ich schaue sie fragend an, alle nicken mir zu, nichts Ernsthaftes passiert. Hassan kommt hinzu und ist völlig fassungslos. Ich tröste ihn ein wenig und bin einfach nur sehr dankbar, dass bis auf ein paar blutende Schrammen und bei einem der Jungen ein Schleudertrauma nur Materialschaden zu beklagen ist.
Die Straße ist völlig blockiert. Hassan ruft Ambulanz und Polizei, während die ersten anderen Fahrzeuge halten. Jeder fragt, ob er helfen kann. Auch die ersten Handyfotos werden gemacht. Drei der fünf Jugendlichen tragen das gleiche braun-karierte Hemd. Zuerst denke ich es seien Brüder, erfahre aber etwas später, dass es Schüler auf dem Weg zum Unterricht waren. Mehr Autos bleiben stehen, mehr Menschen unterhalten sich, eifrig gestikulierend. Trotzdem ist es überraschend ruhig, keine Vorwürfe, keine lauten Worte. Jeder ist froh, dass der Unfall so unglaublich glimpflich abgelaufen ist. Nach etwas mehr als zehn Minuten kommt die Ambulanz. Erstaunlich schnell für diese gottverlassene Gegend. In unserer Richtung gibt es anscheinend ein nahes Städtchen.

Mansour ist mein Glück im Unglück

Die kleinen Wunden werden behandelt, der Schüler mit dem Schleudertrauma eingeladen und ins nächste Krankenhaus transportiert. Hassan telefoniert alle entscheidenden Stellen ab. Die ersten Mütter kommen, eine bricht in einen andauernden Weinkrampf aus. Es wird leicht chaotisch für den Verkehr, durch die beidseitigen flachen Gräben die Unfallstelle zu umfahren. Mindestens zehn Autos parken wild angeordnet um das Unfallgeschehen.
Nach einer Stunde kommt der von Hassan gerufene Besitzer unseres heutigen Gasthauses. Wir packen alles aus unserem Wagen in seinen. Der Guide eines französischen Paares kommt hinzu und bietet an mich mitzunehmen. Ein paar Diskussionen und wir packen mein Gepäck nun in sein Auto. Mansour spricht ein sehr gepflegtes Englisch und erklärt sich gerne bereit mich heute zu führen. Ich bin ganz dankbar, den Ort verlassen zu können. Es scheint alles weitestgehend geklärt, nur Polizei und Abschleppdienst fehlen noch. Jean Yves und Charlotte, meine neuen Reisepartner schaffen ein wenig Platz für mich und so geht es weiter in Richtung der Kalouts. Wir schauen uns eines der alten, heute nicht mehr genutzten Wasserreservoire an und ich merke schnell, wie gut Mansour erklären kann. Er ist ein idealer Guide, der uns mit seiner schauspielerischen Art alle mitnimmt. In dem sehr hohen und mit gewaltiger Akustik ausgestatteten Behälter bringt er uns zum singen. Jeder soll eine Lied in seiner Sprache vortragen. Nacheinander hallen Lieder in drei Sprachen durch den Raum. Trotz meiner Gesangsdefizite wird auch mein „Hoch auf dem gelben Wagen“ höflich beklatscht. Die Ablenkung ist wohltuend nach dem Schreckerlebnis.

Die Straße durch die Kalouts

Shahfiabad ist eine Oasenstadt mit vielen Palmen, einer alten Karawanserei und einigen Wohnhäusern. Dazu empfängt uns die übliche Mischung aus Ruinen und schluderig gebauten neueren Häusern, ein wenig Müll, einigen kaputten Autos, streunenden Hunden und Fußball spielenden Kindern. Wir halten vor einem Tor, klopfen mehrmals und werden eingelassen. Ein großes Begrüßungshallo zwischen Mansour und der Gastfamilie, dann Schuhe ausziehen und zum Mittagessen ins Haus eintreten. Lecker schmeckt es und ich genieße weiter die wieder gewonnene Normalität im Gespräch mit Jean Yves, Charlotte und Mansour.
Wir wechseln nach dem Essen in einen Geländewagen.

Unser Wüstenkapitän stolz in seinem Geländewagen

Mansour erklärt, dass ich heute Glück im Unglück habe. Wir würden nun die Kalouts ganz anders sehen, als es für mich geplant war. Nach zwanzig Minuten sehr zügiger Fahrt ohne Anschnallgurte, Haltegriffe oder Fenstergummis geht es mit dem schon etwas in die Jahre gekommenen Mitsubishi rechts ab ins Gelände. Wir sehen die ersten Kalouts und ich bin völlig weg von der Ruhe und Kraft ihrer Ausstrahlung. Es ist etwa fünf Uhr nachmittags und die Schatten werden langsam länger. Immer tiefer dringt der Geländewagen zwischen die schroff aufragenden Felsmassen. Überirdisch schön ist es hier und Mansour baut auch diesmal die Spannung gut auf. Das Gelände spektakulärer, die Ausblicke immer schöner. Alle vier stehen wir während der Achterbahnfahrten hinten auf dem Pick Up und halten uns krampfhaft fest, während der Fahrer auf und ab durch das Gelände prescht. Schließlich halten wir, um zu Fuß weiterzugehen.

