Costa Rica Panama

Mit Onkel Joe auf Tour

Costa Rica Panama

Der Roadtrip nimmt Fahrt auf...

Die letzten Wochen vor unserem Abflug sind vom Verlust geprägt. Joes Vater und meine Mutter sterben in kurzem Abstand. Wir entscheiden uns, die schon länger geplante Reise als Chance auf Ablenkung zu nutzen und bereiten uns auf unseren Abflug vor. Einen Tag nach der Beisetzung meiner Mutter reisen wir ab.
Die zwanzigstündige Anreise endet dann doch noch mit unserer Landung in San José. Wir erledigen alle Formalitäten und starten in totaler Dunkelheit mit unserem Jimny in Richtung Hotel. Zum Glück können wir das letzte Navigationsgerät des Vermieters leihen, ohne wären wir in der Nacht verloren. Unsere Adresse findet es zwar nicht, aber doch die Polizeistation im Nachbarort San Pedro de Poas. Mit den mitgebrachten Google Maps Ausdrucken und tatsächlich einem Hinweisschild am Straßenrand navigieren wir zielsicher durch die Nacht. Die Inhaberin des Hotels wartet trotz der späten Stunde noch auf uns, zeigt uns das kleine Häuschen und kassiert ihre Miete. Wir sind erleichtert, weil das fahren in der Dunkelheit in einem unbekannten Land nach so langer Anreise zwar aufregend, aber auch recht unsicher ist.
Joe und ich urinieren mit Blick auf die Sterne in den Garten. Als Joe durch unser Zimmer hindurch auf den Balkon geht, schlagen beide Türen gleichzeitig zu und wir stehen ausgeschlossen an den entgegengesetzten Enden des Hauses. Der Schlüssel liegt, für uns gut sichtbar durch die Fenster, auf dem Bett. Wir schauen uns, die Gesichter vom Zimmerlicht beleuchtet, durch die Scheiben an und wundern uns einmal mehr, dass wir immer wieder in solche Situationen kommen. Da unsere Schuhe auch drinnen stehen, gehe ich auf Socken den Weg zurück zum Haupthaus, Gedanken an giftige Tiere im dunklen schnell verdrängend. Ich rufe, bis die Besitzerin am Fenster erscheint und nach meiner Erklärung lauthals lachend den Zweitschlüssel holt.

Wir genießen noch den Blick von unserem Balkon über das von zigtausend kleinen Lichtern erhellte Valle Central. Wie gefallene Sterne liegen sie verteilt in der sich vor uns ausbreitenden Dunkelheit.  Nach dem Zähneputzen sinken wir todmüde ins Bett. Unruhige vier Stunden später hat der Jetlag uns am Nacken, an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Erzählend und Neil Young hörend töten wir die Zeit bis zum Frühstück und brechen danach auf in unser Abenteuer Mittelamerika.
Unser erstes Ziel, der Poas Vulkan, liegt im Nebel. Wir sind froh, uns vorher nicht die teuren Tickets im Internet geordert zu haben, die angeblich der einzige Weg sind, den Nationalpark betreten zu dürfen. Am Eingang des Parks hätten wir auch noch welche bekommen. Joe ist im Recht, wenn er sagt, dass Bargeld oder Karte fast immer Tür und Tor öffnen. Der Ranger zeigt mir auf seinem Bildschirm die graue Wolkenwand am Kraterrand. Ich verabschiede mich dankend, wir drehen unser Auto und fahren lieber der Sonne entgegen.
Quer durch den Nationalpark Braulio Carrillo geht die Reise nach La Pavona, ab wo uns eine Fähre auf die Insel Tortuguero bringen soll. Etwas Stau im Großraum San José, kleinere Umwege und unsere Gemütlichkeit lassen es noch etwas knapp werden, so dass wir uns freuen, pünktlich zur Abfahrt der Fähre am Anleger einzutreffen. Schon die letzten dreißig Kilometer haben uns mit immer dünnerer Besiedelung auf die eigentlichen Hauptdarsteller des Landes eingestellt: die Natur und ihre Wunder aus Flora und Fauna.

