Europa 4 Nordwest

Komm, wir radeln nach Island

Europa 4 Nordwest

Der Weg gen Norden...

Als vierter Teil meiner „Europakreuzfahrten“ per E-Bike ist Island das Ziel der schon lange geplanten Fortsetzung nach den Touren in den Südwesten, Nordosten und Südosten des Kontinents. Über Dänemark und seine weitgehend autonomen Färöer-Inseln soll es mit der Fähre auf die Insel gehen. Guido zeigt großes Interesse und kurze Zeit später kommt Martin als dritter Mitreisender dazu.

Nach vielen Stunden lesen und recherchieren steht das Grundgerüst der Reise und Fähren, Hütten und Hotels werden gebucht. Nur noch ein großes Problem steht im Raum: Die nun seit über einem Jahr präsente Corona-Pandemie...

Mit viel Bitten und Fragen haben wir es geschafft, die nötigen zwei Impftermine zu bekommen und auch unsere Zielländer sind nach den harten Lockdowns pünktlich wieder weitgehend geöffnet. Dann der Anruf meines Arztes nach meiner Blutuntersuchung mit der Mitteilung, dass ich an Diabetes erkrankt bin. Nur zwei Wochen vor der ersten Etappe werde ich zum Diabetologen geschickt und in meine neue Lebenssituation eingeführt. Pillen und Spritze müssen nun richten, was die Bauchspeicheldrüse allein nicht mehr schafft. Aber auch diese Nachricht kann die Reiselust nicht mehr aufhalten!

Die ersten neun Tage geht es durch Norddeutschland und Dänemark zur Fähre im Norden des Landes in Hirtshals. Die etwa neunhundert Kilometer bis dahin fahren wir in neun Tagesetappen.

Zum Start treffen wir uns um sieben Uhr morgens bei mir. Letzte Umpackungen, straffen der Expander, das obligatorische Foto am Anfang, Umarmung mit Eddy und nach Küssen von Anke sitze ich auf dem Sattel. Tomm begleitet uns noch ein Stück seines Schulwegs bevor wir uns trennen und unsere Reise nun wirklich beginnt. Bei schon jetzt sehr warmen Temperaturen verlassen wir den Königsforst und nehmen unser erstes Etappenziel ins Visier.

Der bekannte Teil des Bergischen Landes weicht dem unbekannten, Wipperfürth, Hagen und die Ausläufer Dortmunds passieren wir und dazwischen auch immer wieder ruhige Abschnitte durch das herrliche Grün des Sommers.  Der Tour-Geschwindigkeitsrekord fällt direkt am ersten Tag, eine lange Abfahrt lässt die Tachonadel bis auf knapp über 70 km/h klettern.

Wir radeln ruhig entlang einer Landstraße als aus einer kleinen Straße unerwartet ein Auto etwas zu weit vorfährt. Ich weiche sicherheitshalber nach rechts aus. So komme ich in eine Vertiefung und es haut mir mit einem Schlag die Tasche aus der Halterung. Der Stoß ist so heftig, dass mir das zum Abstandhalten angebrachte Blech vom Gepäckträger an zwei Schweißpunkten abreist. Ich korrigiere die Einstellung der Taschenhalterung, fühle mich kurz in meinen Nacken ein, der den Stoß auch ein wenig mitbekommen hat und stelle erleichtert fest, dass nichts Schlimmes passiert ist.

Auf den letzten zehn Kilometern quälen wir uns in der Nachmittagshitze ein wenig durch die vierunddreißig Grad heiße Landschaft. Bis zum Abend laufen einige Flaschen Wasser und ein paar Bier durch unsere Kehlen, ohne Durst und trockene Kehle anhaltend zu verscheuchen. Noch ein paar Runden Skat und wir versuchen in unseren Zimmern mit der noch immer fast unerträglichen Wärme zurechtzukommen. Wish you were here hörend, ein paar Worte fürs Tagebuch schreiben, einige Seiten Siri Hustvedt lesen, schwitzen. Gegen vier Uhr wache ich, noch immer ohne Decke, in einer Schweißlache auf und gebe den Versuch bald auf, wieder einschlafen zu können. Den Vögeln beim Morgenkonzert zuhörend, kurzzeitig von Guidos Schnarchen unterbrochen, beobachte ich den Wechsel von der Nacht zum Tage. Vom angekündigten Gewitter ist glücklicherweise nichts zu hören, stattdessen sehen wir einem weiteren Sonnentag entgegen.

Kraftwerks „Autobahn“ geht mir durch den Kopf und verwandelt sich in „Wir fahren, fahren, fahren durch das Münsterland |Die Fahrbahn ist ein graues Band | Weiße Streifen, grüner Rand“. Es ist flach geworden und die Radwege sind wesentlich zuverlässiger und enden nicht mehr abrupt im Nichts. Die Gegend ist prädestiniert zum Radeln und deswegen ist die Infrastruktur auch schon wesentlich weiter als in unserer hügeligen Heimat. Lange Geraden führen uns an Mais und Getreidefeldern vorbei und von Dorf zu Dorf. In der schönen Altstadt von Telgte legen wir eine etwas verfrühte Kaffeepause ein. Bevor das erste Café öffnet, sitzen wir auf einer schattigen Bank an der Kathedrale und erzählen uns ein paar Anekdoten. Martin raucht die obligatorische Sportzigarette, während wir von Pointe zu Pointe wechseln. Gegenüber dem allein fahren ist das eine schöne Abwechslung und lässt die Zeit verfliegen.

Graureiher, Weißstorch, Kaninchen, Reh und Feldhase zeigen sich als Vertreter der heimischen Fauna auf den Wiesen und Äckern. Es ist gegenüber der gestrigen Etappe ruhiger geworden. Das Ruhrgebiet mit seinen Ballungsräumen hat uns durch den dichten Verkehr zugesetzt und so genießen wir bei wiederum herrlichem Wetter unsere Fahrt durch das Münsterland umso mehr. Nur kurz vor dem Ziel verstädtert es und die letzten Kilometer zu unserem Hostel in der Innenstadt von Osnabrück  führen über eine der Haupteinfallstraßen.

Leider stellen wir um zwölf Uhr vor der Tür fest, dass frühes aufbrechen grundsätzlich an heißen Tagen ein Vorteil ist, aber nicht, wenn das Hostel erst um vier Uhr für Gäste öffnet. Wir fahren in der Innenstadt, fragen einen Passanten nach einem angenehmen Restaurant und landen so auf einem schönen runden Platz mit Spielplatz in der Mitte und angenehmer Außengastronomie.  Danach noch zwei Stunden in einen kleinen Park unter schattige große Bäume mit Erdbeeren und Mineralwasser und schon ist es Zeit einzuchecken. Ernüchtert stellen wir fest, dass ich Betten im dritten OG eines Altbaus gebucht habe, in dem es keinen Aufzug gibt. Nach mehreren Komplikationen um Schlüssel, Impfpass und Fahrradparkplätze tragen wir schließlich in einigen Auf- und Abstiegen unser Gepäck mit voller Island-Ausrüstung auf unsere Zimmer. Wir sind komplett durchgeschwitzt und freuen uns sehr über eine kühle Dusche und die darauf folgende Ruhepause.

Gegen fünf Uhr wache ich auf, weil mein Nackenbereich keinen trockenen Flecken mehr aufweist und ich das Kopfkissen in einen See verwandelt habe. Ich drehe das Kissen, genieße meine Ruhe und denke ein wenig über die ersten Tage unserer Tour nach. Nachdem ich die letzten Jahre allein unterwegs war, ist es schön, aber auch ganz anders, nun mit zwei Freunden zu reisen. Die Gedanken schweben nicht so weit fort, es gibt durch den ständigen Austausch mehr Anstöße. Dafür oft weniger Tiefe oder eben nicht die erleuchtende Wirrnis mäandrierender Denkflüsse. Als Gruppe ist auch der Austausch mit Fremden eingeschränkt, weil das Bedürfnis nach einem Gesprächspartner gedeckt ist und andere Menschen weniger schnell eine Gruppe wie einen Einzelreisenden ansprechen. So führt das mehr manchmal zu einem weniger und umgekehrt. Als der Wecker um halb sechs klingelt sind wir schnell mit dem Packen fertig und sitzen eine dreiviertel Stunde später schon auf dem Rad. Wir sind froh, das Penthouse Backpackers zu verlassen und wieder auf den Rädern zu sitzen. Bis zum Frühstück fahren wir die ersten vierzig Kilometer von Osnabrück in Richtung Bremen. Die Landschaft ist unspektakulär aber wegen der von ihr ausgehenden Ruhe doch wunderschön. Als noch ein Storch, gegen die aufgehende Sonne auffliegend, unseren Weg kreuzt, um dann etwas ungelenk auf der gegenüberliegenden Wiese wieder zu landen, ist unsere Stimmung obenauf. Wie so oft sind es Kleinigkeiten, die einen durchschnittlichen in einen besonderen Tag verwandeln. Der Weg ist etwas schmaler, ein auffallendes Insekt fliegt vorbei oder ein Bauer winkt uns lachend vom Traktor aus zu. Das Radfahren öffnet einen noch mehr als das sonstige Reisen gegenüber der Außenwelt und führt zu einer höheren Empfindsamkeit. Das ist ein Gefühl, als seien wir durchscheinender, die Membran durchlässiger, wodurch die Beeinflussung durch kleine Veränderungen heftiger wirkt.

Beinahe überfahre ich einen Hirschkäfer. Wir bremsen, drehen und nehmen das Tier genauer unter die Lupe. Sein Geweih ist zackig und etwa zwei Zentimeter lang. Es ist der größte in Deutschland heimische Käfer. Ich bin froh, das erste Mal einen solchen Prachtkäfer in freier Wildbahn beobachten zu können. Wir versuchen noch, ihn mit einem Stöckchen von der Straße zu befördern, aber er stellt sich nur auf seine Vorderbeine, um uns zu imponieren, bewegen lässt er sich nicht. So nehme ich mir die Zeit für ein schönes Foto, bevor wir weiter unserem Weg folgen und ihn hoffentlich unbeschadet die Straße queren lassen.

Eine mir unbekannte Schlangenart schlängelt sich über den Teer. Wir befinden uns in einem Torfstechgebiet mit erstaunlich hohem Proteingehalt in der Luft. Hier scheinen die etwas größeren Tiere genug Nahrung zu finden. Mein Fund ist eine Schlingnatter. Nicht selten, aber mir ebenfalls noch nie begegnet. Ich freue mich immer, wenn ich Wildtiere aus der Nähe einmal kurz beobachten darf. Auf zwei so spezielle Spezis zu treffen, beglückt mich. Martin und Guido sind schon vorausgefahren, ich nehme mir noch etwas Zeit, bevor ich ihnen folge.

Der Torf wird in dieser Gegend mit großen Maschinen abgebaut. Die Torfbriketts sind zu etwa achtzig Zentimeter hohen und hundert Meter langen Trockenmauern aufgestapelt, zwischen denen sich die Fahrrinnen befinden. Hier werden die Moore für den industriellen Gemüseanbau geplündert und so Langzeitschäden in intakten Ökosystemen manifestiert. Nur noch in Teilen von Niedersachsen wird in Deutschland Torf abgebaut. Hoffentlich nicht mehr lange, auch wenn die Ansicht der dunkelbraunen Abbauflächen höchst interessant und trotz des industriellen Charakters archaisch anmutet. Moore sind wichtige CO2-Speicher und viel zu lange und in zu großem Maßstab trockengelegt worden. Ihr Wert für unsere Umwelt wird, wie so oft, erst mit ihrem Verschwinden erkannt. Ich hoffe, das mit der Renaturierung von Bächen und Flussläufen auch wieder mehr Moore in unsere Naturlandschaften zurückkehren. Die Vielfalt eines solchen Ökosystems nützt den umliegenden Gebieten genauso sehr wie uns.

Das interessante an der Einfahrt in eine Großstadt mit dem E-Bike ist immer der Schnitt durch die einzelnen Wohnviertel. Im Gegensatz zur Einfahrt mit dem Zug oder über die Autobahn bekommt man die Veränderung der Bevölkerung auf unserem Weg sehr schön mit. Über den noch recht grünen Teil mit viel Wasser, Einfamilienhäusern und hohen Einkommen zu der geschäftigen Ausfallstraße mit großem Migrantenanteil zur quirligen Innenstadt, in der die Leute mit ihren Einkaufstaschen von Geschäft zu Geschäft ziehen. Unser Bremer Hotel liegt am Bahnhofplatz, vis-a-vis  des Hauptbahnhofs, eines mächtigen, am Ende des neunzehnten Jahrhundert erbauten Backsteinbaus. Durch die Fenster unseres Zimmers auf der zweiten Etage haben wir eine schöne Aussicht über den gesamten Vorplatz. Wir freuen uns nach der einfachen und doch etwas düsteren letzten Unterkunft am Komfort eines typischen Kettenhotels.