Unser Wagen als Punkt in der Landschaft

Wir besteigen einen Kalout. Schon ab der Hälfte fehlen uns die Worte. Der weite Blick über Sand und Felsen ist weitaus schöner als ich es mir vorgestellt habe. Ganz klein und dabei doch sehr privilegiert fühle ich mich. Von ganz oben und mit 360° Blick ist es nur noch grandios. Was für ein Naturwunder ist diese Landschaft! Unzählige Felsen in allen Formen schauen bis zu etwa hundert Meter Höhe aus dem Sand. Dazu spielt auch noch das Wetter mit. Sonnig, kaum Wind und knappe 25°C. Wir sind Glückskinder und auch mein Kopf ist nach der heutigen Achterbahnfahrt der Gefühle ganz benommen. Nach dem Abstieg fahren wir an einen anderen Punkt und erreichen gerade pünktlich zum Sonnenuntergang unser Ziel. Hier sitzen auch einige andere Touristen auf dem Felsen. Mansour hatte Recht, ich habe heute wirklich Glück im Unglück gehabt. Wir schauen uns noch die Pastelltöne nach Sonnenuntergang an, fahren danach ein Stück und setzen uns zum Tagesabschluss mit einer Wassermelone in die Wüste. Während das letzte Licht verlöscht und die ersten Sterne sichtbar werden genießen wir die herrlich saftige Frucht.

Traumhafte Wüstenlandschaft

In demselben Haus von heute Mittag essen wir auch zu Abend. Mansour hat mir ein Zimmer reserviert und so schlafe ich diese Nacht auch hier. Er fährt mit seinen französischen Gästen noch zurück nach Kerman. Da er keinerlei Geld annehmen möchte, gebe ich ihm eine Spende mit. In seiner Heimatstadt Bam unterstützt er durch Querschnittslähmung an den Rollstuhl gebundene Menschen. Seine Augen leuchten, dass nimmt er gerne an und so verabschieden wir uns auf das Herzlichste.
Es herrscht noch immer ein bisschen Durcheinander. Da ich keine Nummer von Hassan und er auch keine von mir hat, muss ich über die Gastgeberin und Mansour Kontakt aufnehmen. Nach zwei weiteren Stunden steht Hassan mit Armbinde und humpelnd am Eingangstor. Bis vier Uhr heute Morgen war er noch im Krankenhaus. Als der Schock und das Adrenalin weg waren hatte er doch Schmerzen. Dabei hat er Ali, einen Fahrer aus seiner Nachbarschaft. Ali ist gestern in Yazd losgefahren und hat Hassan unterstützt. Jetzt fährt er uns die letzten beiden Tage. Mir soll es sehr recht sein, den Fahrkünsten von Hassan möchte ich mich nach dem gestrigen Vorfall am liebsten nicht mehr anvertrauen. Wir steuern noch zwei Punkte an und halten dann bei der Bezirkspolizei. Leider sind die Aussagen noch nicht als Protokoll niedergelegt, so dass Hassan Samstag nun noch einmal hierherkommen muss. Er schimpft ein wenig auf die Behörden und ihre Faulheit. Andere Länder, gleiche Ansichten…

Sharded, Koch und Garant für gute Laune

Nach dem Mittagessen wollen wir noch einen Guide aufnehmen für unsere Tour in den Khabr Nationalpark, 200 Kilometer westlich von Kerman. Irgendwie gestaltet es sich schwierig und so treffen wir Sharded schließlich an einem Kreisverkehr auf der Strecke. Er kommt mit kistenweise Gepäck, weil er uns auch für den nächsten Tag verpflegen soll. Wir packen die Koffer auf das Dach und jetzt geht es endlich richtig los.
Nach drei Stunden biegen wir in den Hof der Parkbehörde ein. Von hier aus wird uns einer der Parkmitarbeiter im Geländewagen weiter in das besonders geschützte Gebiet bringen. Das Permit habe ich mir schon vor einem halben Jahr beantragen lassen. Unser Fahrer wirkt auf mich wie eine etwas perverse Figur aus einem Quentin Tarantino Film. In seiner Uniform und mit der leicht violett getönten Sonnenbrille könnte ihn der Meister selbst gut spielen. Er und ich sitzen vorne und er greift ungefähr alle zehn Sekunden in eine Tüte mit Sonnenblumen- und Kürbiskernen. Das Aufknacken der Kerne mit den Zähnen verfolgt mich schon nach kürzester Zeit. Als Sharded das Auto zum Brotholen verlässt, stellt Hassan uns beide vor. Ali schaut mich etwa eine Minute durchgehend an, ich kann gar nicht mehr hinsehen. Irgendwie ist er mir ein wenig unheimlich.