Zusammen mit einigen Ticos und einer Handvoll Touristen geht es in einem etwas wackeligen offenen Motorboot über den Kanal. Zuerst noch vorsichtig um die zahlreichen Sandinseln lenkend, wird die Fahrt immer rasanter und erreicht echten Spaßcharakter. Erste bunte Vögel, ein Alligator und ein paar Affen steigern die Vorfreude und nach etwa einer Stunde verlassen wir das Boot am Steg der Casa Marbella. Uns empfängt ein kleiner Ort, nicht zu touristisch, ruhig und karibischer Prägung. Wir schaffen es noch einmal die Restaurant- und Souvenirmeile rauf und runter, bevor wir einen Hühnerspieß und eine etwas zu süße Pina Colada später auf die Hotelbetten fallen. Raumtemperatur 29° Celsius. Der Propeller begleitet uns in einen unruhigen Schlaf. Gegen Mitternacht werde ich von infernalischem Lärm wach, der sich aus meinem Traum langsam zu einem tropischen Wolkenbruch, niedergehend auf die umliegenden Wellblechdächer, formt. Die ganze Nacht geht ein schwerer Schauer nach dem anderen nieder und ab drei Uhr lasse ich leise Pink Floyds „Wish you were here“ laufen und dämmere zur Regensymphonie träge dem Morgen entgegen.
Wir wollen gegen sechs Uhr mit einem Elektroboot in den Nationalpark fahren. Bei einem ersten Kaffee hören wir Victor, unseren Guide, schon das Wasser aus dem über Nacht vollgelaufenen Boot pumpen. Wenig später steigen wir zusammen mit drei Holländerinnen und einem mexikanischen Paar ins Boot und genießen die angenehme, leicht abgekühlte Morgenbrise. Ponchos schützen uns vor den noch sporadisch auftretenden Regengüssen. Wir werden mit einem doppelten Regenbogen über dem morgendlichen Dschungel belohnt.

Langsam schieben wir uns, begleitet von kleinen Anekdoten zu den entdeckten Tieren, tiefer ins Grün des Waldes. Victor hat Adleraugen und zeigt uns immer wieder Tiere, die ich niemals gesehen hätte: Dreizehenfaultier und Brüllaffe sehen wir hoch in den Bäumen, Leguan und Jesus Christus Echse liegen eng an Äste geschmiegt, während Grüne Ara Pärchen, Tucane und Greifvögel hoch über uns dahinfliegen. Schön, wie die Jesus Christus Echse oder zu ihrem Namen kam: Sie kann bei Gefahr über das Wasser laufen…

Es gibt vierzehn verschiedene Reiher im Park, wir sehen grüne, blaue und schwarze durch das Wasser staksen. Über vierhundert Vogelarten sind bisher in Tortuguero gezählt worden, zweihundert davon Zugvögel auf ihrer Migration aus den USA und Kanada über Winter einfliegend. Victor erzählt, dass es mehr Vogelarten im Nationalpark gibt als im gesamten nordamerikanischen Raum!
Auch über die Fähigkeiten des Faultiers weiß er einiges zu berichten, während wir beinahe lautlos dahingleiten. So ist die alte Mär vom fast dauerschlafenden Tier schon lange überholt. Die Tiere verdauen unendlich langsam und so dauert der Weg eines einzigen Blattes durch den gesamten Verdauungstrakt schon einmal gerne eine Woche. Noch erstaunlicher, wenn auch aus anderem Grund, sind allerdings ihre Fähigkeiten im Wasser: Faultiere sind ausgezeichnete Schwimmer und können zudem bis zu vierzig Minuten abtauchen, wenn Gefahr durch einen Jaguar droht. Nur auf dem Boden ist das Faultier eine echte Niete, die Beine sind einfach nicht zum Laufen gemacht.
Victors Großvater arbeitete noch für einen Holzfällertrupp, der den Dschungel für Möbelholz zerlegte. Erst ab den späten achtziger Jahren wurde das Gebiet nach langem Kampf zum Nationalpark erklärt. Hauptsächlich zum Schutz der hier brütenden Meeresschildkröten, die bis dahin intensiv bejagt und verspeist wurden. So schützt der Park heute einen kleineren Teil des Festlandes und einen wesentlich größeren Teil des Meeres. Die Hauptattraktion ist die Eiablage der sehr gebietstreuen Meerestiere, die jedes Jahr wieder an den Strand ihrer Geburt zurückkehren.