Die Suche nach einem Restaurant gestaltet sich nicht einfach, die meisten sind uns zu touristisch oder kochen die falschen Gerichte. Weil Guido sich darüber ärgert, dass wir unseren Tisch noch einmal wechseln sollen, verlassen wir ein weiteres Lokal. So landen wir dann in der Südtiroler Hütte am Hauptbahnhof mit Schafsfellimitationen und Hüttenromantik zwischen Sechziger Jahre Mehrfamilienhäusern. Die Kellner tragen Krachlederne, aber das Essen ist lecker und den Rest nehmen wir als geschmackliche Entgleisung mit Humor über unsere heutige Unfähigkeit, besseres aufzutun oder die Ruhe zu bewahren …

Es regnet am nächsten Morgen, so dass wir unsere Abfahrt nach kurzer Beratung erst einmal verschieben. Während es neben mir wieder anfängt zu schnarchen, schreibe ich mein Tagebuch weiter und hoffe auf ein baldiges Ende des Niederschlags. Gegen sieben Uhr wollen wir in einem anderen Hotel frühstücken, werden aber an der Tür abgewiegelt mit der Begründung es wäre alles reserviert. So bleibt uns nur der Einkauf in einem der Backshops im Bahnhof. Die Bedienung ist lustig, die Brötchen eher schaurig. Kulinarisch sind wir in Bremen einigermaßen gescheitert. Wir frühstücken auf unserem Zimmer, packen die Taschen und holen unsere Maschinen aus dem Fahrraddepot neben dem Bahnhof. Zum Start quält sich die Sonne zwischen den Wolken hervor und begleitet uns fast den ganzen Tag. Wir fahren wiederum durch mehrere Moorgebiete über in weiten Strecken topfebene Geraden. Die Besiedelung ist stark zurückgegangen. Außer Bremervörde passieren wir keine größere Ansiedlung mehr. Gegen zwei Uhr erreichen wir die Elbe und damit unser erstes wirkliches Ziel. Wir setzen uns auf den Damm und schauen über das Wasser zum Leuchtturm auf der gegenüberliegenden Seite. Weiter stromabwärts geht es zu unserer Fährstation. Eine hochgezogene Brücke über einen Nebenarm der Elbe versperrt uns den Weg zu der schon in Sichtweite beidrehenden Fähre. Erst gegen fünf Uhr soll sie wieder runtergefahren werden. Wir überlegen kurz, ob wir uns auf den Damm legen und die zwei Stunden hier genießen sollen. Guido möchte aber lieber ein Stück zurück fahren, um dann über die Landstraße zur anderen Seite des Nebenarms und damit zu unserer Fähre zu gelangen. Martin und ich stimmen zu und so fahren wir eine fünfzehn Kilometer Schleife um zehn Meter Fluss einzusparen …

Wir können sofort auf die Fähre und freuen uns wie Kleinkinder auf unsere Überfahrt. In der Mitte des Flusses gibt es die Rhinplate, eine Untiefe in Form einer langen und schmalen Zunge. Wir umschiffen sie auf unserer halbstündigen Fahrt und legen am nördlichen Ende von Glücksstadt an. Von hier sind es nur noch sechs Kilometer vorbei an sehr gepflegten Reetdach-Villen zu unserer Übernachtung in Wewelsfleth.  Es gibt eine kleinere Verwirrung, weil Guido Alternativrouten fährt und wir uns zeitweise aus den Augen verlieren. Ich breche nach meiner Ankunft und einem kurzen Gespräch mit der Vermieterin noch einmal auf und suche die beiden anderen. Zusammen fahren wir nun zum Haus, parken im großen, jetzt fast ungenutzten Stall des ehemaligen Bauernhofs und freuen uns, die doch etwas geplagten Körper im großen und schön angelegten Garten entspannen zu können.

Nach dem Abendessen im örtlichen Gasthaus nutzen wir drei unseren restlichen Abend jeder für sich. Ich gehe noch einmal in den Stall, um Ladegerät und Kamera zu holen. Durch ein Fenster strahlt die tiefstehende rote Abendsonne hinein. Ich höre Guidos Schritte im hinteren Bereich. Er schaut sich die Ställe an und träumt seinen alten Jugendtraum, die Lehre als Landwirt doch noch einmal in irgendeiner Form umsetzen zu können. Hier gäbe es die gesamte Infrastruktur, gekehrt, aufgeräumt und wahrscheinlich für nun lange Zeit nicht mehr genutzt als landwirtschaftliche Fläche. Nur unsere drei Pferde, der Graue, der Schwarze und der Braune, bekommen hier ihr nötiges Stromfutter.  Guido ist ein wenig melancholisch über das Verschwinden der kleinteiligen landwirtschaftlichen Kultur im Land. Und auch wenn er dabei vielleicht eine rosa Brille trägt, so ist das für mich ebenfalls eine seit Kindheitstagen immer mehr verlorengegangene Idylle. Der kommerzielle Zwang zu immer größerem Viehbestand ohne Auslauf, klinisch sauberen Ställen ohne Dutzende von Schwalbennestern an den Dächern und Round-Up gespritzten Feldern ohne Insekten hat nichts mehr zu tun mit den gerade in unserer Gegend früher anzutreffenden kleinen Gehöften mit Hühnern, Gänseschar, ein paar Kühen und drei oder vier Schweinen. Auch wenn das Leben auf dem Land von außen betrachtet, noch dem vor fünfzig Jahren ähnelt, so ist hier doch die Moderne mit ihren mannigfaltigen Veränderungen durchgebraust. Die Speckgürtel sind verdichtet und stark gewuchert und mit ihnen haben sich die verstädterten Gebiete weit in ehemaliges Bauernland vorgeschoben. Wir sind als Standort zur Produktion einfacher Produkte zu teuer geworden. Material und Arbeitskraft kosten zu viel, der Gewinn schmilzt zusammen und so verschwinden viele der ehemaligen Bauernhöfe und wenige verschulden sich hoch, um in eine unsichere Zukunft zu investieren. Massentierhaltung ersetzt kleinteilige Tierhaltung. Grillfackeln für das Land!

Seit kurz vor drei liege ich wach und schaue in den langsam beginnenden längsten Tag des Jahres. Sommeranfang und ab sechs kommt der Regen, erst langsam, dann aber ernst und ausdauernd. Die Rotbuche vor dem Fenster wird es dankbar annehmen, wir weniger. Gegen sieben Uhr steht Guido in der Zimmertür, um seine Beschwerde bei der Reiseleitung einzureichen. Kurze Zeit später ziehen wir im Stall unsere Regenjacken über und gehen durch strömenden Regen zu Bäcker und Dorfladen, um unser Frühstück einzukaufen. Jeder hat ein freundliches „Moin“ auf den Lippen, den Regen stoppt das leider noch nicht. Wir setzen uns unter das Vordach, Martin mit der ersten Sportzigarette des Tages. Das Trommeln des Regens aufs Vordach erinnert mich an vergangene Campingtage mit der Familie. Das Geräusch auf dem Wohnwagendach stand für Gemütlichkeit, längeres im Bett liegen und ausgiebiges frühstücken. Weiße Plastikstühle mit ihren Armlehnen und den gelb-bunten Schaumstoffbezügen tragen als Ensemble mit dem ebenfalls weißen Plastiktisch zu der nostalgischen Gemütslage bei. Die Temperaturen sind zwar abgefallen, aber es ist irgendwie trotzdem eine gemütliche Atmosphäre zum Erzählen und zuhören. Der Regen besitzt eine ungewöhnliche Intensität und scheint auch in nächster Zeit nicht nachlassen zu wollen. Wir landen erst einmal wieder auf unseren Betten und verschieben die Abfahrt nach hinten. Ich höre St. Vincents neues Album „Daddy´s Home“, schöne Songs, nichts wirklich Neues, aber das Gefühl einer Epoche schön interpretiert. Währenddessen kommen erste Überlegungen an den Bau einer Arche auf. Jetzt schon fast fünf Stunden intensivster Starkregen.

Gegen zwölf entscheiden wir uns zum Aufbruch. Während wir unsere Regenbekleidung aus den Taschen kramen, wird der Wasserfall langsam zu Nieselregen.  Endlich fahren wir los Richtung Friedrichstadt. Wir kämpfen uns durch die Nässe und den starken Gegenwind voran. Ein Fasanenpaar sitzt vor uns auf der Straße. Während das Weibchen schnell auffliegt und den naheliegenden Acker zur Landung benutzt, stolziert das Männchen noch ein wenig die Straße entlang und entfliegt dann laut keckernd. Eine Stunde später fahren wir durch Wacken. Kaum vorstellbar, dass in diese kleine Gemeinde einmal im Jahr zehntausende Metalheads einziehen, um auf dem Open Air die Sau rauszulassen. Ein hoher Turm ist mit schwarzen Bannern überzogen, einen Fanshop gibt es natürlich auch. In diesem Jahr musste das Festival auf Grund der Pandemie zum zweiten Mal abgesagt werden. Wieder kein Auftritt für die Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr....

Wir fahren bei Hohenhorn auf die Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal und kehren an der anderen Seite auch direkt auf eine Runde Fischbrötchen in das Restaurant ein. Es fahren nur wenige Containerschiffe auf dem Kanal. Wahrscheinlich auch eine Folge des immer mehr durcheinander geratenen Welthandels. Die ganze Fahrt quält uns der Wind. Wir reparieren eine Kleinigkeit an Guidos Rad, die schon seit gestern immer wieder für Unsicherheit gesorgt hat. Leider bricht uns dabei der Ständer ab. Wir hätten besser vorher das Gepäck abgeladen. Das Gewicht war für das Rad, nur auf den Ständer stehend, zu groß, um den Reifen frei drehen zu können. Ab jetzt braucht Guido eine Wand oder einen Baum zum Anlehnen.

Gegen sechs Uhr treffen wir im idyllischen Friedrichstadt ein. Die Innenstadt könnte auch aus der holländischen Provinz stammen: Es gibt ein paar schöne Grachten, Giebelhäuser um den Marktplatz und herrlich schiefe Fassaden. Wir wohnen Am Markt und freuen uns dank dieser zentralen Lage heute nur noch kurze Wege zurücklegen zu müssen. Das Städtchen ist klein und das interessante Zentrum schnell abgelaufen. Wir lassen es uns in einem der Gasthöfe gutgehen und entschwinden dann in unsere Betten.

No items found.

Dänemark links liegen lassen...

Ich habe mich leider auf der linken Seite wundgefahren. Eine Zweieurostück große, von innen entzündete, Stelle quält mich. Ich versuche der Entzündung mit Betaisodona beizukommen und habe etwas Bedenken vor der zum Glück mit siebzig Kilometern kurzen Etappe. Es ist schwierig, eine bequeme Sitzposition auf dem Sattel einzunehmen, so dass ich bei jeder Gelegenheit zur Entspannung auf die rechte Seite meines Pos rutsche oder teilweise im Stehen fahre. Heute werde ich mit Fett auftragen versuchen, die Reibung zu minimieren.

Kurz nach dem Verlassen der Stadt ruft Martin erschrocken Stopp und fragt wo sein Helm abgeblieben sei. Wir haben eine kleine Lachattacke, bevor wir ihm erklären, dass er ihn auf seinem Kopf trägt … Nach den ersten fünfzehn Kilometern biegen wir nach Husum ab, um dort in einem Fahrradladen Guidos Rad prüfen zu lassen. Wir haben das störende Geräusch beseitigt, aber Martin hat bemerkt, dass der Hinterreifen ein leichtes Ei hat. Der Mechaniker guckt nur kurz auf die Felge und stellt einen Riss fest. Bei näherem Hinsehen finden wir noch einige weitere und sind froh es bis hierher geschafft zu haben. Da die passende Felge nicht vorrätig ist ruft der Mechaniker bei der Konkurrenz an und wird für uns auch fündig. Wir bedanken uns und fahren weiter zu dem anderen Geschäft. Die Felge wird gewechselt, die vorderen Speichen angezogen und ein neuer Ständer angeschraubt. Bei mir ist bei dem Schlag am ersten Tag eine der drei Nieten zur Befestigung der Tasche an der Halteplatte abgerissen. Auch die wird durch eine Schraubverbindung instand gesetzt und die Tasche damit wieder reisetauglich. Wir halten netten Smalltalk mit den eintreffenden Kunden während die Reparaturen durchgeführt werden. Guidos große rote Tasche steht bei Martin und mir schon länger im Verdacht deutlich zu viel Gewicht auf die Waage zu bringen. So haben wir einigen Spaß beim Auspacken. Unnötiges enthält sie leider nicht. Das Werkzeug mit Wasserrohrzange ist etwas überdimensioniert, angesichts unserer Reise jedoch in Ordnung. Wir verteilen einen Teil des Inhalts auf Martins und meine Taschen, so dass die neue Felge einer geringeren Belastung ausgesetzt ist. Auch der Reiseführer wird zu Guidos Entsetzen auf das nötigste heruntergerissen. Süßigkeiten dezimieren wir direkt vor Ort. Martin versucht kurz vor Abfahrt noch Guidos Helm über seinen zu ziehen, was einen kurzzeitigen Zusammenbruch bei Guido und mir auslöst. Wir verlassen Husum sehr erleichtert und setzen die Etappe Richtung Neukirchen an der dänischen Grenze fort.

Die Bundesstraße, auf die uns das Navi für zehn Kilometer schicken will, nervt und wir fahren weiter östlich, um entlang des Deiches zu radeln.  Hier ist zwar genauso viel Gegenwind, aber dafür keine Autos und ein breiter Weg nur für uns. Es gibt neben den omnipräsenten Schafen hauptsächlich Windräder. Wir können nun besser verstehen, warum eine Nord-Süd-Stromtrasse für die Energieversorgung der Republik so essenziell wäre. Das Land hier ist dünn besiedelt, aber prädestiniert zur Stromerzeugung durch Wind. Der Strom wird jedoch zum Großteil dort gebraucht, wo die Menschen wohnen und die Wirtschaft ansässig ist. Solange aber in unserem föderalen System jeder Landesfürst seine eigene Suppe kocht, wird es schwer flächendeckend mit erneuerbaren Energien Mensch und Wirtschaft zu bedienen. Die Erneuerbaren werden unsere Zukunft sein, auch wenn so mancher Konservative noch lieber Kohle verheizt oder Brennstäbe hortet. Schon manches Mal habe ich mich über die auf Grund unserer Geschichte stark aufgeteilte Macht geärgert. Aber wahrscheinlich ist es weitsichtig, damit die neuerliche Gefahr einer Radikalisierung klein bleibt. Platz für Visionen oder schnelles Handeln ist allerdings rar, im Gegensatz zu anderen Ländern ist unsere Bundesrepublik immer öfter blockiert. Zudem verhärten sich auch bei uns zunehmend die politischen Lager und eine Blockadehaltung gilt selbst in der sogenannten Mitte der Gesellschaft inzwischen oftmals politisches Programm, auch ohne eigene Alternative. Avantgarde muss immer mit langem Atem arbeiten um den Status Quo zu ändern.