Mein Fußraum im Rangerwagen

Als wir die letzten Häuser hinter uns lassen, fahren wir noch ein Stück durch Blumenwiesen und Felder bergab. Dann kommen wir auf eine Hochebene die vollständig von Bergen umgeben ist. Die Teerstraße ist inzwischen zur Piste geworden. Die Sonne geht gerade unter und die Umgebung zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Sechzig Kilometer fahren wir durch das Tal, bis wir an mehreren einfachen Behausungen ankommen. Hier tritt ein weiterer Ranger vor das Haus, praktischerweise auch Ali. Wir bringen unser Gepäck ins Gästehaus und gehen danach auf einen Tee zu den beiden Alis in die nur mit dem nötigsten ausgestattete Station. Ein paar Kissen und Teppiche auf dem Boden, der alte Fernseher, eine einfache Küche mit Gaskochplatten und dazu ein großer Safe in einer Ecke. Ich frage aus Spaß, ob dort das Bargeld gelagert wird. Der Safe dient aber als Waffenschrank. Die würden ohne Sicherung sonst nicht lange hier bleiben. Sharded kommt mit den Esswaren aus unserem Schlafraum herüber und fängt an das Essen vorzubereiten. Ich hole mein Laptop und stelle meine Familie vor. Dann zeige ich noch ein paar Fotos unserer Namibiatour. Die Bilder brechen das Eis und nun schauen wir alle gegenseitig unsere Familien auf Handy, Computer und Kamera an. Kinder, Frauen und Eltern. Ali, der Fahrer, stellt sich als sehr netter Familienmensch mit einer sechsjährigen Tochter heraus. Im Gespräch verliert sich jegliche Tarantino Allüre. Er ist einfach einer dieser im Iran oft anzutreffenden sehr offenen und lieben Menschen.

Ali, der Fahrer

Ich frage nach den hier lebenden Steinböcken und so werden einige Geschichten über das leider verbreitete Wildern erzählt. Die beiden Ranger zeigen mir Fotos und auch einen Film über Wilderer. Erst vorgestern haben sie einen auf frischer Tat ertappt und die Woche davor eine Gruppe von dreien, die gerade ihren fünften Steinbock zerlegten. Das war das mir gezeigte Video. Auch ein Foto, auf dem die fünf abgehackten Köpfe zu sehen sind, haben sie als Beweis geschossen. Leider kommen sie meistens zu spät und auch wenn sie einen der Wilderer zur Strecke bringen, erhält er für die Tat nur eine Geldstrafe. Das sind, bei den Gewinnen, die sie mit dem Fleisch erzielen können, keine abschreckenden Maßnahmen.

Hochebene im Nationalpark

Um Ranger zu werden braucht man im Iran keine spezielle Ausbildung. Alle Männer müssen zwei Jahre Militärdienst leisten, sind also an Waffen und für Einsätze in der Natur ausgebildet. Den Rest lernen sie von den Älteren. Die Liebe zur Tierwelt und der Natur bringt sie zu diesem nicht besonders gut bezahlten und zudem gefährlichen Beruf. Auf der Außenstation muss es gerade im Winter manchmal recht einsam ein. Bis auf einen Fernseher und den Funk gibt es wenig Ablenkung. Trotzdem wirken die beiden zufrieden und mit sich im reinen. Zusammen essen wir das leckere Essen, trinken etwas Buttermilch dazu und gehen danach schlafen. Heute muss ich, wie es hier oft noch üblich ist, nur mit einer Decke unterliegend auf dem Boden schlafen. Mir graut ein wenig davor, aber ich bin überrascht, wie ausgeruht ich aufwache. Auch wenn vier Männer mit ihren Schnarch- und Gurgelgeräuschen nicht zur Nachtruhe beitragen!

Ali, der zweite, stolz mit Rangeruniform

Um sechs Uhr starten die beiden Alis, ausgerüstet mit ihren Gewehren und Fernstechern, mit Sharded und mir zu einer Fahrt über das Hochtal. Wir sehen einige Benetti Gazellen und weit entfernt auf einer Bergkuppe einen Widder. Trotz der etwas mageren Ausbeute an Tieren ist die Tour wegen der Schönheit der Landschaft ein Erlebnis. Thymian, wilder Hafer und viele Wildblumenarten bestimmen die Flora.

Im Detail liegt der Reiz der Flora

Ein paar vereinzelte Bäume mit unzähligen Vogelnestern und die umliegenden Berge tragen zu der reizvollen Stimmung bei. Das warme Morgenlicht lässt den Hafer golden glänzen. Zu den Bergen hin liegt noch etwas Morgendunst im Tal. Am anderen Ende angekommen frühstücken wir erst einmal ausgiebig mit Eiern, Brot, Marmelade und sogar Nutella. Sharded zaubert dabei immer mehr Sachen aus seinen Dosen: Walnüsse, Pistazien, Honig und manches mehr. Dazu gibt es leckeren Kräutertee mit getrockneten Jasminblüten. Haus-Ali und ich gehen noch bis zur Oberkante des Felsens. Von hier können wir das nächste Tal überblicken. Lange suchen wir die Bergflanken nach Tieren ab. Ganz entfernt entdecken wir schließlich sechs Bergziegen.