In den letzten vierzig Jahren hat sich aus dem ehemaligen Kahlschlag ein ansehnlicher Sekundärwald gebildet, begünstigt von viel Sonne, den großzügigen Regenmengen und dem durch vulkanische Aschen nährstoffreichen Böden.
Wir sehen ein paar kleine Alligatoren im grasigen Uferbereich. Die Eltern beschützen ihre Brut in den ersten acht Monaten und sind laut Victor nicht weit weg, aber für uns unsichtbar, im Dickicht des Ufersaumes verborgen.
Am Nachmittag schlendern wir weg von der kleinen Geschäftsstraße durch die Ansammlung von Hütten zur Meerseite des Dorfes. Dunkelgrauer Strand, eine heftige Brandung und Bäume bis fast ans Meer empfangen uns. Ein paar Einheimische und noch weniger Touristen in bunter Badekleidung genießen das nach all den Regenfällen angenehm abgekühlte Klima. Träge Hunde liegen im warmen Sand, angespülte Baumstämme bieten Platz zum Sitzen. Ein Einheimischer fischt mit seinem kleinen Netz ein paar Fische aus der Brandung, die er Arturo, einem domestizierten Pelikan, in einem grünen Eimer serviert.
Wir gehen wieder landeinwärts Richtung Fußballfeld und treffen Wesley, der mir schon gestern aufgefallen ist, als er mit seinem Beachbike die Straße rauf und runter gefahren ist. Er dreht gerade eine Tüte und nach kurzem kennenlernen erwerben wir ein bisschen Gras aus heimischer Produktion von ihm. Wir stehen noch ein paar Minuten zusammen, bevor Onkel Joe und ich zurück ins Dorf gehen. Den Onkel hat er von mir als Pate meines Sohnes Eddy an seinen Kurznamen angehängt bekommen. Wir verbringen einen sehr relaxten Nachmittag auf der herrlich ruhigen Terrasse des Hotels, freuen uns am Fluss, den vorbeirauschenden Booten und der langsam hinter dem Wald untergehenden Sonne.

Wir essen im etwas abgelegenen Miss Julies, Rauchen unser Tütchen am Fluss und raffen uns nach längerer Unterhaltung über Gott und die Welt noch auf, um dem Ruf der über das Wasser schallenden Musik aus der Dorfdisco zu folgen. Der Laden ist leer, soll Eintritt kosten und die paar anwesenden Jungs vor der Tür überzeugen uns auch nicht. Statt hier landen wir in einer Salsa Bar mit angenehmem Publikum. Einige Paare tanzen, die anderen sitzen an den die Wand entlanglaufenden Tischen. Hinter der Theke wird gleichzeitig noch auf einem zwei Flammen Gasherd gekocht. Wir sitzen vor dem Eingang und hören den irren Bläsersätzen in der Musik zu. Onkel Joe entdeckt zum ersten Mal sein Herz für Salsa. Normalerweise ist das der Rock- und manchmal auch Funkmusik vorbehalten.
Alles an diesem Dorf strahlt beschauliche Ruhe aus, noch nicht einmal die Hunde bellen hier laut. Keine Motorroller knattern durchs Dorf. Nur der Klang der Außenbordmotoren klingt noch lange durch die Nacht und das ist eher die Szenerie untermalend als störend. Was für ein schöner Anfang unserer Tour, was für ein schönes Ende der Welt.
Der Kaffee lockt Onkel Joe auch heute Morgen wieder um kurz nach fünf auf die Terrasse - und natürlich die Aussicht auf die erste Zigarette. Ich folge ein bisschen später und zusammen genießen wir die frische Luft. Der Platz könnte schöner nicht sein mit den Holzmöbeln auf breiter Holzterrasse direkt über dem Fluss. Gegen halb neun kommt unser Boot und wir fahren zurück nach La Parvona, wo wir unser Auto wieder aktivieren und den Weg gen Süden einschlagen. Leider hat unser Navi den Dienst quittiert und so müssen wir uns auf die wenigen Straßenschilder, die Karte und unsere Nase verlassen. Es klappt überraschend gut und nachdem wir auch noch um die Hafenstadt Porto Limon, den größten Containerverladeplatz des Landes, ohne Schwierigkeiten herumgeleitet werden, freuen wir uns auf die letzten vierzig Kilometer entlang der Karibikküste zu unserem heutigen Ziel, Cahuita.