Nach wenigen Kilometern stehen wir am nächsten Tag an der dänischen Grenze, um mit unserem Gruppenfoto die Überfahrt zu dokumentieren. Vor uns liegt die mit etwa hundertvierzig Kilometern bisher längste Etappe. Da Guidos Navigationsgerät wesentlich weniger Kilometer bis zum Ziel anzeigt wollen wir es damit versuchen. Nach kurzer Zeit bekommen wir die Aufforderung über einen Feldweg weiterzufahren. Wenige hundert Meter später ist auch von diesem nichts mehr übrig. Hüfthohes Gras lässt kaum Sicht zu und so rutsche ich plötzlich mit meinem Rad nach rechts, die Böschung herunter. Guido und Martin bekommen einen kleinen Lachanfall bevor auch Martin unfreiwillig die Rutsche benutzt. Zum Glück ist die nächste Querstraße nur etwa hundert Meter entfernt und mit Mühe schieben wir die Räder dort hin. Als auch später ein zweiter Versuch ohne Erfolg endet und wir vor einem geschlossenen Tor stehen beschließen wir nun wieder mein GPS zu verwenden. Die Landschaft ist jetzt eher trist: lange Geraden führen uns durch schier endloses plattes Land. Etwas Abwechslung kommt auf, als wir unterhalb des Damms entlang rollen. Zum Rasten halten wir oben auf und genießen den Blick über unzählige Schafe auf den Salzwiesen unter uns. Zum Glück schläft der uns seit zwei Tagen begleitende Nordwest-Wind langsam ein, so dass wir unter der tiefhängenden Wolkendecke gut vorankommen. Es ist auch wieder etwas wärmer und mit fortlaufender Fahrt werden die Sonnenstrahlen zumindest ein bisschen spürbarer. Kurz vor unserem Etappenziel ändert sich unsere Umgebung, es wird hügeliger und wir fahren durch waldige Abschnitte. Plötzlich ist auch die Sonne da und wir freuen uns über die verfliegende Monotonie. Die letzten zwanzig Kilometer rollen unter diesen Umständen direkt leichter. Vor dem Ziel geht Guidos Akku noch zur Neige, er entscheidet sich gegen einen Wechsel und tritt schwer in die Pedale während Martin noch ein neues einlegt. Wir erreichen Henne Strand gegen halb sechs. Eine Nachbarin, die auch ein Apartment gemietet hat, hilft uns beim Einchecken. Wir sind in einem kleinen Haus mitten in den hügeligen grasbewachsenen Dünen untergebracht. Die ganze Siedlung hat Charme und wir fühlen uns, während wir die Terrasse vor unserer Wohnung ausprobieren, als Glückskinder. Ich bin froh, dass wir diese recht lange Etappe so gut abgefahren haben. Wir duschen uns, waschen ein paar Klamotten, um die Sonne zum Trocknen zu nutzen und kaufen uns im Supermarkt unser Frühstück für den folgenden Tag ein. Nach dem Abendessen steigen wir noch auf die Dünen und sehen erstmals das Meer. Zusammen mit der Ferienhausbebauung ein schöner Anblick im Licht der sinkenden Sonne. Für heute bleibt nur noch das EM-Spiel zwischen Ungarn und Deutschland, bevor wir uns nach glücklicher Qualifikation in den Schlaf verabschieden.

Nur eine halbe Stunde nach unserer Abfahrt aus Henne Strand höre ich ein seltsames Geräusch und merke auch direkt, dass an meiner Pedale etwas gar nicht stimmt. Ich schaue nach und stelle fest, dass der sich drehende Teil seine Verbindung zu dem an der Kurbel befestigten verloren hat. Wir versuchen mit einer Zange die Pedale wieder zu befestigen, was leider nicht funktioniert. Guido sucht über Google die Adresse einer Radwerkstatt heraus und ich frage einen vorbeiradelnden Mann, wo er Chancen für uns sieht. Beide Ergebnisse lassen uns einen Fahrradverleih in etwa zwei Kilometer Entfernung aufsuchen. Leider gibt es hier keinerlei Mechaniker und auch keine Werkstatt. Aber die nette Inhaberin telefoniert mit Jørn Majland in Nørre Nord. Die vier Kilometer dorthin schaffe ich auch mit lockerer Pedale, indem ich nur mit einem Fuß trete. Die Werkstatt samt Geschäft ist ein Landmaschinenhandel mit erweitertem Sortiment. Durch das Fenster sehen wir den Inhaber noch im Unterhemd am Küchentisch sitzen. Kurze Zeit später kommt er in seine Werkstatt. Die ist gut gefüllt mit zu reparierenden Kettensägen, Aufsitzmähern und anderen Geräten. Zügig nimmt er sich des Problems an, befestigt drei Haken an meinem Fahrrad und zieht es hydraulisch per Knopfdruck in Arbeitsposition. Nur fünf Minuten später bin mit neuen Pedalen ausgerüstet wieder startklar. Meine Konversationsversuche während der Reparatur scheitern, da Jørn Majtland nur Laute von sich gibt, die stark an den namenlosen Bauern aus Shawn das Schaf erinnern. Auch die Werkstatt und das Äußere des Mannes unterstreichen diesen Eindruck. Letztendlich kostet meine Rettung ungefähr achtzehn Euro, die wir dankbar noch um das Wechselgeld und fünf Euro Trinkgeld ergänzen. Ein Händedruck, ein Lächeln und plötzlich ein klar verständliches „Gute Reise“ lassen mich überrascht, aber vor allem sehr dankbar weiterfahren. Zum zweiten Mal haben wir Glück im Unglück. Ein solcher Schaden im Hochland könnte das Ende der geplanten Reise bedeuten. Vielleicht würde es uns auch lehren, Schäden an unserem E-Bike selber zu reparieren oder zumindest ein Provisorium für die Weiterfahrt zusammenzuflicken. Hier waren es bis zur Reparatur inklusive Anfahrt nur eine knappe halbe Stunde... und das in einer wirklich schon dünn besiedelten Gegend!

Noch immer aufgekratzt empfinde ich den Sonnenschein und die kühlen, aber auch erfrischenden 12°C als paradiesisch.... Wir fahren, durch den Damm vom Meer getrennt, entlang Dünen und Salzwiesen. Herrlicher Kräutergeruch liegt in der Luft. Die in großer Zahl wachsenden Wildrosen verströmen betörenden Duft. Auch der Holunder blüht zahlreich, Kiefern verteilen großzügig ätherische Öle und Wildkräuter riechen intensiv und würzig.

Da unsere beiden GPS-Geräte immer wieder unterschiedliche Straßen bevorzugen und auch in den Tageskilometern ganz verschiedene Werte angeben, achten wir heute genauer auf ihre Vorschläge und finden heraus, dass beide ihre Phasen alternativer Fakten durchlaufen. Insofern passen wir besonders auf und bemühen uns einen guten Mittelweg zu finden. Durch die digitalen Irrtümer kommen täglich einige Extrakilometer auf unser Konto.

Auf einem der letzten Stopps möchte Guido seinen Ständer ausklappen und stellt gerade noch rechtzeitig fest, dass von dem erst vor zwei Tagen gekauften Teil die untere Hälfte fehlt. Offensichtlich war die verbindende Schraube nicht richtig angezogen und hat sich mit den vielen Kilometern auf ungeteerten Wegen gelöst. Also von jetzt an erst einmal wieder das Rad bei jeder Pause irgendwo anlehnen, bis wir einen passenden Gegenstand zum Anschrauben an den verbliebenden Rest finden. Recht ärgerlich nach so kurzer Nutzung, aber zum Glück nicht wirklich schlimm.

Wir sind in einem Bed and Breakfast auf dem Lande untergebracht. Nach einem kleinen Nachmittags-Nickerchen setzen wir uns noch einmal auf die Räder und fahren in das nahe Hafenstädtchen Lemvig, das an einer fast ganz vom Meer abgetrennten großen Bucht liegt. Wir genießen die erste richtige Abfahrt in Dänemark und preschen die paar Kurven durch den Wald hinab zum Wasser. Am Hafen findet ein kleines Oldtimertreffen statt. Wir drehen ein paar Kurven durch die Innenstadt und entscheiden uns dann für ein Restaurant mit Hafenblick. Das Essen ist vorzüglich aber auch nicht gerade preiswert. Den Heimweg bringen wir mit oberster Unterstützung schnell hinter uns und verfrachten uns danach auch alle direkt in die Horizontale, um noch ein wenig zu lesen oder Nachrichten an die Lieben zu schicken, bevor uns der Schlaf holt.

Als ich nach dem Gepäck aufladen in den Essraum komme haben Martin und Guido schon ihren ersten Kaffee, genauso wie der am Nachbartisch sitzende Ehemann unserer Gastgeberin. Mein „Good morning“ beachtet er gar nicht, aber weniger aus Unhöflichkeit als aus Abwesenheit. Es ist auch noch früh, eine Stunde vor normalem Frühstücksbeginn, aber wir haben die Besitzerin gestern schon überredet uns vorzuziehen, damit wir bereits am Vormittag einen Gutteil der heute recht langen Strecke zurücklegen können. Die ersten vierzig Kilometer vergehen schnell. Eine kurze Zeit fahren wir im kräftigen Gegenwind aus Nord-Nordwest mit Blick auf das Meer statt wie sonst hinter Dünen oder Damm. Die salzige Luft ist herrlich vom Geruch des Tangs geschwängert. Als wir landeinwärts abbiegen wird der Wind zu unserem Freund und unterstützt uns tatkräftig.


Wir kommen gut voran und das Wetter bleibt bis auf etwas feinen Niesel die ganze Zeit trocken. Gegen vier Uhr erreichen wir nach hundertdreißig Kilometern unseren vermeintlichen Zielort. Da ich am Vortag die Straße nicht in das Navigationsgerät eingeben konnte habe ich stattdessen die Nachbarstraße genommen. Wie sich jetzt aber herausstellt besteht Fjerritslev aus mehreren kleinen Ortschaften und die von mir eingegebene Straße existiert in zweien von ihnen. Diese ist leider die falsche. Ich halte einen Autofahrer in der Straße an und er macht mir klar, dass wir in einen noch zehn Kilometer entfernten Ort weiterradeln müssen.  Leider erst jetzt komme ich auf die Idee, statt Fjerritslev die Postleitzahl einzugeben und nun findet das Gerät auch die gesuchte Straße. Eine halbe Stunde später biegen wir auf einen alten Hof ein. An der Tür hängt ein Begrüßungszettel, weil der Besitzer noch nicht anwesend ist. Da jedoch die Tür offen ist, ziehen wir ein und stellen erfreut fest, dass der Kühlschrank mit allem notwendigen gefüllt ist und wir uns nicht noch einmal auf unsere E-Bikes schwingen müssen, um in ein weiter entferntes Restaurant zu fahren. Nach dem Duschen klopft der Sohn des Besitzers an die Tür. Er wirkt recht schüchtern und ein wenig linkisch, ist aber sehr freundlich und bietet uns an, ein paar Fertigpizzas für uns in den Ofen zu schieben. Wir schieben Kohldampf und freuen uns über das Angebot. Er bringt auf Guidos Bitte sogar noch ein paar Bier rüber und so genießen wir den unverhofften Zimmerservice voller Dankbarkeit.

Guido möchte gerne noch einen kleinen Spaziergang machen. Wir gehen die Straße zwischen den Getreidefeldern hinauf. Am oberen Ende liegt rechts eine der hier typischen Kirchen, aus großen Natursteinen erbaut und mit weiß geputzten Laibungen abgesetzt. Das Areal aus Kirche und Friedhof wird auch hier von einer sehr breiten, nach oben zulaufender Mauer aus Findlingen eingefriedet. Die Anlage strahlt eine herrliche Ruhe und durch die heimischen Baustoffe eine enge Verbundenheit mit der Umgebung aus. Gegenüber der Kirche befindet sich ein schmaler Weg, der zwischen heckenartigen, um die vier Meter hohen Haselnussbüschen und Ulmen auf ein Hügelgrab zuführt. Die runden Kuppen sind uns auf der Fahrt heute schon des Öfteren aufgefallen. Wegen der großen Menge kam es uns aber unwahrscheinlich vor, dass es tatsächlich Gräber seien. Später erzählt uns der Sohn des Besitzers, dass es sich um Grabhügel aus der Wikingerzeit handele. Zurück auf dem Hof werden uns noch die im alten Kuhstall untergebrachten Kaninchen gezeigt. Der Großteil sind Belgische Riesen, eine Rasse, die über sieben Kilo Körpergewicht auf die Waage bringt. Ich kenne die Tiere aus meiner Jugend als Belgische Riesenrammler, wobei damit vielleicht auch nur die männlichen Hasen gemeint waren. Als ich die umgangssprachliche Bedeutung des Wortes rammeln erkläre ist unser Gastgeber sehr belustigt. Wir kommen noch ein bisschen ins Gespräch und ich erfahre, dass er auf einem großen Bauernhof mit siebenhundert Kühen arbeitet. Seine Eltern haben sich getrennt als er drei war und er hat erst bei seiner Mutter und dann beim Vater gewohnt. Der ursprüngliche größere Bauernhof musste wegen Schulden verkauft werden und so sind sie hierhergezogen. Später kommt auch der Vater noch auf einen kleinen Schwatz vorbei. Wir fühlen uns bei den beiden bestens aufgehoben und genießen unsere kurzen Ferien auf dem Bauernhof.

Der Wecker ist auf fünf Uhr gestellt, um Viertel vor vier ist meine Nacht vorbei. Zwei lästige Fliegen nutzen mich immer wieder als Landeplatz und piesacken mich auch noch mit ihren Bissen. Noch ein Stündchen Tagebuch und Internet bevor ich mein Zimmer räume. Im Apartment nebenan setze ich den Kaffee auf und Guido schlägt Eier in die Pfanne. Martin schläft noch ein bisschen während wir schon den Tisch decken. Um sechs starten wir heute auf unsere knapp neunzig Kilometer gen Hirtshals. Unsere Fähre zu den Färöer soll um halb vier ablegen. Vorher werden noch alle auf Corvid 19 getestet. Wir fahren bis kurz nach zehn die Kilometer ab und besuchen in der etwas ungemütlichen Hafenstadt das erste Café am Weg, um ein wenig unseres Zeitpolsters abzusitzen. Noch ein paar Einkäufe im Aldi unseres Vertrauens und schließlich hinunter zum Hafen. In der Schlange zum Corona-Test fallen die bei weitem überwiegenden Kennzeichen der Färöer auf. Es sind noch einige Festland-Dänen und zwei Hand voll deutsche Wagen zu sehen. Die Hoffnung steigt, dass auf Grund der unsicheren Reisebedingungen auf der Insel noch nicht viel los ist und wir ein Island wie vor der großen Tourismuswelle kennenlernen. Die Fähre legt mit ein bisschen Verspätung ab. Wir haben unsere Räder im großen Bauch vertäut und uns in unserer recht engen Kabine eingerichtet. Nach einer Sportzigarette und einem Bier in der ortsüblichen 0,75 Liter Version legen wir uns erst einmal ein Stündchen ab und schauen Dänemark gegen Wales im EM-Viertelfinale.