Auf der Suche nach Wildtieren

Wir packen das Frühstück zusammen und fahren zurück Richtung Haus. Fahr-Ali meint einen Schuss in einiger Entfernung gehört zu haben. Während wir packen, um dann in einem Bogen wieder zu unserem Auto am Parkausgang gebracht zu werden, machen sich Haus-Ali und ein weiterer inzwischen eingetroffener Ranger bereit, um nach möglichen Wilderern Ausschau zu halten. Mit den Gewehren auf dem Rücken düsen sie zusammen auf  einem Motorrad los.
Auf dem Rückweg halten wir noch an einem Nomadenlager, das wir gestern Abend schon gesehen haben.

Hier leben fünf Familien und so stehen auch fünf alte Pick Up vor den Zelten. Allerhand Plunder liegt herum. Die Zelte sind mit hüfthohen Natursteinwänden und darüber einem Holzgerüst, überzogen mit schwarzer, luftdurchlässiger Plane, gebaut. Hühner, Truthähne und ein paar kleine Zicklein teilen das Gelände momentan mit den Familien

Es gibt einen Wassertank, mehrere aus Dornengestrüpp gebaute Umzäunungen für die Ziegen und dazu ein paar Unterstände aus verschiedenen Materialien. Der Dorfälteste empfängt uns zusammen mit seinem Sohn. Währen Ali und Hassan sich mit den beiden unterhalten, gehen Sharded und ich uns ein wenig umschauen. Wir fragen in einem der etwa fünfzig Quadratmeter großen Zelte um Erlaubnis, hineinkommen zu dürfen. Hier sind die Frauen der Familie bei der Arbeit. Das Mittagessen wird vorbereitet. Auf dem Boden liegen Teppiche aus. Eine in die Mauer eingelassene Koch- und Feuerstelle und die durch Tücher abgetrennten Schlafplätze sind das einzige "Mobiliar". Wir erfahren, dass die Familien zwei Mal im Jahr auf Grund der Temperaturen umziehen. Es handelt sich also eher um halbnomadisch lebende Menschen. Jede Familie hütet etwa hundert Ziegen.

Ziegengehege aus regionalen Materialien

Die Männer sind, bis auf die beiden, die uns begrüßt haben, mit den Tieren auf der Hochebene unterwegs. Wir verabschieden uns von den Frauen und setzen uns zu den anderen auf den Teppich unter einem Baum. Der Sohn bringt frische Ziegenmilch und schenkt uns ein. Es schmeckt gut, auch wenn der Ziegengeschmack etwas durchschlägt.

Ich nehme noch ein zweites Glas und hoffe, dass meine Verdauung von dem unbekannten Getränk nicht beeinträchtigt wird. Schließlich brechen wir auf. Großes Händeschütteln, dann bekommen wir noch ein Plastikgefäß mit Ziegenmilch als Geschenk. Gerührt setzen wir den Weg fort.

Einer der beiden im Lager gebliebenen Männer mit Fuhrpark

Im Dorf Khabr veranstalten wir noch ein Barbecue. Ali kann leider nicht mehr bei uns bleiben. Seine Kollegen haben inzwischen das Auto der Wilderer entdeckt. Mit einer Tarnplane übergeworfen stand es versteckt im Tal. Jetzt suchen die Ranger nach den Besitzern und ihrer Beute. Wir kochen und grillen währenddessen über Holzkohle am Fluss. Mehrere Familien trudeln nach und nach ein und bereiten ebenfalls ihr Essen vor. Es ist Freitag und damit Wochenende. Unglaublich, dass ich in sechs Stunden schon mit dem Flugzeug von Kerman aus startend in Teheran, der zwölf Millionenstadt, sein werde. Sharded schnippelt mit mir zusammen Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch. Dazu gibt es flache Frikadellen aus Lammgehacktem. Alles schmeckt vorzüglich. Nach dem obligatorischen Tee aus der vom Feuer rußgeschwärzten Kanne packen wir zusammen und fahren zum Flughafen. Vor mir geht ein Mann mit einer Union Rösrath Adidas Jacke. Ich möchte gerne wissen, woher er sie hat, ob es vielleicht irgendeine Verbindung zu meinem alten Verein, in dem ich acht Jahre Handball gespielt habe, gibt. Er schaut mich aber leider nur verdutzt an und versteht nicht, was ich von ihm wissen möchte.

Großes Glück im großen Unglück
Die Küche meiner Gastgeber
Auf dem Weg in den Nationalpark
Nomadinnen im Lager
Wohnzelt
No items found.

Unfreiwillige Systemeinblicke...