Der Ort ist eine recht konzentrierte Ansammlung von mehr oder weniger farbigen Holzhäusern. Wir halten nach einer Runde durch das Dorf am Reggae-Pub, setzen uns auf die Terrasse und beobachten bei Kaffee und Ceviche das bunte Treiben aus Einheimischen und Touristen. In Cahuita merken wir den karibischen Einschlag viel stärker als auf Tortuguero. Die Einwohner sind eine bunte Mischung aus Einwanderern der karibischen Inseln, Expads und Nachkommen der europäischen und indigenen Völker. Keiner rennt, keiner schreit und der Klang von Reggae und Salsa begleitet den Lauf der Dinge. Wir brechen auf und finden nach ein bisschen Suchen die Cabinas Ecologicas, unser Nest für zwei Nächte. Ein klassischer Holzbau auf Pfählen. Wir haben eine herrlich große Terrasse und beschließen erst einmal nichts zu unternehmen, bis die vom Himmel sengende Sonne ein wenig ihrer Kraft verbraucht hat. Gegen vier besuchen wir die fußläufige Playa Negra. Auch hier wieder weit über den Strand hängende Bäume und braun-grauer Sandstrand. Es ist Sonntag und so sind einige Familien mit ihren im Wasser tollenden Kindern, Gruppen mit Surfbrettern und Pärchen mit oder ohne Hund da um die Brise am Wasser zu genießen. Ich vergnüge mich auch eine Zeitlang im 29° warmen Wasser. Eine Welle nach der anderen rollt heran und so ist es eher ein entspanntes im Wasser herumtollen als schwimmen.
Onkel Joe fährt mich morgens zum Eingang des Nationalparks, so dass ich am Ende meiner Wanderung direkt ins Dorf durchgehen kann. Die ersten drei Kilometer sehe ich wenige Tiere, aber die Geräusche der Brüllaffen und die Vielfalt und Dichte der Vegetation nehmen mich trotzdem gefangen. Ein Hörnchen beobachte ich beim Ernten. Es transportiert seine Beute zum Fuß eines Baumes und nagt mit den scharfen Zähnen einen feinen Ring um die gesamte Nuss, bevor es die Schale abstreift und den Inhalt frisst. Hier bin ich völlig allein unterwegs.

Ein roter Einsiedlerkrebs sucht sich in Meeresnähe eine Höhle im Sand. Ich beobachte nicht weit entfernt über eine halbe Stunde hinweg einen Waschbären, wie er mit seiner Nase immer dicht am Boden nach im Sand verborgenen Schätzen schnüffelt. Mehrmals gräbt er, indem die Vorderpfoten den Sand nach hinten befördern, Löcher. Schließlich findet er eine Köstlichkeit und beginnt die Schale zu entfernen. Den fast eigroßen runden Inhalt nimmt er mit beiden Pfoten und wirft ihn in seinen Mund. Er setzt sich auf die Hinterpfoten, die Schnauze zum Himmel und verschluckt mit gestreckten Hals sein Fressen in einem Happen.
Ein Zweifinger Faultier hockt in einer Baumgabel etwa vier Meter über dem Boden. Schön erkenne ich den scheinbar lächelnden Mund und die fast grünliche Fellfarbe. Netterweise öffnet es zum Foto kurz seine ansonsten meistens geschlossenen Augen.
 Eine Gruppe Fledermäuse sitzt kopfüber, eine genau hinter der nächsten, entlang einem Baumstamm. Sie sind so gut getarnt, dass ich froh bin, als ein anderer Wanderer sie mir zeigt. Wenige Meter später sehe ich eine gelbe Greifschwanz Lanzenotter in einem Astgeflecht. Sie ist etwa schlanke fünfzig Zentimeter lang und ihr laufender Verdauungsvorgang ist an einer deutlichen Ausbeulung gut zu erkennen. Da sie offensichtlich gerade erst ihre Beute verschlungen hat, traue ich mich zum Fotografieren etwas dichter heran. Sie zählt zu den giftigsten Schlangen des Landes und das will etwas heißen in einem Land mit zweiundzwanzig verschiedenen Giftschlangen. Deutlich kann ich ihre Schuppen und die senkrecht geschlitzten Pupillen erkennen. Der Schwanz ist zur Stabilisierung doppelt um einen Ast gewickelt. In der Nähe finde ich noch eine zweite, sehr viel kleinere Ausgabe. Etwas später erzählt mir ein Ranger, dass die kleinere noch gefährlicher für den Menschen ist, weil sie die abgegebene Menge an Gift nicht kontrollieren kann und somit immer ihre volle Ladung verspritzt, während die Ältere schon weiß, dass wir es nicht wert sind, über einen längeren Zeitraum schutzlos zu sein.