Die dreißig Stunden auf der Fähre ziehen sich und wir stellen uns ungern vor, wie es uns auf einem Kreuzfahrtschiff ergehen würde. Martin trifft es gut, als er auf meine Bemerkung, dass ich eine geschenkte Reise weiterverschenken würde, antwortet er würde den Schenker hochkant hinauswerfen. Wir sehen uns in der Cafeteria eine Powerpoint-Präsentation über die Färöer an. Die Fähre ist nur halb ausgebucht und wir senken den Altersdurchschnitt um ein paar Monate. Zur Teilnahme am Bingo kann ich leider keinen überreden und so wechseln wir zwischen Oberdeck, Restaurant und unserer Kabine. Gegen Mittag ziehen Backbord die Shetland-Inseln langsam vorbei. Basstölpel folgen uns schon von Hirtshals den ganzen Weg nach Tórshavn. Elegant segeln sie mal hinter, mal neben dem Schiff. Auf dem Zimmer lesen wir in unseren Büchern und ich vertiefe die Vorstellung wie jeder in seine Romanwelt abtaucht. Das weiße Papier mit den schwarzen Flecken wird zum Rowlingschen Teleporter und saugt uns mit einer Spiralbewegung in die einzelnen Geschichten. Körperlich sind wir alle in demselben Raum, aber eigentlich Lichtjahre voneinander entfernt. Die Zeit lässt Raum, um die kommenden Tage gedanklich anzugehen. Vor allem die große Unbekannte, das Wetter, spielt in unseren Überlegungen eine Rolle, aber auch die Durchquerung des Hochlands mit der fast nicht vorhandenen Infrastruktur wirft Fragen und Unsicherheiten auf. Wie immer, wenn es um neue Situationen geht, ist es die Faszination im Wechsel mit leichten Bedenken, die das Denken bestimmen.

Wieder, wie die letzten Tage schon, bricht die Sonne durch die am Morgen noch dichte Wolkendecke. Wir bewegen uns hinauf auf das Deck, gehen einmal um das Schiff und finden eine Bank hinter der Glasscheibe. Geschützt vor dem strengen Wind genießen wir nun die Fahrt durch das blauschimmernde Meer. Hin und wieder sinkt der eine oder andere Kopf zu einem kleinen Nickerchen nach vorne. Ich versuche einen der Weltklassesegler zu fotografieren die sich herrlich mit ihrem schwarz-weiß-gelben Federkleid gegen den blauen Himmel absetzen.

Gegen zweiundzwanzig Uhr laufen wir in Tórshavn ein. Nach dem Verlassen der Fähre und etwas herumirren im Hafengebiet fahren wir zu unserer etwas außerhalb liegenden Unterkunft. Der uns in harte Böen entgegenschlagende Wind ist spektakulär. Ein junger Radfahrer aus Hamburg, den wir schon kurz an der Tankstelle in Hirtshals kennengelernt haben und der mit vollem Gepäck inklusive Campingausrüstung unterwegs ist, lässt Mitleid bei uns aufkommen. Ich bin gespannt, was er von seinen drei Tagen auf den Färöer berichten wird, wenn wir uns am Mittwoch auf der Fähre nach Island wiedertreffen. Zum Einchecken sind wir zu spät, aber die Haustüre ist, wie wohl bei den meisten Häusern hier, offen. Wir tragen alles herein und telefonieren dann mit den Gastgebern. Das Ehepaar war auf derselben Fähre und ist noch weiter zum zweiundneunzigsten Geburtstag der Mutter unterwegs. Wir bekommen eine kurze Einweisung und sind froh, dass alles so problemlos funktioniert.

No items found.

Färoer und Islands Nordosten

Nach dem Frühstück brechen wir in die laut Wikipedia mit nur dreizehntausend Einwohnern kleinste Hauptstadt der Welt auf. Ich zerlege bei einer kleinen Fotoexkursion meinen Spiegel, weil mir das Rad in einer zu engen Kurve fast aus dem Stand umkippt. Das ist ärgerlich, weil es hier keinen Ersatz geben dürfte. Wir fahren Hafen, Innenstadt – ein großes Wort – und Altstadt ab. Viel bietet Tórshavn nicht, aber immerhin finden wir einen Bekleidungsladen, um für Martin den vergessenen Rollkragenpullover und die ebenfalls vergessene lange Unterhose zu ersetzen. Auch für mich springt eine neue Unterhose heraus, nachdem ich die vier Extralöcher nicht länger schönreden konnte und noch auf der Fähre zur Entsorgung geschritten bin. Ein weiterer Halt am Supermarkt, um für die morgige Etappe und das Frühstück einzukaufen und dann genießen wir die zwei Stunden, bis der gebuchte Helikopterflug zur Nachbarinsel Vágar startet. Den Weg zum Heliport können wir zu Fuß gehen, den Landeplatz sehen wir von unserem Fenster aus. Für die aus achtzehn Inseln bestehende autonome aber zur dänischen Krone gehörende Inselgruppe gibt es ein öffentliches Verkehrsnetz aus Helikopterflügen. Auf diese Art werden auch die entfernteren Inseln an die Hauptinsel Streymoy und die Flughafeninsel Vágar angebunden. Einheimische haben Vorrang vor Touristen bei den Flügen. Es gibt, zumindest für Urlauber, keine Retour-Tickets, damit nicht alle Urlauber dauernd über die Inseln fliegen.

Den Fußweg durch ein schönes Tal laufen wir bei herrlichem Sonnenschein. Schon nach fünfzehn Minuten kommen wir viel zu früh am Heliport an. Ein kleines grünes Haus mit Grasdach dient als Check-in, Flughafenbüro und Infopoint zum Anschauen des Sicherheitsfilms. Ein Hauch von Schnaps liegt in der Luft und ich hoffe, der anwesende Angestellte ist nicht gleichzeitig unser Pilot. Drei Erwachsene und eine Familie mit drei Kindern sollen mit uns fliegen. Drei Obstkisten mit allerhand Grünzeug werden mit einer Sackkarre zum Startplatz geschoben. Wenige Minuten vor dem Start wird den beiden Gruppen mitgeteilt, dass ihr Weiterflug vom Vágar Airport gecancelt wurde. Ohne eine Unmutsäußerung packen sie ihr Gepäck wieder zurück in die Autos. Auch die drei Kisten werden in dem der Familie verstaut. Zu voll, um alle mitzunehmen fährt der Wagen erst einmal nur mit dem Vater davon. Ein paar Minuten später parkt eine ältere Frau kurz und nimmt den Rest der Familie mit. Wir warten noch zwanzig Minuten bevor wir unseren nun exklusiven Flug antreten. Der Co-Pilot sagt ein paar begrüßende Worte und dann heben wir ab. Aus der Sonne geht es in die von den Bergen herunterkriechenden Wolken. Nach kurzem Flug durchstoßen wir die letzte Schicht und fliegen nun dicht über den Wolken westwärts. So sehen wir leider nur wenig von der Inselwelt, freuen uns aber trotzdem an der Wattelandschaft unter uns. Aus dem Cockpit bekommen wir ein paar Informationen dazu, was wir bei gutem Wetter sehen würden. Wir landen auf dem Flughafen und unterhalten uns noch mit den Piloten auf dem Rollfeld. Da es keinen weiteren Flugverkehr gibt, ist es sehr still und fast menschenleer. Ein Bus fährt über das Rollfeld und holt uns ab. Ganz allein sitzen wir darin und werden die paar Meter zum Terminal gefahren. Sicherheitsvorschrift bleibt auch in dieser Situation Vorschrift.

Da in dem Nebel eine Klippenwanderung nicht ratsam erscheint gehen wir ins nächstgelegene Dorf nach Sørvagur. Am Ende eines Fjordes liegt die Gemeinde um einen kleinen Hafen herum. Ein paar Kinder spielen im Watt. In ihrer bunten Kleidung hüpfen sie Farbklecksen gleich durch die braun-grüne Umgebung. Ein Fußballplatz sticht durch seinen grünen Kunstrasen heraus. Hans van der Meers Bildband European Fields, heute ein gesuchter Fotokunst-Band, kommt mir in den Sinn. Van der Meer hat Europa bereist und an hunderten Fußballplätzen seine Kamera aufgebaut, während gerade die Spiele der niedrigklassigen Ligen liefen. Ein wunderschönes Projekt über eine uns über Grenzen hinweg verbindende Sportkultur. Die Lage der unterschiedlichen Spielorte, am Meer, zwischen Industrieanlagen, mitten im Dorf oder mitten im Nirgendwo und dazu die farbigen Trikots, getrennt nach Mannschaften, mit den farbig abgesetzten Torwarten erschaffen fast altmeisterliche Tableaus.

Wir gehen durch das ganze Dorf bis zum anderen Ende. Hier legt die Fähre zur Papageientaucher-Insel Mykines ab. Was von uns für den Fährterminal gehalten wird, ist eine Lachsfabrik. Damit ist auch unsere Chance auf einen Kaffee geschrumpft. Wir fragen einen jungen Mann, der uns an die Tankstelle verweist. Hier sitzen wir erzählend die zwei Stunden, bis der nächste Bus uns zurück nach Tórshavn bringt. Dabei bekommen wir einen schönen Einblick ins Dorfleben. Hier wird nicht nur getankt, sondern auch Hamburger mit Fritten gegessen, Bier und Limo gekauft und Geschichten ausgetauscht. Immer wieder kommen ein paar der Bewohner durch die Tür. Gegenüber ist der Haushaltswarenhändler mit seinem unüberschaubaren Angebot von Grassamen bis Teekanne in den Schaufenstern. Solche Läden gibt es nur noch da, wo die grüne Wiese ohne Obi und McDonalds auskommen darf. Wir fahren mit dem Bus zurück über die Inseln, zwischenzeitlich auch durch einen der langen Tunnel unter dem Meer, für die die Faröer bekannt sind, zu unserem Haus. Dieses Jahr ist das erste weltweite Tunnelsystem mit Kreisverkehr eingeweiht worden.

Unsere Gastgeberin arbeitet zusammen mit ihrem Mann vor der Haustür im Garten, als wir die Treppen hochkommen. Sie bietet uns an, eine traditionelle färöische Mahlzeit zuzubereiten. Wir sagen gerne zu, auch um nicht noch einmal in die Stadt fahren zu müssen, aber natürlich vor allem aus Interesse an der Esskultur dieser Region. Gegen neun werden wir zum Abendessen gerufen. Die Speisen sind durchweg überraschend: Es gibt gepökelten Wal Speck vom Grindwal und sechs Monate fermentiertes Grindwal Fleisch. Außerdem getrockneten und fermentierten Fisch. Speck und Fleisch oder Trockenfisch werden zum Essen auf dünne Scheiben gekochte Kartoffel gelegt. Außerdem wird uns noch ein sehr leckeres selbst gebackenes Brot zusammen mit Butter und einer Art kaltem Spießbraten vom Lamm serviert. Als Hauptspeise gibt es sehr fettige, sechs Wochen fermentierte Lammrippen mit gekochten Kartoffeln und Möhren. Auf Grund der kurzen Fermentierung müssen die Rippchen noch gekocht werden. Mein Magen gibt allerdings nach einer Probierrippe ein klares Kontra. Guido und Martin schaffen es aber den Teller zu leeren, was Guido mit einem leichten Unwohlsein büßen muss. Das Fermentieren, heute in der westlichen Welt wieder an Wert gewinnend, war in früheren Zeiten ein wichtiger Prozess, um die Speisen haltbar zu machen. Er wurde immer im Herbst vollzogen, weil dann die Fliegen nicht mehr störten, die Temperaturen aber noch hoch genug lagen, um den Fermentierungsprozess nicht zu stoppen.  Einmal so haltbar gemachte Produkte konnten Jahre eingelagert werden und so in kalten Wintern oder knappen Zeiten das Überleben sichern.

Ganz ohne schlechtes Gewissen ist so eine Mahlzeit nicht. Grindwale sind nicht vom Aussterben bedroht, aber die Jagd ist blutig und archaisch. Wird eine vorbeiziehende Walschule von einem Fischer gesichtet, benachrichtigen sie die Dorfgemeinschaft und treiben dann die Tiere mit Booten in eine Bucht. Hier werden sie mit dem Grindmesser erlegt und der Fang wird unter den Bewohnern aufgeteilt. Es dürfen nur bestimmte Werkzeuge bei dieser von den Behörden beaufsichtigten Jagd verwendet werden. Auch Kinder nehmen schon an dem Gemetzel teil. Ähnlich der früheren Thunfischjagd oder dem Stierkampf in Spanien oder der Fuchsjagd in England werden Traditionen aufrecht gehalten, die womöglich nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Das die Tiere gegessen werden ist immerhin besser als reines wegmetzeln. Auch das die Tiere bis zu ihrem Tod in Freiheit leben konnten mildert in meinen Augen das Vergehen. Allerdings hätte ich die Mahlzeit abgelehnt, wäre uns bewusst gewesen, was uns serviert wird. So haben wir uns zwischen Tier- und Gastgeberwohl für die Hausherrn entschieden.

Weil ich mit zwei Tunnelverweigerern unterwegs bin, nehmen wir die alte Passstraße auf unserem Weg Richtung Gjógv. Nachdem wir Tórshavn verlassen haben, geht es steil bergauf und schon bald fahren wir mitten in den kühlen Wolken. Ein feiner Film aus Wassertropfen legt sich auf Brille und Kleidung. Der prägnante Gesang der Austernfischer scheint uns von überall her zu verhöhnen. Die schönen Vögel mit den roten Schnäbeln und scharf gezeichneten schwarz-weißen Federkleidern sind omnipräsent. Guidos gestern noch verkündete Sicht von acht Kilometern trifft im Tiefland bestimmt zu, hier sind es um die zehn Meter. Die schönen Ausblicke bleiben für heute im Nebel verborgen. Erst als wir wieder deutlich an Höhe verlieren bekommen wir unseren Weitblick wieder. Wir fahren mit zwei kleinen Pausen bis über die Brücke zur Nachbarinsel Eysturoy. Nach einem Stopp bei Tankstelle und Supermarkt geht es auf einer ruhigen Nebenstraße durch kleine Ansiedelungen entlang des Tangafjørdur, auf deutsch lautmalerisch Langzungenfjörd. Ein Schleppschiff zieht Aquakulturen durch das Gewässer. Die kreisförmigen Gebilde sehen wir oft in den Fjorden. Hier wird Lachs gezüchtet. Noch vor der Fischerei die größte Einnahmequelle der Inseln. Insgesamt erzielen die Gelder aus der Fischindustrie fünfundneunzig Prozent der gesamten Exportgewinne.