Um kurz nach zehn setzt die Maschine am inländischen Flughafen von Teheran auf. Innerhalb von kaum zwanzig Minuten bin ich mit Gepäck am Taxi. Wir fahren in die Innenstadt zu meinem Hotel. Da trotz Reservierung kein Zimmer mehr frei ist, wird mein Gepäck hundert Meter die Straße runter ins Partnerhotel gebracht. Leider bekomme ich hier nur ein Zimmer ohne Bad. Ich lese noch Zeitung im Internet und schlafe bald ein.

Spiegelung in der U-Bahn

Nach dem Frühstück checke ich in mein ursprünglich gebuchtes Hotel um. Danach fahre ich für etwa drei Pfennig mit der Metro in die Nähe des Laleh Park. Ich möchte das Museum für moderne Kunst mit der größten Sammlung europäischer und amerikanischer Kunst außerhalb Nordamerikas und Europas besuchen. So kann ich mich der zwölf Millionen Metropole vielleicht mit einem heimeligen Gefühl nähern. Leider ist das Museum wegen Renovierungsarbeiten für drei Monate geschlossen. So besuche ich das auch auf meinem Plan stehende Teppichmuseum, kaum zweihundert Meter weiter. Leider sind die Ausstellung und das Innere des Gebäudes eine Enttäuschung. Die Räume wirken wie umgewandelte Büroflächen, mit grauer Auslegware auf den Böden und schlechter Beleuchtung. Zudem ist auch hier die obere Etage geschlossen. Trotzdem erfreue ich mich an ein paar schönen und seltenen Exponaten.

Geschlechtertrennung im öffentlichen Nahverkehr

Ich spaziere in der Sonne und bestaune den chaotischen Verkehr. Die schiere Menge an Verkehrsteilnehmern ist erstaunlich. In die kleinsten Lücken schieben sich Motorradfahrer, gelbe Taxis hupen sich den Weg frei. Der Infarkt scheint greifbar. Aber irgendwie geht es doch immer weiter. Etwas später finde ich ein kleines Antiquariat. Es gibt zwei Regale mit englischen und deutschen Büchern. Allerdings ist die Auswahl in Teilen mehr als seltsam. "Ganz unten" von Wallraff steht neben Ökoliteratur der späten Siebziger und der Verfassung der DDR. Nach langem suchen entscheide ich mich für ein altes Fitzgerald Paperback in englischer Sprache. Die deutschen Bücher atmen zu viel politische Korrektheit zum genussvollen Schmökern.

Iranische Struktur für meine Alltagsformensammlung

Ich entferne mich etwas aus dem großen Getümmel und gehe ein paar ruhige Nebenstraßen entlang. Als ich um eine Ecke biege schaue ich auf die noch schneebedeckten Gipfel des Elburs-Gebirges nördlich von Teheran. Ich schraube das Teleobjektiv an die Kamera, um eine Verdichtung von Verkehr, schon frühlingshafter Stadt und Bergen zu erzielen und schieße zwei Fotos, als mir jemand von hinten auf die Schulter klopft. Was ich den hier machen würde, werde ich in gebrochenem englisch gefragt. Mir ist direkt klar, dass jetzt Ärger auf mich zukommt. Der Mann ist in Zivil, gehört aber irgendeiner Geheimpolizei an. Er will die Bilder sehen, dann holt er ein Handy heraus und knipst mir ins Gesicht. Meinen Reisepass habe ich nicht dabei, der wird immer im Hotel hinterlegt. Mein in der Fototasche steckendes Visum knipst er auch direkt. Über Funk fragt er einen zweiten, besser englisch sprechenden Kollegen an. Das Speichermedium muss ich aus der Kamera entfernen und ihnen geben. Der Erste verschwindet und sein Kollege möchte alles möglich wissen. Wie lange ich schon hier in der Stadt bin, was für einen Beruf ich ausübe, weswegen ich fotografiere und so weiter. Er zeigt mir die Verbotsschilder, die ich unglücklicherweise übersehen habe und erklärt mir, dass meine Kamera konfisziert sei. Wir unterhalten uns ein wenig und die Lage scheint sich zu entspannen. Jetzt möchte er nur noch die Speicherkarte behalten. Leider weiß ich den Namen meines Hotels und auch die Straße nicht. Noch zwei Kollegen kommen hinzu und plötzlich steht ein Polizeiwagen neben uns. Mein Befrager erklärt mir, dass der Beifahrer sein Chef ist und ich nun mitkommen müsse. Ich steige ein und werde mitgenommen.