Eine Gruppe Kapuzineraffen tollt durch die Äste über mir. Kaum mehr als zwei Meter über meinem Kopf laufen und springen sie durch das Geäst. Eine Mutter trägt ihr Baby schlafend auf dem Rücken. Lange schaue ich mir ihr Treiben an. Ein Hörnchen taucht auf und auf einmal verdichtet sich das vorher eher chaotische Durcheinander und die Kapuziner kommen aus verschieden Ecken zusammen, um das Hörnchen kurz, aber erfolglos zu jagen. Das zeigt sich dann auch trotz der scharfen und langen Affenzähne relativ unbeirrt und sucht ein paar Meter weiter wieder ruhig weiter nach Nahrung.
Relativ ausgelaugt durch Sonne, Eindrücke und Weg erreiche ich Cahuita. Ich treffe Onkel Joe, der über seinem Buch beim geliebten Milchkaffee sitzt und dem Leben im Dorf zuschaut. Zusammen genießen wir bei einem leichten Essen die sich in unserem Blickfeld zutragenden Kurzgeschichten.
Abends fahren wir die vierzehn Kilometer südlich ins etwas größere Puerto Viejo. Hier ist deutlich mehr los, das deutlich jüngere Publikum sieht gut aus, eine Menge Boutiquen und Verkaufsstände haben hier Käufer. Die Mischung aus Karibikcharme, Reggae und Drogen zieht ihre Kundschaft an. Der Ort hat Cahuita in den letzten Jahren seinen Rang als Traveller Hotspot abgelaufen. Wir schlendern ein wenig durch das Dorf und landen dann in einer hübschen Strandbar. Der Mond zieht auf und im schwindenden Tageslicht reden wir bei Pina Colada über Verknüpfungen und Verbindungen zwischen gemeinsamen Bekannten. Warmer Wind, schöne Menschen, das ewige Heranschwappen der Wellen - in diesem Augenblick ist das Leben federleicht.

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Durch die Berge an den Pazifik...

Direkt nach dem Frühstück brechen wir in nordwestlicher Richtung nach Monteverde auf. Die dortigen Bergnebelwälder sind mit ihrer vielfältigen Flora und Fauna unser nächstes Ziel. Über insgesamt neun Stunden reisen wir von der stickigen Karibik ins angenehm kühle Gebirge der Cordillera de Tiláran. Wir stoppen im recht touristischen La Fortuna, dem Städtchen am Fuße des mächtigen Kegelvulkans Arenal. Leider ist der Gipfel, wie meistens, in Wolken gehüllt. So umfahren wir die Arenal Talsperre östlich und haben immer wieder Blicke auf Vulkan und See. Kurz sieht es so aus, als würden sich die Wolken zurückziehen, aber letztendlich bleibt der oberste Teil in dichten Wolken. Auf den letzten fünfzig Kilometern wird die Straße immer schlechter und kurz vor Schluss zur Piste. Unser Benzin wird bedenklich knapp und als wir uns dann auf Grund fehlender Beschilderung auch noch um einige Kilometer verfahren, sieht es für eine Weile nicht so gut aus. Vor allem, weil die Nebenpisten wenig befahren sind und uns ein von mir angehaltener Autofahrer auf Google-Maps dann noch zeigt, dass es eine Fahrstunde zu unserem Ziel ist. Wir bangen, ob es bis zur Tankstelle in Santa Elena reicht. Immer wieder geht es kürzere Passagen sehr steil und Benzin fressend bergauf und als wir dann endlich in den Ort fahren, sind wir heilfroh, auf den letzten Tropfen noch unser Tagesziel erreicht zu haben!