Kurz vor Eidi fahren wir landeinwärts. Es geht über Kilometer eine lange Steigung hinauf und so verschwinden wir zum zweiten Mal am heutigen Tag in den Wolken. An der höchsten Stelle treffe ich den neunzehnjährigen Radfahrer von der Fähre wieder. Er radelt unermüdlich von einer Insel zur anderen und ist bester Laune. Wieder unter den Wolken öffnet sich das Tal von Gjógv mit dem kleinen Ort voller Holzhäuser. Ein schöner Anblick, auch wenn die Sonne das Ganze noch schöner bescheinen könnte.

Unser Start in den Tag beginnt wieder unter dichter Wolkendecke. Innerhalb kurzer Zeit verschwinden wir auf unserer Rücktour in ihr. Nachdem ich zuerst nur einen blauen Schein wahrnehme, durchfahren wir kurz vor dem Gipfel die letzten Wolkenfetzen und werden plötzlich von Sonne und blauem Himmel empfangen. Ein Hase läuft vor meinem Rad her und flüchtet mit einem Haken ins Grün. Um uns herum die Spitzen der höhergelegenen Berge, unter uns die Watte. Wir sind euphorisch und sausen die lange Abfahrt dem Fjord entgegen. Ich fotografiere die schroffe Landschaft und spute mich dann um Guido und Martin einzuholen. Gemeinsam ziehen wir die Straße am Fjörd entlang. Diesmal nehmen wir den Tunnel und sind nach drei Kilometern froh das Tageslicht wiederzusehen. Die stickigen Auspuffgase und das Dröhnen der Motoren führen zu leicht klaustrophobischen Gefühlen. Wir sind heute früh aufgebrochen, weil wir vor der Überfahrt noch einen Corona-Test im Hafen absolvieren müssen. Die Stunden bis zur Abfahrt verbringen wir im Café Paname mit seinem gemütlichen Innenhof. Wir laden hier noch mal unsere drei E-Bikes auf, um für die erste Island-Etappe gerüstet zu sein und spielen einen Skat. Pünktlich um achtzehn Uhr verlassen wir die Färöer und freuen uns jetzt auf die nächsten zwei Wochen auf Island.

Nach dem Verlassen der Noröna stellen wir fest, dass wir leider ein im Internet auszufüllendes Formular nicht besitzen. So sitzen wir erst einmal in einer Schlange der ebenfalls Uninformierten fest. Die Zollbeamten sind aber freundlich und zusammen füllen wir die nötigen Papiere aus, um unsere Weiterreise beginnen zu können. Seydisfjördur ist ein netter kleiner Ort mit schöner Holzkirche und einigen Cafés. Wir versuchen noch Geld zu tauschen, sind aber zu früh und so fahren wir erst einmal zwölf Kilometer bergauf. Links und rechts der Straße verdichten sich die Schneefelder zu einer geschlossenen Schneedecke.

Wir sind fasziniert von dem schnellen Wechsel zwischen grüner Fjördlandschaft und weißen Höhen. Überall gibt es kleinere und größere Wasserfälle zu bewundern. Fantastische Weitblicke eröffnen sich mit unserem Aufstieg. Wir lassen die Radfahrer schnell hinter uns und uns lassen wiederum die Wohnmobile, Motorräder und Autos zum Glück schnell hinter sich. Die Belohnung für die ersten siebenhundert Höhenmeter ist eine zwölf Kilometer lange Abfahrt. Wir fahren nun wieder in einem grünen Tal, als wäre das kurze Schnee-Intermezzo nie gewesen. An einem Fluss füllen wir unsere Wasservorräte auf und essen ein wenig aus unserem Proviant. Riesige Lupinienfelder bedecken die Landschaft und erfreuen unsere Augen.

Unsere geteerte Straße wird nach längerer Fahrt zur Piste und es geht wieder über sechshundert Höhenmeter einen zweiten Pass hinauf. Hinter jeder Kurve verlängert sich der Aufstieg ein weiteres Mal. Irgendwann fließen die Bäche endlich in unserer Fahrtrichtung. Wir haben die Wasserscheide erreicht und vor uns öffnet sich ein grandioses Panorama. Das ist bildgewordene Naturgewalt mit den schneebedeckten Gipfeln, zahlreichen Wasserfällen, scheinbar aus dem Felsen hervorbrechend und den vor langer Zeit schon tektonisch schräg verschobenen Bergen. Weit runter ins Tal reicht der Blick und wir können erstmals den Fjord sehen an dem Djúpivogur, unser heutiger Zielpunkt, liegt. Die Fahrt ist wegen der in Teilen sehr steilen Abfahrt auf Schotter recht kraftraubend und erfordert hohe Konzentration. Wir haben alle Angst um unsere Bremsbeläge und natürlich auch vor einem Sturz. Die letzten fünfundzwanzig Kilometer geht es dann ruhig den Fjord entlang bis in den kleinen Hafenort Djúpivogur.

So erschöpft wie heute waren wir bisher noch nicht. Um die nächsten zwei Etappen gut meistern zu können beschließen wir beim Abendessen einen sehr frühen Aufbruch am nächsten Morgen. Wir kümmern uns nur noch um die nötigsten Handgriffe und sind dann alle drei früh im Bett.

Schon um vier Uhr in der Früh treffe ich noch vor der ausgemachten Zeit mit Martin im Badezimmer aufeinander. Wir wecken Guido, der zu Recht reklamiert, dass es eigentlich eine Stunde vor der ausgemachten Zeit ist. Martin kocht schon einmal Tee und Guido gibt sich geschlagen und steht unter leichtem Protest auf. Da gestern der Supermarkt schon geschlossen war als wir im Ort eintrafen, gibt es heute nur Toast mit etwas Butter und wahlweise Banane oder billige Salami als Aufschnitt.

Wieder auf der einmal um die gesamte Insel herumführenden Ringroad, geht es heute für hundertfünfzig Kilometer gen Süden bis zu den ersten Zungen des Vatnajökull, Europas größtem Gletscher. Die Strecke führt um einige Fjorde herum und ist ein stetes auf und ab über kleine Hügel. So kommen auch am heutigen Tag wieder elfhundert Höhenmeter zusammen. Wir sehen unglaublich viele Wasservögel. Mehrere hundert Singschwäne sitzen zusammen auf dem Wasser, verschiedene Wasservogelarten ziehen krackelend um unsere Köpfe. Große Gruppen Gänse lagern auf den Wiesen am Wasser. Um von ihren Nestern abzulenken, fliegen manche Vogelarten lautstark eine Strecke vor uns her und drehen erst bei, wenn sie ihre Nester für gesichert halten.

Guido stoppt an einem kleinen Campingplatz in einem Naturreservat. Eigentlich gibt es hier nichts, aber eine Art Büdchen scheint offen. Wir fahren auf das Gelände in der Hoffnung, einen Kaffee zu bekommen. Wie eigentlich schon gedacht sind hier Gäste des Camps mit der Zubereitung ihres Frühstücks beschäftigt und das Büdchen ist nur eine kleine Küche für die Camper. Ich frage trotzdem der Sicherheit halber nach. Die Antwort ist traumhaft: „Einen Kaffee kann ich Euch machen, aber bezahlen könnt ihr nicht!“ Es ist ein amerikanisches Paar aus New Mexico, die hier gerade wirbeln. Mit einer kleinen Bialetti bereitet uns Doug einen Kaffee zu. Aus dem Rezeptionsgebäude kommt eine junge Frau und fragt, ob sie ihre Bialetti auch noch anschmeißen soll. So bekommen wir Kaffee satt und eine nette Unterhaltung obendrein. Mit ihrer Illy Dose rollen wir kurz die Wege der Globalisierung auf. Sie haben den Kaffee der italienischen Marke über Amazon in den USA bestellt. Wahrscheinlich stammen die Bohnen aus Kolumbien. Nun ist die Dose in Island gelandet und wir Deutschen trinken das Heißgetränk mit Genuss aus unseren Tassen. Jeder weiß, dass es so wohl nicht weitergehen kann, aber allen fällt es schwer vom liebgewonnenen Lebensstil zu lassen. Wir reisen um die Welt und die uns lieben Produkte reisen ebenfalls um die Welt. Unser Überfluss, basierend auf Ausbeutung von Mensch und Natur, wird nicht ewig zu halten sein. Die Zeiten der Dekadenz für eine so große Anzahl von Erdenbewohnern bekommt schon erste Risse. Wir werden noch erleben, dass die Verteilungskämpfe zunehmen, sei es um Wasser oder Nahrung. Auch Energie wird ein Schlachtfeld abgeben.

Kurz vor unserer Pause in Höfn hat Martin einen schleichenden Platten. Zuerst hoffen wir, dass vielleicht nur durch einen Schlag plötzlich Luft entwischen wäre, stellen aber nach dem Aufpumpen fest, dass der Schlauch ersetzt werden muss. Wir essen erst einmal zu Mittag und kaufen neue Vorräte für den morgigen Tag ein. Der Schlauchwechsel funktioniert reibungslos und wir können bald weiter in Richtung Skalafell Guesthouse fahren.

Schon in Höfn haben wir die ersten Gletscherzungen in weiter Entfernung gesehen. Nun rücken wir näher an sie heran. Morgen werden wir an einer der größten stoppen. Heute sind wir aber wesentlich mehr an der Ankunft als an dem Gletscher interessiert. Die Entfernung und so auch der Tag waren lang und als endlich ein Schild der Farm auftaucht, wo wir heute nächtigen wollen, sind wir doch geschafft und freuen uns auf heiße Dusche, gutes Essen und vor allem ein Bett zum Ausruhen. Wir werden von der Gastgeberin bekocht und es schmeckt vorzüglich.

No items found.

Rechts ab ins Hochland...

Der nächste Tag beginnt nicht gut. Draußen steht dichter Nebel über dem Gelände. Martins Vorderreifen ist auch wieder platt. Guido flickt erst einmal den alten Schlauch. Martin und ich bauen das Rad aus und wechseln den kaputten gegen den geflickten aus. Nach langem Tasten findet Guido endlich einen kleinen Dorn in der Manteldecke. Mit einer Stunde Verspätung starten wir, kommen aber nur bis kurz hinter das Tor der Farm. Der Mantel von Martins Rad sitzt nicht richtig und das Rad läuft nicht rund. Also wieder Gepäck abladen, die mühsam mit der kleinen Handpumpe eingefüllte Luft noch einmal raus und Mantel durchkneten. Leider sitzt der Mantel selbst nach zweimaliger Wiederholung nicht perfekt. Wir beschließen es trotzdem mit der Weiterfahrt zu versuchen und hoffen mit nachpumpen an der nächsten Tankstelle das Problem zu lösen. Nach kurzer Zeit fällt Martin auf, dass Guidos Felge eiert. Ich schaue mir das eine Weile an und dann halten wir wieder an. Der Versuch, die Felge zu richten, klappt halbwegs. Mit inzwischen sieben Kilometern in drei Stunden machen wir uns auf, um die restlichen hundertdreißig anzugehen. Unser Gefühl für den Tag ist nicht gut und wir hoffen nur am Abend heil in Hvoll anzukommen.

Zwanzig Kilometer später löst sich der Frühnebel auf und der blaue Himmel zeigt sich. Am Horizont zur rechten ist nun schon ein großes Schneefeld des Vatnajökull zu sehen. Wir leben langsam auf und entscheiden uns für ein zweites Frühstück etwas abseits der Straße mit Gletscherblick. Nur ein paar Kilometer später erreichen wir den ersten touristischen Höhepunkt unserer Islandtour, die Gletscherzunge Breidamerkurjökull. Wir fahren auf den spärlich belegten Parkplatz und parken direkt vor dem kalbenden Gletscher und seinen großen Eisblöcken. Die Szene nimmt uns direkt gefangen: Im Hintergrund das ewige Eis, davor im Jökulsárlón, der Gletschereislagune, weiße und teilweise cremig-hellblaue, vom Gletscher abgebrochene Schollen. Möwen sitzen in großen Gruppen auf der Oberfläche. Von hier transportiert ein kurzer Wasserlauf kleinere Blöcke ins Meer und von dort zurück an den schwarzen Strand. An einem normalen Samstag im Juli wäre es hier wohl unerträglich voll. Dieses Jahr genießen wir das Privileg, diesen Platz nur mit wenigen teilen zu müssen. Durch die noch immer unsichere Reiselage auf Grund der Pandemie machen sich zum größten Teil nur Einheimische auf, um die Naturwunder zu bestaunen. Das merken wir auch auf der Straße, die wir zu großen Teilen für uns allein haben. Wir setzen unsere Etappe im Sonnenschein fort und staunen, wie sich der anfangs so freudlose Tag positiv entwickelt.

Die ganze Fahrt steht heute im Zeichen des Vatnajökull. Von der Ostseite fahren wir langsam zur Südseite weiter. Zum Glück fast die ganze Zeit mit herrlichem Rückenwind. Immer wieder sehen wir kleinere und größere Gletscherzungen aus den Bergen ins Tal streben. Weit weg auf der anderen Straßenseite fallen uns die großen Findlinge auf, Zeugen der einstigen Ausbreitung des Gletschers. Seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Vatnajökull einige Kilometer an Länge verloren.

Guido und Martin sind heute gerädert und als wir auch noch die letzten drei Kilometer über Schotter hinter uns haben freuen wir uns alle über den schönen Ort unserer Ankunft. Das Hvoll Hostel liegt an einem kleinen See mit Mengen an Wasservögeln, umgeben von grünen Wiesen und mit Blick auf die Berge. Ich checke uns ein und erhandle noch Brot, Aufschnitt und drei Tuborg Dosen. Es sind nicht nur die Akkus unserer E-Bikes leer, so dass nach den nötigen Handgriffen erst einmal jeder die Zeit für sich nutzt. Ich telefoniere, wie immer, wenn Whatsapp funktioniert, mit der Familie. Es ist schön ihre Stimmen zu hören und erzählt zu bekommen, wie der Tag zuhause verbracht wurde. Guido weckt den inzwischen weggeschlafenen Martin noch einmal auf und wir beenden den Tag mit einem gemütlichen Abendbrot in den Aufenthaltsräumen des Hostels. Auch hier außer uns nur zwei weintrinkende weitere Gäste.