Verloren in der Form

Vor einem weißen Tor halten wir an. Die umliegenden Mauern sind mit Stacheldrahtrollen gesichert. Links und rechts der Durchfahrt sind Maschinengewehre auf der Mauer zu sehen. Das Tor geht auf, wir fahren in einen Innenhof. Langsam wird es mir doch etwas mulmig. Der Fahrer führt mich in eines der Gebäude, in mehrere Büros schauen wir hinein, jeder fragt irgendetwas, leider meistens für mich unverständlich auf Farsi. Manchmal lachend, manchmal mit sehr ernsten Mienen. Letztlich landen wir im Zimmer des Polizeichefs. Ein langer Konferenztisch, an den ich mich setzen muss, davor der Schreibtisch des Chefs. An der Wand die iranische Flagge, das obligatorische Doppelbild mit Khomeini und Khamenei und eine große Karte Teherans. Auf dem Schreibtisch ein Gesteck mit Plastikrosen und ein Polizeiwappen aus Holzimitat. Zwei Personen sind außer mir und dem Fahrer im Raum. Während der Chef kein englisch spricht, kann es der zweite recht gut. Wieder ähnliche Fragen: Wer, wie, warum? Jetzt wird auch alles schriftlich festgehalten. Immer wieder kommen Personen ins Zimmer, bringen etwas, sagen ein paar Worte oder gucken nur. Ich höre aus dem Nebenzimmer lautes zetern und Rufe nach Allah. Die werden immer eindringlicher. Anscheinend wird die laut zeternde Person dann in den Hof gebracht. Immer weiter schallen die klagenden Schreie des scheinbar geistig Verwirrten durch das offene Fenster.

Der Großstadtdschungel

Telefonate werden geführt, dann werde auch ich wieder erst in den Hof und dann ins Polizeiauto verfrachtet. Aus einem anderen Gebäude wird ein gebrochen wirkender Mann von zwei Polizisten geschleppt. Sein Blick sieht hoffnungslos gebrochen aus. Er blutet an mehreren Stellen. Ein in Zivil Gekleideter befragt mich durchs offene Fenster. Er hat einen Tick, schließt ein Auge nach jeder Frage kurz und zuckt mit dem Kopf etwas seitwärts. Durch seine dicken Brillengläser wird der Eindruck des leicht verrückten noch verstärkt. Er stellt sich aber letztendlich als ganz nett heraus und ich erzähle ihm ein bisschen aus Deutschland. Ein mir noch unbekannter Polizist kommt hinzu. Er steigt ins Auto und während wir langsam losfahren, werden drei Gefangene in hellblauer Gefängniskleidung über den Hof geführt. Vor dem Tor muss ich dann das Polizeiauto wechseln. Nun bin ich statt in einem blauweißen in einem grünweißen Wagen. Erst denke ich, jetzt geht es endlich ins Hotel, um meinen Pass zu kopieren, aber dann fahren wir stattdessen zum "Immigraton & Passport Police" Hauptquartier. Inzwischen sind etwa dreieinhalb Stunden vergangen und ich beginne mich zu fragen, ob ich hier wirklich so einfach rauskomme.

Warten auf Transport

Nach mehrmaligem klopfen an der klingellosen Tür öffnet ein junger Polizist mit Gewehr und schusssicherer Weste. Wieder werde ich in mehrere Büros geführt, bis ich beim Chef dieser Polizeieinheit lande. Inzwischen wurde nachgeprüft, dass ich tatsächlich in meinem Hotel wohne und auch mein Reisepass dort hinterlegt ist. Noch einmal alle Fragen beantworten, erneute Telefonate, dann wird ein längeres Protokoll, tatsächlich noch per Hand, geschrieben. Auch der mitgekommene Polizist fertigt ein Schriftstück für seine Wache an. Als der hiesige Chef unterschreibt, fällt ihm auf, dass die Blaupause verkehrt eingelegt wurde und er schickt den Polizisten zum Kopierer. Es wechseln sich sehr ernste mit komischen Szenen ab. Ich muss noch einmal meine Kamera und mein Visum vorzeigen. Dann scheint es vorbei zu sein. Noch ein Kollege werde mit mir zum Hotel fahren, um eine Kopie des Passes abzuholen und danach sei ich wieder frei.

Straßen strukturieren Häuserblocks

Offensichtlich hat sich endlich der Gedanke durchgesetzt, dass ich nicht als Spion mit großer Kamera vor ihren Gebäuden auftauche und dann in die falsche Richtung wichtige Fotos schieße... Ich werde mit Handschlag und natürlich noch einer eindringlichen kleinen Belehrung vom Chef entlassen. Im Erdgeschoss warten wir weitere vierzig Minuten auf einen Fahrer. Endlich werde ich in das nun dritte Auto gepackt und wir fahren zu viert in Richtung meines Hotels. Immer wieder wird bei Passanten oder Taxifahrern nach dem Weg gefragt.  Endlich erkenne ich meine Straße. Allerdings können wir nicht einfach über die Kreuzung geradeaus hineinfahren, sondern müssen erst rechts abbiegen und uns dann langsam nach links durchkämpfen. Dadurch sind wir aber nun hundert Meter unterhalb der Einbiegung. Der Fahrer fängt an auf der Gegenspur rückwärtszusetzen. Uns kommt die geballte Menge Motorräder von vorne entgegen, während hinter uns auch schon kräftig gehupt wird. Hier überhaupt durchzufahren ist schon irrwitzig, aber rückwärts um diese Uhrzeit ist es absolut einmalig und gehört eher in einen James Bond Film. Diese Szene würde ich gerne aus Drohnensicht von oben beschauen.