1951 kamen Quäker aus dem amerikanischen Bundesstaat Alabama nach Monteverde um dem Koreakrieg zu entgehen und auch keine Steuern an einen Krieg führenden Staat ableisten zu müssen. Sie rodeten Land und bauten eine Milchwirtschaft auf. Ab den frühen Siebzigern bedrohten Illegale Siedler ihr Gebiet. Durch den Zusammenschluss der Quäker mit verschiedenen Gruppierungen wurde der Ankauf eines etwa dreihundertdreißig Hektar großen Waldes möglich. Bis Ende der Achtziger wuchs das Gebiet auf die heutige Größe von fünftausend Hektar heran. Entstanden war ein Schutzgebiet zum Erhalt des stark gefährdeten Bergnebelwaldes. Heute gibt es noch ein zweites wesentlich kleineres Schutzgebiet, Bosque Nebuloso Santa Elena, dass an das Monteverde Gebiet anschließt. Zusammen schützen sie ein äußerst wichtiges Biotop für Pflanze und Tier.
Onkel Joe und ich besuchen das Santa Elena Reservat. Der Wald ist beeindruckend in seiner Pflanzendichte. Uralte Baumriesen sind über und über mit Epiphyten bewachsen. Über siebenhundert Baumarten, unzählige Orchideenarten und Mengen von endemischen Pflanzen prägen den Reichtum des Areals.
Nach einer Weile wandere ich allein weiter. Auf schlammigem Weg geht es bergauf und bergab durch ewig nebeligen Wald. Farnbäume ragen bis sechs Meter in die Höhe, Philodendron, bei uns eine einst beliebte Zimmerpflanze, wächst an den stark bemoosten Stämmen, kleinste Orchideen und Bromelien kämpfen um ihren Platz. Die Flora ist überwältigend, die feuchte Luft voller Energie. Trotzdem ich so gut wie keine Tiere auf meiner halbtägigen Wanderung sehe, bin ich fasziniert. Meiner Vorstellung eines Märchenwaldes kommt der Bosque Nebuloso schon sehr nahe. Der Großteil der Fauna ist nachtaktiv und ich glaube, dass dann das Märchen erst sein wahres Gesicht zeigt.

Durchgeschwitzt und trotzdem auch ein wenig verfroren vom kühlen Nebel erreiche ich wieder unsere Herberge. Auf der Terrasse Sitz Onkel Joe und liest. Wir gehen Pizza essen und noch einen Kaffee trinken, bevor wir es uns für den restlichen Nachmittag auf der Terrasse bequem machen. Lesend und Musik hörend ziehen die Stunden vorbei. Im neben unserem Zimmer liegenden Garten bemerke ich Bewegung. Beim langsamen Heranpirschen beobachte ich zwei große Nagetiere. Es sind ein männliches und ein weibliches Aguti. Die beiden stibitzen Gemüse. Eine Zeitlang beobachte ich die Nager beim Fressen, bevor sie schließlich im umliegenden Dickicht verschwinden. Nachdem ich ein wenig enttäuscht von der für mich nicht sichtbaren Fauna im Nebelwald war, entschädigen die beiden etwa katzengroßen Tiere mich auf schönste Weise. Wieder einmal bewahrheitet sich Onkel Joes und meine alte Weisheit, dass man nur lange genug an einem Ort sitzen muss, damit eine Geschichte anfängt sich vor einem zu entblättern.

Die Berghöhen der Cordillera de Tiláran sind die Wetterscheide Costa Ricas, weswegen an diesem Ort durch die ewigen Nebelwolken und der damit verbunden Feuchtigkeit diese einmalige Flora entstehen konnte. Wir fahren heute an der Westseite des Gebirges entlang. Innerhalb einer Stunde verlieren wir bei unserer Fahrt zur Pazifikküste nicht nur fast alle Höhenmeter, sondern es verdoppelt sich gleichzeitig die Temperatur von 19° auf letztendlich 39° in Manuel Antonio. Die Vegetation verändert sich ebenfalls und nach Tagen in der sattgrünen Natur sehen wir erstmals trockene Wiesen und karge Felsen entlang unserer Fahrt an der Westseite des Gebirges. Schon im Tiefland angekommen halten wir an einer Brücke, von der aus man auf Krokodile hinabsehen kann. Fünfzehn Tiere zählen wir. Sie haben alle eine beeindruckende Größe, aber eines ist doppelt so breit wie die anderen und etwa fünf Meter lang. Träge liegen sie am Flussrand oder im tieferen Wasser. Hin und wieder kommt eines der im Fluss liegenden Tiere an die Oberfläche, um Luft zu holen. Momentan schwer vorzustellen, dass die Tiere erfolgreiche Überlebenskünstler sind und bei Hunger zu pfeilschnellen und gewandten Jägern werden.