Sorgen machen uns die zwei näher rückenden Etappen durch das Hochland. Nach den bisherigen Pannen und unserer nun guten Sicht auf die Möglichkeiten der Akkus ist klar, dass wir dieses Risiko eigentlich nicht eingehen können. So fangen wir an über Alternativen nachzudenken. Martin bekommt allerdings nicht allzu viel mit, da er nach seinem Nickerchen die Hörgeräte ausgelassen hat. Wir schauen im Internet nach was es kosten würde für einige Tage einen Bus zu mieten oder einen Fahrer mit Superjeep, der uns die Sprengisandsleid, die eigentlich geplante Hochlandpiste, überbrücken hilft. Wir vertagen das Problem erst einmal und erhoffen in Kirkjubæjarklaustur, dem nächsten größeren Ort, ein paar Informationen zu bekommen.

Wir starten den Tag wie den vorherigen: Martins Vorderreifen wird geflickt bevor wir uns Richtung Kirkjubæjarklaustur aufmachen. Die ersten fünfundzwanzig Kilometer rollen gut. In dem kleinen Ort kaufen wir Vorräte für die nächsten Tage ein. Ab jetzt kommt kein Geschäft mehr für drei Tage, so dass wir unseren Einkaufswagen – und dann auch unsere Räder - ganz gut beladen. Heute Abend gibt es Arrabiata und morgen eine Pilzcreme, beides mit Nudeln. Es fängt an zu regnen und wir ziehen uns erst noch unsere Regenbekleidung über. Ich werde zweimal von Möwen attackiert als ich zu dicht an ihren Erdnestern stehenbleibe. Zuerst steigen sie auf und fliegen laut keckernd über meinem Kopf bevor sie Sturzflüge antäuschen. Kurz hackt eine von ihnen sogar auf meinen Helm ein. Letztendlich lassen sie aber von mir ab und ich suche mir einen besseren Platz für die Pause. Wir rollen noch dreißig Kilometer auf der Ringroad bevor wir auf die 208 Richtung Landmannalaugar abbiegen. Nach kurzer Zeit wird aus dem Teer Piste und noch ein paar Minuten später ist Martins Reifen wieder platt. Wir gehen zum vierten Mal ans flicken. Wie die drei Mal davor passierte es auch hier wieder, kurz nachdem wir auf die Schotterpiste abgebogen sind. Diesmal pumpen wir nun weniger Druck in den Schlauch. Wenn das Problem weiter bestünde, wäre hier erst einmal das Ende unserer geplanten Reise.

Der Mechaniker hat den falschen Mantel aufgezogen, einen ohne die für Schotter so wichtige Kautschukschicht. Ein dummer Fehler, der uns jetzt seit drei Tagen ärgert. Zuerst sind wir ängstlich, dann nur noch skeptisch und letztendlich wieder zuversichtlich. Mit weniger Druck ist das Befahren der Piste auch mit diesem Mantel möglich. Der Weg wird rauer und nach zehn Kilometern dürfen nur noch geländegängige Fahrzeuge weiterfahren. Nach einer kleinen Abfahrt rutscht Martin im plötzlich tiefen Asche-Erde Gemisch weg und liegt auf dem Boden. Der Abgang sah recht elegant aus und er hat sich auch nicht verletzt. Auf harte Aufstiege folgen steile Abfahrten. Hier dürfen wir keine Sekunde unaufmerksam sein. Das ist schwer, weil die Natur um uns bemerkenswert ist. Einer der Lakikrater liegt zur Hälfte in den Wolken, ist aber auch so noch eindrucksvoll genug. Die zerfurchten grünen Flanken zeugen eindrücklich von seiner Geschichte. Wir befinden uns auf einem Höhenweg über grünen Tälern mit mäandrierenden und oft vielfach geteilten Flüssen. Ein Geländewagen mit Anhänger fährt vorbei. Die Stützen des Anhängers schlagen auf die Erde. Wir winken und rufen hinterher. Der Wagen hält. Den angebotenen Kabelbinder braucht das Paar nicht. Wir machen erst einmal Essenspause und holen uns ein bisschen Energie zurück. Als Guido nach der Uhrzeit schaut, kann er es nicht glauben und holt zur Kontrolle sein Handy auch noch hervor. Wir waren sicher es wäre drei Stunden früher. Das konzentrierte fahren lässt Zeit verfliegen.

Endlich haben wir den höchsten Punkt erreicht. Wir sehen weit unter uns die Piste und fragen uns schon, ob wir uns abseilen sollen. Es ist aber nur eine sehr steile Abfahrt und Guido lernt hier neue Seiten an sich kennen. So etwas wäre er vor kurzem noch nicht heruntergefahren. Nach weiteren zehn Kilometern erreichen wir unser Tal. Noch über eine Holzbrücke und dann fahren wir auf das Terrain des Holaskjol Highland Center ein. Wir bekommen von der lustigen Besitzerin unsere Hütte zugewiesen. Es sind noch nie Gäste mit E-Bike hier gewesen. Einmal erster im Leben... Wir hängen unsere nassen Kleidungsstücke an Ecken und Haken im ganzen Holzhaus auf. Noch ganz euphorisch von den letzten Stunden, albern wir herum und rauchen einen Joint. Nach einer kleinen Ruhepause koche ich für uns und wir sitzen erstmals in diesem Urlaub in der eigenen Küche und führen Tischgespräche.

Wir gehen noch den kurzen Spaziergang zum Silfurfoss, ein traumhaft in die Landschaft eingepasster Wasserfall. Schon der Weg dorthin durch irre aussehende, mit Moos überwucherte Lavasteingebilde macht gute Laune. Wir steigen vom Wasserfall noch einige Meter in die Höhe und genießen nun den Blick über den Fall hinweg ins sehr weite Tal mit den zahlreichen Flussarmen. Einen Moment werden wir ganz ruhig, lassen ein jeder seine Gedanken schweifen. Wie klein wir uns hier oben fühlen! Zurück in unserer Hütte machen wir es uns gemütlich für den Rest des Abends, lesen, schreiben und hören Rumours in der Super Deluxe Fassung auf Spotify.

Wie hart vierzig Kilometer sein können, erfahren wir an diesem Tag. Unser Start ist angenehm. Nachdem ich am Morgen noch einmal zum Wasserfall hochgelaufen bin, starten wir gegen sechs Uhr in Richtung Landmannalaugur. Die ersten Kilometer rollen dem Belag entsprechend gut und wir glauben an eine gemütliche Runde plus Wanderung am Nachmittag. Nach wenigen Kilometern erreichen wir eine Furt. Der Fluss ist recht breit und wir sind anfangs nicht ganz entschieden über die Vorgehensweise bei der Querung. Ich ziehe mir ein paar Plastiktüten über die Füße und befestige sie mit einem Einmachgummi an meinen Beinen, um zu testen, ob wir so den Fluss queren können. Der Versuch ist gescheitert, als ich mit Wasser in den halbhohen Wanderschuhen wieder zurück an das Ufer komme. Also alles abladen, Sandalen an- und Hose ausziehen um dann zuerst das Gepäck und anschließend die E-Bikes hinüberzutragen. Das Wasser ist eiskalt und die Strömung stark.  Es funktioniert gut und wir freuen uns darüber unsere erste Furt überquert zu haben, auch wenn unsere Füße dabei blau angelaufen sind. Leider geht es nicht nur steil bergauf und –ab, sondern auch durch fünfzehn weitere Furten. Was am Anfang noch Spaß macht, wird mit der Zeit zur anstrengenden und wegen des ständigen Kleiderwechsels auch etwas nervenden Sisyphusarbeit. Das Schema ist über die sieben Stunden Fahrzeit immer dasselbe: erst die Auffahrt, dann die Abfahrt, dann die Flussüberquerung. Der Unterschied besteht nur in der Schwierigkeit bei Anstieg und Durchquerung. Manche Furten können wir fahrend durchfahren, bei anderen müssen wir schieben. Das Wasser ist eiskalt, die Zehen werden jedes Mal taub. Aber das ist nach der dritten Querung kein Problem mehr. Nervend sind die Myriaden von kleinen Fliegen, die bei jedem Stopp sofort in alle Gesichtsöffnungen kriechen und überall auf der Haut sitzen. Dafür ist die Natur hier noch überwältigender als die Tage zuvor. Reste des Winterschnees liegen noch in den schattigen Bergfalten, weite Flusstäler wechseln mit mal kahlen, mal bemoosten Bergen ab. Felder mit Lavagestein oder -asche, soweit das Auge reicht. Ich liebe den Blick mit Guido und Martin als zwei farbigen Flecken vorausfahrend in dieser ganz eigenen Welt.

Als uns langsam die Lust am Flussqueren vergeht und wir die Strapazen auch schon in Beinen und Handgelenken spüren hält ein Geländewagen von der anderen Seite kommend. Wir essen gerade ein paar unserer Einkäufe auf Steinen am Wegesrand sitzend. Eigentlich möchte er nur wissen, ob die Furt gut zu durchqueren sei und ob so etwas auf der Strecke noch öfter anstehe. Wir horchen auf und auf unsere Frage, ob es bisher keine solche Überquerungen gegeben habe, verneint er zu unserer großen Erleichterung.

So kommen wir am Ende der Etappe noch in den Genuss von zehn trockenen Kilometern um schöne Bergseen herum, bevor wir ins Lager Landmannalaugaur einfahren. Guidos und meine Lippen sind von der Trockenheit und dem Staub rissig und bluten leicht. Wir versorgen sie mit Bepanthen, um keine größeren Risse zu riskieren.

Die Menge an Touristen hier schreckt uns nach unseren bisher recht ruhigen Etappen erst einmal ab. Das Einquartieren in den vierzig Schlafplätze fassenden Saal hilft da auch nicht weiter. Statt Einzelbetten gibt es Turnmatten ähnliche Matratzen dicht an dicht auf vier Holzpodesten. Wir suchen uns eine Ecke fürs Gepäck, besetzen die letzten drei Plätze mit unseren Schlafsäcken und halten erst einmal ein kleines Nickerchen bevor wir eine Platzbegehung unternehmen. Drei alte Busse sind in U-Form um ein paar Holzbänke gestellt und dienen als Café und Kiosk für Trockenwaren. Wir holen uns drei Becher und setzen uns, um den Fliegen zu entkommen, in einen der Busse. Langsam gewöhnen wir uns ein. Wir steigen noch eine halbe Stunde auf einen der umliegenden Hügel und bekommen einen schönen Blick auf das grüne Tal und die umliegenden Berge in ihren Tarnfarben. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren ist hier nicht viel los. Die Besuchszahlen sind etwa siebzig Prozent rückläufig. Es stehen ein paar Zelte und die üblichen Allradfahrzeuge herum. Nur die Schlafsäle sind leider voll besetzt. Räder gibt es bis auf unsere nur drei. Die sind aber auf einem Geländewagen hierhin transportiert worden.

Während Guido und Martin die Räder pflegen, beginne ich in der Großküche zu kochen. Mobiliar und Boden in Holz gehalten, macht sie einen gemütlichen Eindruck. Hier ist alles gut eingerichtet, außer das mir zweimal das Gas ausfällt. Ich decke den Tisch im Freien und rufe dann die beiden zum Essen. Wir unterhalten uns mit einem jungen deutschen Paar, das hier auf einer Wandertour von Hütte zu Hütte übernachtet. Ein Gruppenleiter von einer anderen Wandergruppe kommt an den Tisch. Er hat noch einige Stücke frisch gegrillten Lachs übrig, die wir gerne dankend annehmen.

Guidos Felge hat wieder einen Schlag und die Versuche der beiden, den Schlag durch Spannen der Speichen zu beseitigen hat leider nur zur Vergrößerung des Schlages geführt. Wir versuchen zunehmend verzweifelt eine Reparatur. Nach einigen misslungenen Versuchen ist das Ei so groß, dass die Felge am Schutzblech hängenbleibt. Der Reifen ist auf einer Länge von dreißig Zentimetern über zwei Zentimeter aus der Spur! Wir sehen wieder einmal das Ende der Tour nahen und Guido hat leicht feuchte Augen. Erst als wir es schaffen mit Disziplin das Problem einzukreisen, schaffen wir es die Felge wieder geradezuziehen. Nichts klemmt mehr und der Schlag ist fast vollständig verschwunden. Wir sind richtiggehend euphorisch, als wir das Rad wieder auf die Reifen drehen und das Werkzeug wegpacken können.

Da die beiden anderen zu müde sind, gehe ich allein und mit Handtuch zu den naheliegenden heißen Quellen. Ich ziehe mich bis auf meine Radunterhose aus, steige in das am Anfang noch lauwarme Wasser und arbeite mich langsam in die heiße Zone vor. Etwa zwanzig Personen liegen hier, die Wärme genießend. Es ist eine sehr angenehme Atmosphäre, die verschiedenen Nationalitäten unterhalten sich mit kleinen Anekdoten auf Englisch. Hier wird nun auch mit unserer kleinen Angst ausgeräumt, nur wir kämen auf die Idee mit Handschuhen an den Händen dieselben zu suchen oder erst Wanderschuh und Socke anzuziehen und dann die Hose neben sich liegen zu sehen. Ein langhaariger blonder Färöer lacht laut auf und erzählt dann, wie er sich seit ein paar Minuten immer wieder fragt, warum seine GoPro Wasserflecken hat, wie sie nur im warmen Wasser draufkommen können – bevor er merkt, dass er ja an einer heißen Quelle sitzt. Und so erzählen jetzt andere ihre lustigsten Dämlichkeiten und alle lachen zusammen.

Das Bad in heißen Quellen ist ein uraltes isländisches Kulturgut. Langes verweilen und sich dabei unterhalten gehören zur Landestradition und wird von großen Teilen der Bevölkerung gerne praktiziert. Hier im warmen Wasser liegend kann ich das sehr gut verstehen!

Interessant ist, dass die Temperatur nicht immer gleich ist. So muss ich immer wieder kaltes Wasser vom Grund oder von hinter mir heranfächern oder das heißere Oberflächenwasser, aus einem kleinen Wasserfall kommend, auf mich zu treiben lassen. Toll ist, dass alle paar Minuten ein paar kalte Wasserblasen meinen Rücken hochkrabbeln – ein irres, erfrischendes Intermezzo! Erst zwei Stunden später verlasse ich den Ort, nun herrlich müde und Bett reif. Selbst das Schnarchen aus zahlreichen Kehlen hält mich nicht mehr wach.