Alles für Licht und Strom

Ich lache laut und sage zu dem Polizisten, dass dies die beste Situation des ganzen Tages ist. Wir brauchen insgesamt fünfzig Minuten von der Wache bis zur Rezeption. Die Frau an der Rezeption erzählt vor den Ohren der Polizisten, welches Glück im Unglück ich habe. Der letzte wegen fotografieren festgenommene sei ein US-Amerikaner gewesen, der mit Haube über dem Kopf abgeführt, eine Woche festgehalten und erst nach heftigen Schlägen entlassen wurde. Kopie gemacht, Hände gedrückt. Ich bin nach über sechs Stunden wieder ein freier Mann und sehr erleichtert, verhältnismäßig einfach aus der Situation herausgekommen zu sein!
Nun kenne ich also zwei Seiten des Iran: Die hell scheinende Gastfreundschaft und Offenheit und die dunkle Seite der bürokratischen Macht. Ich denke, dass meine deutsche Staatsangehörigkeit mir heute bestimmt nicht geschadet hat. Das Land ist im Iran gut angesehen. Trotzdem ist es nur recht knapp an einem verstörenden Ende meiner Reise vorbeigegangen. So liege ich im Hotelzimmer ganz gemütlich auf meinem Bett und lasse die vergangenen Stunden noch einmal an meinem inneren Auge vorbeiziehen. Was wäre wohl in Deutschland oder den USA in so einer Situation passiert? In New York musste ich schon einmal den Film aus der Kamera nehmen, als ich eine offensichtlich sensible Stelle fotografiert habe. Damals war es auch mit einigem Gezeter verbunden, ein Polizeiauto war schon gerufen, wurde aber wieder abbestellt. Als richtig gefährlich habe ich meine heutige Situation nicht eingeschätzt, vor allem, weil ich keine Gebäude fotografiert habe, sondern mich nur in einer für Fotografie gesperrten Zone befand. Allerdings muss es sich laut Polizei um einen - was auch immer er beinhalten mag - sehr sensiblen Ort handeln. Der blutende Mann in der ersten Wache gibt auch noch zu denken. Ich hoffe, er kommt da als Mensch wieder raus. Als US-Amerikaner hätte es bestimmt mehr Probleme gegeben. Es wird auch immer eine politische Abwägung sein, wie ein Tourist, der eine verbotene Handlung begangen hat, behandelt wird.

Architektonische Hinterhofstrukturen

In der Straße meines Hotels gibt es mehr als 150 Lampengeschäfte. Zwei Querstrassen verkaufen dafür nur Koffer und Taschen. Das Basar-Viertel in Teheran ist das größte des Landes. Fast jeder sechste Iraner wohnt in der Hauptstadt und auch wenn der Basar nicht mehr alle versorgt, so ist seine Position als das wichtigste Einkaufszentrum der Teheraner doch noch ungebrochen. Mit dem Polizeiwagen sind wir an Ecken vorbeigekommen, wo um sechs Uhr vor lauter Menschen, Motorrädern und Warentransportern jeder Art kaum ein Durchkommen war. In den Innenhöfen und Seitenstrassen werden alle menschendenkbaren Elektrikartikel verkauft. Das ganze Viertel dreht sich um Strom. In einem der Innenhöfe werde ich von vier jungen Männern in einen Laden gebeten. Einer massiert gerade seinem Freund Nacken und Kopf. Ich bekomme frisch aufgebrühten Tee eingeschenkt und setze mich zu ihnen. Zusammen führen sie dieses kleine Ladenlokal im zweiten Stock. Auf die Frage, was sie verkaufen, zeigen sie mir aus China importierte Isolierbandrollen.

Tägliches Transportchaos im Basarviertel

Alle Geschäfte suchen sich ihre Nische. Vorne die rausgeputzten Lampengeschäfte mit schwarzem Marmor und Kristalllüstern. Dahinter, versteckter, die Peripherie der Elektrik. Auch bei den Transporteuren gibt es Abstufungen. Ganz unten stehen diejenigen, die Lasten auf ihrem Rücken tragen. Dann kommen diejenigen mit Transportkarren oder Motorrädern. Schließlich jene mit Auto oder Transporter. Von allen gibt es Mengen und es ist wirklich erstaunlich, wie viel hier hin und her transportiert wird. Der Besitzer eines Lampenladens erklärt mir, dass große Teile des Iran aus diesem Viertel heraus mit Elektrowaren versorgt werden. Andere Viertel sind auf andere Artikel spezialisiert. Obwohl es chaotisch aussieht, kennt jeder seinen Platz. Wenn die Geschäfte schließen, kommen die armen Wertstoffsammler und suchen in den Tonnen nach verkaufbaren Materialien. In jeder Strasse sammelt jemand mit großem Sack und sortiert den Abfall. Abends, wenn alle Rollläden runtergezogen sind, ist es dann fast menschenleer.