Weiter Richtung Süden beginnen die Palmölplantagen links und rechts der Hauptstraße. Endlos ziehen sie sich hier entlang und sind zu einer der wichtigsten Einnahmequellen des Landes geworden. Wie in vielen Palmöl produzierenden Ländern sind die sich ausdehnenden Plantagen eine Bedrohung für die Wälder. Wieder einmal das alte Lied vom Kampf zwischen Natur und Wirtschaft.
 Nach einer Mittagspause in Quepus erreichen wir Peace of Paradise, unsere Herberge. Erschöpft von der Hitze legen wir erst einmal eine faule Stunde und eine Duschpartie hin. Mit dem Sinken der Temperatur fahren wir die paar Kilometer hinab zum Strand. Am Parkplatz ein paar Quälgeister, die mit ihrem Geschrei eher am Parken hindern als helfen und dafür auch noch Geld verlangen. Da alle einschließlich der Einheimischen zu zahlen scheinen, geben auch wir unseren Obolus. Der Strand ist wunderschön, keine Häuser sind zu sehen und die Bäume ragen weit über den Sand. Ich genieße das erste Bad meines Lebens im Pazifik, rolle ein wenig mit den Wellen und erwarte dann mit Onkel Joe den Sonnenuntergang.

Zuhause duschen wir ein zweites Mal und fangen direkt wieder an zu schwitzen. Die Luftfeuchtigkeit und die immer noch hohe Hitze treiben uns unter den Ventilator auf der sehr schönen Terrasse. Links neben uns ist auf einem etwas tiefer liegenden Grundstück eine kleine Wellblechsiedlung. Geradeaus breitet sich der Garten mit hohen Bäumen und fast undurchdringlich für unsere Blicke aus.
 Wir haben ein wenig Gras von einem Freund des Hotelbesitzers gekauft und während wir Tom Petty hören, sind wir so angetörnt, dass der Abend in immer fantastischeren Geschichten und spaßhaften Übertreibungen gipfelt.
Am Morgen zeigt mir Jim, unser Gastgeber, ein weibliches Faultier mit Baby und ein männliches Exemplar in seinem Garten. Das Männchen sitzt gut sichtbar knapp über uns und verdaut. Ein Paar roter Aras fliegt über uns hinweg und landet auf einer geköpften Palme. Sie zupfen die Fasern aus dem Stamm. Aras verbringen fast ihr ganzes Leben in einer festen Partnerschaft. Stirbt der Partner, sucht sich der Überlebende keinen neuen.

Unser Führer holt uns ab und zeigt uns direkt vor dem Haus einen Tukan in der Baumkrone. Ein vielversprechender Anfang! Der Nationalpark Manuel Antonio ist dann aber etwas enttäuschend. Menschenmassen rollen die Wege mit ihren Guides entlang. Ist ein Tier gefunden, sammeln sich Dutzende, um die Sichtung zu bestaunen. Die Führer stellen ihre Swarowski Fernrohre auf und ihre Hauptaufgabe scheint darin zu bestehen, die Smartphones ihrer Kunden vor die Rohre zu halten und schlechte Zeugenbilder anzufertigen. Da wir heute auch einen Guide genommen haben und neben uns auch noch zwei Belgier dabei sind, dauert jeder Stopp immer endlos. Onkel Joe ist leicht entnervt und auch mir geht der Park trotz seiner Schönheit durch die vielen Besucher ein wenig auf den Wecker.
Am Strand gibt es einige zutrauliche Leguane und während wir die mitgebrachten Früchte essen, pirscht einer sich immer wieder an unser Picknick heran. So nah habe ich die urtümlich wirkenden Echsen noch nie anschauen dürfen. Eine Quetzal Art und ein giftiger Milk Frog in einer kleinen Baumhöhle auf dem Rückweg lassen unseren Gang durch den Park doch schön für uns enden. Der Milk Frog ist einer der größten Baumfrösche des Landes. Seinen Namen hat er von der giftig-milchigen Flüssigkeit, die er zum Schutz vor Jägern und auch vor Austrocknung durch die Haut freisetzen kann. Sie kann zu starkem Brennen und Juckreiz führen.


Manuel Antonio ist ein recht kleiner Park und trotzdem der meistbesuchte des Landes. Früher war die Besuchermenge auf achthundert Besucher pro Tag begrenzt, heute dürfen achthundert gleichzeitig rein und über den Tag sind es oft mehrere Tausend. Die Eintrittsgelder aller Nationalparks kommen auch allen zugute und deshalb sponsert dieser Park einige viel weniger frequentierte Parks an entlegenen Enden des Landes. So hat die Besucherzahl wenigstens etwas Gutes: Sie geriert Gelder, die dringend gebraucht werden, um anderswo Wilderer und illegale Holzfällungen zu bekämpfen und den Schutz der Gebiete einigermaßen aufrecht zu erhalten. Zumindest zur Hauptsaison lohnt ein Besuch nicht, wenn die Möglichkeit des Besuchs anderer Nationalparks besteht. Im Grunde ergeht es dem Park so wie allen hochgelobten Kultur- und Naturschönheiten, sie werden überrannt. Die Sätze auf einer Zeichnung des New Yorker Künstlers John O´Connor in unserem Haus fassen es gut zusammen:


"The potential for leisure riots has increased. The lack of sufficient, diverse, acceptable, consumption-oriented leisure opportunities and the growth of large blocks of free time has resulted in the clamoring for the dismantling and destruction of facilities which do not respond to increased demands for personal fulfillment."