Wir verlassen gegen fünf Uhr den Schlafsaal, alle überraschend ausgeschlafen. Nur Martin hat leichte Rückenschmerzen. Wir frühstücken unsere Reste in einem neben der Rezeption aufgestellten Zelt, packen das Gepäck auf und ziehen weiter. Leider sind es heute fast dreißig Kilometer Wellblechpiste bevor wir nach drei Tagen wieder Teer erreichen. Tüchtig durchgerüttelt sind wir über den glatten Belag hocherfreut und fahren die Restetappe zügig runter.

Ab heute geht es leider nicht mehr nach Plan: Die zwei Etappen entlang der Sprengisandur durch das Hochland gen Norden sind nicht möglich. Schon Tage vorher haben wir immer wieder gehadert und uns nach Beratung wegen der Schwäche von Mensch und Material gegen den Versuch entschieden. Letztendlich war aber auch jedes Gedankenspiel umsonst, weil wegen des warmen Wetters zu viel Schnee von den Gletschern geschmolzen ist und so durch das Anschwellen der Flüsse eine Durchfahrt für jegliche Fahrzeuge zu gefährlich wäre. Die Ranger haben deswegen schon vor unserer Ankunft in Landmannalaugar die Piste wieder gesperrt. So fahren wir jetzt in zwei Etappen nach Reykjavik, um dort hoffentlich mit einem Bus nach Akuyeri zu kommen und schließlich in Myvatn unsere geplante Tour wieder aufnehmen zu können. Falls das nicht funktioniert, haben wir noch ein paar Ideen, aber nichts Ausgereiftes, wie es weitergehen kann.

Die Landschaft wird wieder zugänglicher, das Gewaltige weicht dem Sanften. Erste Wiesen sind frisch gemäht und das Heu liegt noch, in weißem Plastik zu Rollen verpackt, auf der Wiese. Erst nur ein paar Krähen aber schon bald wieder auch andere Vögel fliegen über die Landschaft. Im Hochland haben wir keinen einzigen gesehen. Es gibt wieder vermehrt Blumen auf Wiesen und Straßenrändern.

Wir kommen an einem Wäldchen vorbei und fragen uns, ob hier aufgeforstet wurde oder die noch jungen Bäume von selbst hier gewachsen sind. Schon bald beantwortet sich die Frage. Wir sehen einen Pickup mit kleinen Birken auf der Ladefläche. Drei junge Männer mit Pflanzspaten graben Löcher in das Gelände. Ich halte kurz an, weil ich sie, mit ihren grünen Netzen über dem Kopf und auch ansonsten ganz vermummt, fotogen finde. Direkt überfallen mich die ersten Fliegen. Ich gehe die paar Meter zu ihnen ins Gebüsch. Um ihre Köpfe schwirren hunderte der Biester. Ein kurzes Porträtieren, ein noch kürzeres Gespräch über ihre Aufgaben und Ziele, dann muss ich abbrechen und fluchtartig zum Rad zurück. Aus Nase und Ohr hole ich kleine Fliegen heraus. Ein paar habe ich auch geschluckt, weswegen ich heftig zu husten anfange. Bei der Weiterfahrt schlagen die Fliegen dicht an dicht auf meinem Helm auf. Es hört sich an wie leichter Hagel. In dem unseren Weg begleitenden Fluss schlüpfen die Myriaden um diese Jahreszeit. So viel konnte mir einer der Männer noch mitteilen, bevor ich die Flucht ergreifen musste.

Gegen Ende der Etappe biegen wir wieder auf die Ringstraße ein, die hier allerdings sehr viel befahrener ist als während unserer ersten vier Tage. Es ist unangenehm nach den zwar holprigen, aber weitestgehend autofreien Tagen mit so viel Verkehr konfrontiert zu werden. Wir sind froh, nach zwanzig Kilometern zu unserem Apartment abbiegen zu können. Noch ein Bad in der heißen Quelle und der ruhige Abend kann beginnen.

 

No items found.

Auf ungewollten Pfaden...

Wir starten früh, um möglichst einen Großteil unseres Weges nach Reykjavik zurückgelegt zu haben bevor der Morgenverkehr startet. Es fängt gut an, auch weil sich der gestrige Wind inzwischen gelegt hat. Nach kurzer Zeit kehrt allerdings der nächtliche Regen wieder zurück und wir ziehen uns kurz um. Die letzte Stunde vor der Hauptstadt nimmt der Verkehr vehement zu und nervt ziemlich. Wir stehen eine Stunde zu früh vor dem Hauptsitz des Busunternehmens, mit dem wir nach Akureyri reisen möchten. So gehen wir zur nächstgelegenen Tankstelle und frühstücken Junkfood zu unserem Kaffee. Zurück bei Strætos, dem Busunternehmen, kümmern sich zwei Angestellte um unsere Belange. Nach mehrmaligem Anrufen scheint festzustehen, dass wir am Nachmittag mit unseren Rädern den Bus nehmen können. Garantiert zusagen kann es uns allerdings keiner. Wir nehmen das nun aber als fast sicher hin und machen uns zu unserer zweiten Station, einem größeren Fahrradgeschäft, auf. Hier lassen wir unsere Bremsen wieder auf Vordermann bringen. Martin bremst seit Tagen nur noch mit der Hinterradbremse, was bei den hiesigen Abfahrten nicht lange gut gehen würde.  Wir verbringen zwei Stunden im riesigen Gewerbegebiet und sind froh unsere Räder wieder intakt abzuholen. Nun noch ein Abstecher in die Innenstadt, bevor wir gegen vier Uhr zum Busbahnhof in Mjödd fahren. Wir schauen uns nach dem Essen den Hafen und das Zentrum an und landen durch Zufall noch in einem Skulpturenpark mit Werken des isländischen Künstlers Einar Jónnson. Die Bronzen sind eindrucksvoll und ich finde es schade, dass wir keine Zeit mehr haben in das angrenzende Museum zu schauen.

Wir radeln die sieben Kilometer zum Busbahnhof in Mjödd. Kurz vor der angekündigten Zeit fährt unser Bus ein. Es ist noch Tomas aus Brno in Tschechien mit einem Bikepacking-Rad dazugekommen. Wir laden die E-Bikes auf und sind leicht euphorisch, dass auch dieser Teil nun klappt. Unsere fast siebenstündige Bustour nach Akureyri startet und wir lehnen uns entspannt zurück. Bei einer halbstündigen Pause an einer Raststätte kaufen wir uns ein paar schlechte Sandwichs, weil wir vergessen haben uns etwas Ordentliches im Supermarkt zu holen. Wir prüfen noch einmal die Räder und setzen uns für die Weiterreise wieder auf unsere Plätze. Beim nächsten Halt schieße ich noch ein Foto von Bus und Rädern. Nach einer weiteren kleinen Toilettenpause kommt der Fahrer zu uns und fragt, ob wir mit Fahrrädern unterwegs seien. Die wären nicht mehr da. Zuerst denke ich, wir hätten irgendetwas nicht beachtet und er wollte uns ein wenig erschrecken. Aber als zuerst Guido und dann Martin und ich nach hinten ans Ende des Buses kommen, sehen wir das unfassbare: der Radträger ist trotz ein Zentimeter dicker Metallhalterung heruntergebogen und alle Räder sind weg! Eine Frau, der die linke Hand fehlt, hält neben dem Bus und berichtet, dass sie eines der Räder etwa acht Kilometer entfernt auf der Straße hat liegen gesehen. Juri, der Busfahrer informiert seine Firma und die Polizei. Er und Guido fotografieren den nun leeren Träger. Wir müssen erst einmal ungläubig, vielleicht auch leicht hysterisch, lachen. Es ist einfach unfassbar, wie ein Tag, an dem alles geklappt hat, so schnell kippen kann. Letztendlich fahren wir mit dem Bus weiter nach Akureyri. Der Busfahrer telefoniert die ganze Zeit und versucht schon einiges zu regeln. Am Ziel bleiben wir mit ihm zurück. Nummern und Personalien werden ausgetauscht, bevor er uns im Bus die vierhundert Meter zu unserem Apartment fährt. Noch ein paar Entschuldigungen und die Beteuerung, so etwas sei ihm noch nie passiert, dann Händeschütteln und Abschied. Tomas zieht statt auf den Campingplatz erst einmal bei uns mit ein, auch damit wir morgen zusammen alles Nötige in die Wege leiten können.

Der nächste Tag ist ein einziges Warten und Versuchen etwas bei Versicherung, Polizei oder Busgesellschaft zu klären. Zum Glück scheint die Sonne, so dass wir von einem Café im Städtchen aus die nötigen Vorgänge anstoßen können. Zwischendurch fahren wir mit dem Taxi zum Flughafen, mieten uns für die letzten sechs Tage ein Auto und packen unser Gepäck aus dem Flur des Gasthauses in den Kofferraum. Gegen vier Uhr bringt der Bus aus Reykjavik die Räder. Martins Rad hat die Vordergabel abgerissen, wäre aber vielleicht noch reparabel. Guidos´ ist so über die Straße geschlittert, dass es nur noch Schrott ist. Die hintere Aufhängung ist weggeschmirgelt. Mein Rad wurde gar nicht erst gefunden. Nur das von Tomas ist relativ einfach zu reparieren. Wir trennen uns endgültig von ihm, da er direkt zum Fahrradgeschäft aufbrechen möchte, um seine Tour bald fortsetzen zu können. Unser nächster Halt ist die örtliche Polizeiwache. Die Polizisten haben zuvor schon Fotos geschossen und mit dem Busfahrer gesprochen. Nun warten wir noch recht lange auf ihren Bericht. Wir überlassen die Überreste der beiden E-Bikes nach Absprache mit der Polizei ihrem Schicksal oder der Versicherung. Aber ob diese sie wirklich abholen wird, wissen wir nicht. Die Polizei hat mit einem Mitarbeiter gesprochen und ihm erklärt, dass er die Versicherung von nun an für zuständig hält. So endet nach 2108 Kilometern unser Radabenteuer Island. Wir schrauben noch ein paar Teile ab und fahren Richtung Myvatn im Mietwagen weiter. Auf dem Weg schauen wir uns noch den dunkel brausenden Goddafoss an.

Etwas ungewohnt ist das Fahren in unserer Kutsche, die nun den Braunen, den Grauen und den Schwarzen abgelöst hat. Wir sind noch immer etwas konsterniert und auch traurig, freuen uns aber auch auf unsere nächsten Tage in diesem Teil Islands. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau und die Temperatur steigt im Laufe des Tages auf unfassbare fünfundzwanzig Grad im Schatten.

Am Morgen wache ich vor den anderen in Skútustadir auf. Ein paar Meter über die Straße und ich stehe zwischen den Pseudokratern direkt am See Myvatn. Es sieht aus, als lägen kleine Vulkankrater, grün bewachsen, hier in der Landschaft verstreut. In Wirklichkeit handelt es sich um das Ergebnis einer schnellen Wasserverpuffung, verursacht durch über die Sumpfwiesen geflossene Lava. Das durch die Verpuffung herauskatapultierte Material und die so in der Mitte entstandene Leere ließ die auffälligen Formen entstehen. Die Sonne steht noch niedrig und in dem angenehm warmen Morgenlicht schaue ich den zahlreichen Wasservögeln bei ihrem frühen Bad zu. Der Blick über Pseudokrater und See ist wunderschön. Es ist die Harmonie und Fremdheit der Landschaft, die hier mit all ihrer Lieblichkeit überzeugt.

Nach einem kleinen Fußmarsch durch die bizarren Lavafomationen von Dimmuborgir und das daran anschließende steppenartige Gelände stehen wir am Fuß des Vulkankraters Hverfell. Da wir kein Wasser dabeihaben, beschließen wir zurückzugehen und mit dem Auto an die auf der uns abgewandten Seite liegende Aufstiegsstelle zu fahren. Oben auf dem Kraterrand schauen wir fasziniert in den Kegel aus schwarz-grauer Lavaasche und über den Rand auf den Myvatn und die dahinterliegenden schneebedeckten Berge. Welch ein Ort! Ich gehe allein noch einen Teil des Randes entlang und bekomme so offenere Blicke auf Ebene und Berge.

Gegen späten Nachmittag laufen wir die paar Meter vom Hostel zum Supermarkt und kaufen Lachs für unser Abendessen ein. Mit Hits aus meiner Ewigen Liste fange ich an zu kochen. Über die letzten Jahre sind aus tausenden Discographien jeweils die besten Lieder hier reingewandert und so zu meinem persönlichen Soundtrack geworden. Mit der Random Funktion bleibt bei über 5000 Stücken die Abwechslung gewahrt. Martin schläft ein Stündchen und Guido schreibt am Küchentisch Tagebuch. Zum Essen setzen wir uns vor das Haus. Eine große Gruppe Jugendlicher zieht in die Nachbarhäuschen ein. Während ich mit Achim und meiner Familie über Whatsapp telefoniere, klart Martin die Küche auf.

Wir fahren anschließend noch zum Hochtemperaturgebiet Námaskard mit seinen Fumarolen, Schlammtöpfen und Solfataren. Hier blubbert es aus grauen Öffnungen in einer ockergelb-weißen Ebene. Starke Schwefelgerüche liegen in der Luft. Heißer Wasserdampf steigt aus der Erde auf. Ein Ort, von dem Jules Verne eine Erkundungsfahrt ins Erdinnere hätte schicken können. An der Oberfläche ist die Flüssigkeit noch über einhundert Grad Celsius heiß. Abseits der Wege herrscht Verbrennungsgefahr. Die kleine Ebene unsere direkte Verbindung zum Erdinneren und steht exemplarisch für die ewig unruhige Insel. Immer wieder brechen Vulkane aus, vor ein paar Jahren noch mit einer solchen Rauchentwicklung, dass der internationale Luftverkehr für einige Tage stark beeinträchtigt war.

Auf dem Weg zurück schauen wir uns das Geothermalkraftwerk Bjarnaflagsstöd an. Dicker weißer Dampf steigt in den noch immer blauen Himmel. 3,2 Megawatt werden hier produziert. Es ist das kleinste und älteste Kraftwerk des Betreibers Landsvirkjun und wirkt in seiner Kompaktheit seltsam deplatziert in einer weiten, leeren Landschaft, die fast ohne industrielle Bauten auskommt.