Komposition über blaue Wellen

Das Iwan ist ein sehr schönes, von jungen Leuten betriebenes Café im zweiten Stock einer Einkaufspassage. Komischerweise sind alle anderen Ladenlokale auf dieser Ebene nicht vermietet, während im unteren Stock die Geschäfte brummen. Im Iwan läuft für den Iran sehr ungewöhnliche Musik. Vieles ist westlich, aber auch sehr schöne neue persische Stücke werden gespielt. Achmed ist dafür verantwortlich und ein echter Musikfreak. Selbst spielt er Gitarre und andere Saiteninstrumente in einer Band. Er kennt sie alle, ob Tangerine Dream, Kraftwerk oder obskure Krautrockbands. Auch die englische Musikszene hat er durchgeackert. Für mich lässt er eine ganze Reihe deutscher Bands laufen. Zwischendurch "Hurt" von Nine Inch Nails in der Jonny Cash Fassung. Er ist ein wandelndes Musiklexikon, mit so einem Menschen habe ich hier nicht gerechnet.

Frau im Iwan

Ebenso wie er könnten auch seine Kollegen mit ihren Outfits genauso gut aus New York oder Los Angeles kommen. Es wird mir noch einmal klar, wie vielschichtig es in Teheran ist und wie wenig die von mir gedachten Stereotype zutreffen. In der Metropolregion leben eben über fünfzehn Millionen Menschen und es ist die Hauptstadt eines achtzig Millionen Volkes! Mit mehr Zeit würde es bestimmt noch viel interessanter, aber auch so freue ich mich sehr an dieser kleinen kulturellen Oase mit ihrem westlichen Touch. Ein angenehmer Hafen, wenn man dem Gewusel der Stadt etwas entfliehen möchte. Auch sind die Gäste eindeutig schicker, intellektueller und modischer als der durchschnittliche Teheraner. Ein paar Gäste fotografiere ich auf dem sehr auffällig floral gemusterten Sofa vor der schönen grünen Wand.
Leider ist heute mein letzter Abend und ich werde früh ins Hotel gehen, weil ich schon um drei Uhr in der Nacht aufstehen muss. So klingt meine Tour im Iwan mit der schönen kulturellen Verschmelzung von Ost und West aus. Noch nie habe ich so viele interessante Gespräche in einem Land geführt. So viele aufgeschlossene Menschen, die offenherzig das Gespräch suchen und mit ihrer Herzlichkeit etwas in mir berührt haben. Oft wurde ich darum gebeten, nicht das politische System mit den Menschen zu verwechseln. Viel Kritik und Unzufriedenheit gegenüber den Herrschenden, teilweise in sehr klaren Worten geäußert. Aber auch mit Sanftmut und Menschenliebe gesegnete Charaktere.  

Gefälschte Markentüten zum Verkauf

Die Städte werden das Land verändern und die Politik wird hoffentlich mit Reformen eine Öffnung zu mehr Freiheit zulassen. Ansonsten wird die Intelligenzija das Land weiterhin verlassen müssen, um Folter und Knechtung zu entgehen. Der rückwärts gewandte Islam der Führungsriege mit seinen Repressionen gegenüber Frauen und Andersdenkenden ist bei der Altersstruktur der Iraner schwer zu halten. Aber gegen die von den Herrschenden angewandte Scharia, die brutale Polizei und die unfairen Gerichte ist nur schwer anzukommen. Des Öfteren habe ich auch gehört, bloß keine nächste Revolution. Die Angst vor noch schlimmeren Umständen und die aus dem sogenannten arabischen Frühling entstandenen Veränderungen schrecken die Leute ab. Sie hoffen oftmals auf eine von innen erwachsene Verbesserung. Durch die fassungslos machende Inflation verarmen Teile der Bevölkerung. Letztendlich entscheidet auch das tägliche Brot über das Weiterbestehen des Systems. In diesem Monat ist die Islamische Republik Iran vierzig Jahre alt geworden und ich bin gespannt, wohin die Reise geht!

Der Wagen fährt so lange bis er zusammenbricht

Ein kleiner Nachtrag: Heute Morgen bin ich um drei Uhr mit dem Taxi von meinem Hotel abgeholt worden. Nachdem ich die ganze Reise die Märtyrer des iranisch-irakischen Krieges auf Plakaten, Fotos und in Kachelbildern gesehen habe, fährt mich nun einer der Überlebenden der iranischen Luftwaffe. Nach einunddreißig Dienstjahren reicht seine Rente nicht für den täglichen Bedarf. An sieben Tagen in der Woche fährt er nachts Menschen zum Flughafen, um zu leben. Die Toten werden in Ehren, die Lebenden an der kurzen Leine gehalten.

Blick über Teheran auf das Elbursgebirge
Der alte und der aktuelle geistige Führer
Junger Verkäufer vor seinem Laden
Farbfeldmalerei im Alltag
Frau im Café Iwan
Die Musikfachleute meines Vertrauens
Aufsicht von der Aussichtsplattform
No items found.

Iran