Das Lava Feld des Leirhnjúkur entstand zwischen 1975 und 1984 bei einer Ausbruchserie des Krafla-Systems. An einigen Stellen strömt Dampf aus Spalten im Gestein. Große schwarze Felder haben sich über das Umland ergossen. Flechten besiedeln schon einige Flächen, ein paar bunte Blumen leuchten aus dem Schwarz hervor. Unsere Wanderung durch dieses relativ junge Lava Feld zeigt uns die Erdoberfläche nach einer natürlichen Katastrophe. Die vorherige Vegetation ist vollständig unter der abgekühlten Lava verschwunden. Selbst vierzig Jahre nach dem Ausbruch gibt es nur vereinzelt von der Natur zurückeroberte Flächen. Wir sind fasziniert vom Gang über das scharfkantige Gestein. In zwei Kilometer Entfernung schimmert der Viti Kratersee türkisblau. Steile Hänge grenzen das im Durchmesser dreihundert Meter große milchige Gewässer ab.

Wir fahren noch einmal nach Reykjahlid um den Einkauf für den Abend zu erledigen. Unser nächster Aufenthaltsort Grimsstadir liegt weit weg von allen Einkaufsmöglichkeiten. Hier gibt es nur noch die weite Landschaft mit Blick auf Islands höchsten Berg, den Herdubreid mit seiner weißen Zipfelmütze. Vor der Tür des Gasthauses lüftet ein 1956er Buick Roadmaster, schwarz mit rotem Interieur. Über das Grundstück verteilt zähle ich neun alte Land Rover und zwei Land Cruiser. Die meisten sind hier endgelagert und das wahrscheinlich schon seit einiger Zeit. Fotogen sind sie aber trotzdem oder gerade deswegen. Das Haus ist ganz aus Holz und mit Wintergartenanbau und dem kleinen See im Garten wirkt alles sehr idyllisch. Braggi und Sigga, ein älteres Ehepaar, lebt hier mit seinen Gästen zusammen. Wohnzimmer und Küche werden geteilt. Leider sprechen sie ein recht rudimentäres Englisch, so dass die Gespräche auf das Notwendige begrenzt bleiben. Hochinteressant sind zahlreiche, im Wohnzimmerregal stehende, Bildbände über das Land. Ich nutze unsere Mittagspause, um die Fotos der letzten Tage zu sichten und ein wenig in einem Fotoband mit Luftaufnahmen Islands zu stöbern. Martin genießt den Garten und Guido setzt sich nach einem kleinen Mittagsschlaf an den Teich zum Enten schauen.

Am späteren Nachmittag brechen wir noch einmal auf, um uns die beiden Wasserfälle Dettifoss und Selfoss anzuschauen. Der Weg führt durch eine Geröllwüste und ohne den aufsteigenden Wasserdampf würde man noch hundert Meter vorher nicht vermuten, welche Wassermassen in dieser trockenen Umgegend herunterstürzen. Der Dettifoss ist der energiegeladenste Wasserfall des Landes. Er wird von Europas größtem Gletscher, dem zehn Prozent der Landesfläche einnehmenden Vatnajökull gespeist. Sein grau-braunes Wasser muss eine Unmenge Sedimente mit sich führen. Zwei Regenbögen spannen sich über die Schlucht. Im Nieselregen der Fälle und bei strahlendem Sonnenschein gehen wir entlang der Abbruchkante und schauen uns das Spektakel aus verschiedenen Perspektiven an. Schön ist der Kontrast aus dem vom dauernden Sprühwasser dunkelgrün leuchtenden Moos und der grauen Umgebung.

Der Selfoss ist nur einige hundert Meter nördlich zu finden und kaum weniger eindrucksvoll als sein Nachbar. Mehrere schmale Wasserfälle fallen entlang einer breiten Abrisskante in die Tiefe. Das umliegende Land besteht überwiegend aus Basaltstein. Die sechseckigen Säulen sind besonders eindrucksvoll an der dem Fall gegenüberliegenden Seite zu sehen.

Braggi begleitet unser Frühstück und bringt einem kleinen Stapel Fotos mit Motiven der Farm im Winter. Wahre Schneemaßen bis kurz unter dem Dach und Eiszapfen in prächtiger Länge noch im Mai lassen erahnen, wie beschwerlich das Leben hier sein kann. Im Haus befindet sich auch eine CB-Funkanlage, genau wie im Auto. Hier müssen die Anwohner immer die Möglichkeit haben, Hilfe von außen zu holen. Braggi zeigt uns auch ein Foto seines roten Schneemobils mit einem Schaf auf dem Fahrersitz. Sigga erzählt, dass sie das Tier im tiefen Schnee gefunden und zur Rettung mitgenommen haben. Früher gehörten ihnen fünfhundert Schafe, jetzt sind sie auf Grund ihres fortgeschrittenen Alters nur noch Besitzer von fünfzig Tieren.

Wir erledigen nach dem Frühstück erst einmal ein paar Mails und Anrufe um den finanziellen Verlust unserer E-Bikes möglichst schnell ersetzt zu bekommen. Gegen Mittag fahren wir die sechzig Kilometer Schotterpiste nach Asbyrgi, um uns die sehenswerte Schlucht anzuschauen. Aber zuerst gehen wir dummerweise in die örtliche Tankstelle, die gleichzeitig Supermarkt und Restaurant ist. Das Essen ist lausig und ich schiebe meines nach ein paar Bissen beiseite. Guido lässt es sich nicht nehmen und leert seinen Teller, was er mit einigem Sodbrennen büßen muss. In diesen abgelegenen Gegenden ist Vorplanung wichtig. Unser Vergessen wird so leider abgestraft durch sehr schlechtes Essen zu horrenden Preisen!

Wie der Huftritt eines Pferdes liegt die Asbyrgi-Schlucht umgeben von etwa dreißig Meter hohen lotrechten Felsen. In der Mitte ragt der längliche Inselberg Eyjan in das Tal herein, auf den wir spazieren, um von der Spitze einen umwerfenden Rundumblick zu genießen. Auf den gegenüber liegenden Anhöhen und im Tal wächst dichter Wald. Eine echte Seltenheit im kargen Island. Wen man rückwärtig aus dem Tal hinausschaut, kann das Auge an klaren Tagen bis zum Meer blicken. Heute reicht es nur für einige Kilometer in das nach Nordwesten abflachende Umland.

Sieben Kilometer entfernt besuchen wir zur Entspannung ein Warmwasser-Freibad. Wir sind ein bisschen enttäuscht. Um die überschaubare Außenfläche aus Beton läuft an zwei Seiten ein hoher Maschendrahtzaun. Es erinnert ein wenig an einen Gefängnishof. Ein Jacuzzi ist durch rote Bänder abgesperrt. Das Becken ist klein und das Wasser ein paar Grad zu kühl, um länger zu entspannen. So teilen wir uns nur für zwanzig Minuten das Nass mit ein paar einheimischen Familien. Wir kaufen an der Tankstelle ein paar Lebensmittel für unser Abendessen und fahren zurück nach Grimsstadir in unsere Herberge. Kurz vor dem Ziel sehen wir, wie eine größere Herde Pferde mit Reitern parallel zur Straße reitet. Später treffen wir Ross und Reiter vor unserem Nachbarhaus wieder. Ich möchte mir die Herde etwas näher ansehen, werde aber von den Schwärmen von Fliegen schnell vertrieben. Es sind Touristen, die eine Tour gebucht haben und zusammen mit einem Führer von Farm zu Farm reiten. Damit die Tiere nicht zu sehr ermüden haben sie ausreichend Ersatzpferde dabei. Die Vorstellung, aus Liebe zum Pferd, den ganzen Tag in einem nervenden Schwarm Fliegen zu reiten amüsiert mich.

Auf dem Rückweg sehe ich Sigga zwei Stufen zu einem kleinen weißen Holzhaus in den Ausmaßen eines vergrößerten Vogelhauses hochsteigen. Sie öffnet die kleine Tür und nimmt nacheinander ein paar Thermometer heraus. Ich frage sie, wofür sie misst, und sie erklärt mir, das sie die verschiedenen Werte über ihren Computer nach Reykjavik an eine Wetterstation übermittelt, damit auf der Wetterkarte die Temperaturen für die hiesige Umgebung festgehalten werden. Gemessen werden neben der Höchst- und Tiefsttemperatur auch die momentane und die des Wassers. Neben dem Wetterhäuschen gibt es noch eine Regen- und Schnee-Auffangstation. Die ist im Augenblick glücklicherweise schon seit einigen Tagen leer.

Guido und ich schauen noch eine Folge „Mord mit Aussicht“ und ich schicke Tomm ein paar Bildschirmfotos, um ihn die Folge erraten zu lassen. Irrtümlich sende ich eines der Bilder an Eddy, der mir vorher einen Gute-Nacht-Gruß geschickt hat. Prompt kommt eine Sprachnachricht mit der richtigen Lösung. In der Nacht wache ich, wie auch schon in der vorherigen, durch das Rascheln der Keksverpackung auf. Guido nimmt sich sein kleines Betthupferl, kaut genüsslich und schläft wieder ein.

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von Sigga und Braggi. Trotz der etwas mühsamen Konversation haben wir ein wenig mehr über das Leben im ländlichen Island gelernt. Wie ich es schon von einigen Plätzen der Welt kenne, passiert im scheinbaren Nirgendwo immer etwas beobachtungswertes. Mit der eigenen Ruhe schärft sich der Blick für die kleinen Besonderheiten und die speziellen Situationen. Wir fahren weiter nach Modrudalur, ein Touristenörtchen ohne besondere Sehenswürdigkeiten. Wir verbringen einen ruhigen Tag mit Skat und lesen.

Früh am Morgen fahren wir nach Borgarfjördur zum nordöstlichsten Punkt unserer Reise. Es ist einer der typischen kleinen Orte an einem Fjord, die früher vom Fischfang und der Fischfabrik und jetzt zunehmend vom Tourismus leben. Neben dem Campingplatz gibt es eine zum Restaurant und Ausstellungsraum umgebaute Halle, ein weiteres Restaurant und eine Tankstelle, an der wir leider nur mit Kreditkarte zahlen könnten. Dafür habe ich aber den nötigen PIN nicht dabei. So hoffen wir mit unserer Tankfüllung noch zurück bis Egilsstadir zu kommen. Wir sind hier hingefahren, um die örtliche Papageientaucher-Kolonie zu besuchen.

Etwas außerhalb des 130 Einwohner-Ortes, am kleinen Hafen, ist ein Felsen dicht von brütenden Vögeln besetzt. Ein Fleck ist den brütenden Möwen zugeordnet, der größere Teil jedoch den tausenden Papageientauchern, die hier in oder vor ihren Bruthöhlen sitzen.

Von Mitte April bis Ende Juli sind sie hier, um ihre Brut großzuziehen, bevor sie dann für den Rest des Jahres wieder hinaus auf das offene Meer fliegen. Wir schauen den putzigen Tieren mit den ausdrucksstarken Gesichtern zwei Stunden beim Fliegen, Schwimmen, Füttern, Streiten und Zärtlichkeiten austauschen zu. Obwohl ihre Starts und Landungen immer etwas ungeschickt aussehen und die Flügel recht kurz erscheinen, beschleunigen sie mit vierhundert Flügelschlägen pro Minute auf bis zu achtzig Stundenkilometer und sind ansehnliche Flieger. Durch dornenartige Auskerbungen am Schnabel können sie mehrere Fische hintereinander fangen, ohne diese zwischendurch in der Bruthöhle abliefern zu müssen. Es wird von einigen Dutzend kleinen Fischen auf einem Jagdausflug berichtet. Papageientaucher führen eine monogame Saisonehe, die meisten sind aber sogar schon in den Vorjahren ein Paar gewesen. Wir essen noch eine leckere Fischsuppe im Dorf und fahren anschließend zurück zu unserem letzten Stopp in Egilsstadir bevor wir morgen mit der Fähre unsere Rückreise antreten wollen.

Der Hauptfilm ist vorbei, der Spannungsbogen an seinem Ende angekommen. Noch zwei Tage Abspann auf hoher See und die Rückfahrt mit Martins Pritsche von Hirtshals nach Hause. Dirk und Jeanette holen uns im hohen Norden ab- auch ohne unsere E-Bikes. Wie auf den Radtouren zuvor, so ist es auch diesmal unspektakulär geblieben. Doch liegt gerade darin das Besondere. Abgesehen von dem unglücklichen Verlust unserer Fortbewegungsmittel und der zwar nicht eingeplanten, aber schon in der Planung durchaus für möglich gehaltenen Routenänderung, lief unsere Reise nach Plan.

Es war des Öfteren anstrengend, aber für uns durchaus und mit Freude machbar. Wir haben bis zur Routenänderung in Islands Hochland alle Tagesziele erreicht, einige Male recht erschöpft, doch auch immer zufrieden. Dabei hat das außergewöhnlich sonnige Wetter sehr geholfen. Diese Etappen bei starkem Regen wären nicht ohne Revolte durchgegangen. Aber das gehört eben auch dazu, das Quäntchen Glück. Den Verlust haben wir gut getragen und uns nach einer kurzen Trauer damit abgefunden. So konnten wir in der letzten Woche einige Punkte besuchen, die wir mit unseren E-Bikes aus Zeitgründen nicht erreicht hätten. Natürlich wären wir gerne wieder in Seydisfjördur und damit auch in Hirtshals auf zwei Rädern eingelaufen. Aber auch das gehört zum Reisen mit dazu, die plötzliche Wendung, das neu denken müssen.

Island hat uns mit seiner großartigen Natur hervorragend belohnt. Diese bei uns so nicht vorhandene Kargheit, die dünne Besiedelung und die Ausmaße und Schönheit der Naturräume werden uns dreien in leuchtend klarer Erinnerung bleiben. Es ist sogar im Sommer eine lebensfeindliche Landschaft und gerade dadurch so spektakulär für uns Reisende. Der Lebensraum reicht nur für wenige zur dauerhaften Besiedlung, ohne Tourismus wären die meisten Teile des Landes wohl schon länger menschenleer. Die Kinder der Farmer und Fischer zieht es in die Städte oder ins Ausland und nur die Nutzung als Touristenziel, die Hilfe durch schwere Geräte bei der Arbeit und die Einführung der neuen Kommunikationsmittel gibt den Verbleibenden die Möglichkeit auf Dauer hier ein zeitgemäßes Dasein zu führen. Wir gehen mit etwas Wehmut und jeder würde gerne einmal wiederkehren, mit mehr Zeit, damit mehr von diesem wunderschönen Land erfahren wird.

No items found.

Europa 4 Nordwest