Leider müssen wir uns hier auch heftig an die eigene Nase fassen…


Wir fahren weiter nach Uvita. Onkel Joe ist enttäuscht von der Unterkunft und ein bisschen brummig. Zu viele Rauchen-verboten-Schilder verleiden ihm das Gelände. Weil das Hotel auch noch etwas abgelegen ist, verlängern wir unseren Wagen um einen Tag. Wir fahren in den nahegelegenen kleinen Ort, spazieren eine längere Runde über den traumhaften Strand des Marina Bellena Nationalparks und setzen uns dann in eines der Sodas, wie die einfachen Restaurants in Costa Rica heißen. Zurück im Hotel lesen wir noch ein paar Seiten in unseren Büchern und dösen langsam ein, als urplötzlich das Haus anfängt zu wackeln. Wir können das Gefühl am Anfang gar nicht richtig einschätzen. Joe denkt, ich würde an seinem Bett rütteln und ich habe das Gefühl, der Lagerschwindel, den ich vor zwei Wochen mitten in der Nacht plötzlich hatte, komme zurück. Es ist ein Erdbeben der Stärke 5,2 wie ich im Internet kurze Zeit später nachlese. Wir sind etwas nervös und leicht fahrig, aber vor allem wieder hellwach. So etwas haben wir beide noch nie erlebt! Während Joe erst einmal rauchen geht, schaue ich mir die Wände an, ob irgendwo Risse zu sehen sind. Es braucht einige Zeit bis wir ruhig genug werden, um wieder in unseren Schlaf zu finden.

Der irgendwoher kommende Gedanke, das mit dem Geruch in der Wohnung meiner Mutter ein weiterer Teil von ihr für immer verloren gehen wird, bringt die Trauer einmal mehr zurück. Die Besuche, wenn ich an der Tür mit einem Lächeln begrüßt und einem „Das ist aber schön, dass Du vorbeischaust“ ins Wohnzimmer geführt wurde, sind für immer vorbei. Schön, wenn dann das Gespräch über unsere beiden Alltage hinaus manchmal zu Geschichten aus der Vergangenheit oder zu weiterführenden Gedankenspielen wandert und wir beide dabei immer grenzenlos einander vertrauend zusammensaßen. An unseren Plätzen am Küchentisch herrschte tiefer Friede, großer Zusammenhalt und uneingeschränktes Wohlwollen. Der Verlust dringt bisher nur hin und wieder zu meiner Seele und meinem Herzen durch. Etwas in mir bewahrt mich noch davor, seine volle Größe wahrzunehmen. Die Trauer ist da, wirkt aber gedämpft. Vielleicht auch, weil das Leiden meiner Mutter kurz und nicht besonders schwer war und ich neben dem Verlust auch so etwas wie Dankbarkeit für diese nur kurze Krankenzeit empfinde.
Meine Mutter war mit ihrer ganzen Person immer vermittelnd, das Gute wollend und damit zutiefst mit sich in Frieden. Ihr Weg aus der Armut der Kindheit in die sicheren Verhältnisse und den Wohlstand des Wirtschaftswunders war für sie auch ein persönliches Wunder. Ich sehe sie vor mir auf Eigen sitzend und manchmal staunend, wie es zu ihrem objektiv eigentlich bescheidenen Wohlstand gekommen war. Ihr Humor und ihre durchaus distanzierte, bei aller Einfachheit, stets intelligente Beobachtung von Menschen und Szenarien fehlt mir jetzt schon sehr. Meine Mutter ruhte in sich, ohne Glauben an Religion oder andere Trostpflaster des Daseins zu benötigen. Unsere Beziehung ist über die Jahre immer weitergewachsen und für sie war es ein großes Geschenk mit Anke, mir und den Kindern Zeit zu verbringen. Gerade Anke und meine Mutter haben mit ihrer Art der Menschenliebe eine schöne Ebene des Verständnisses und der liebenden Achtung gefunden. Für mich war auch diese Verbindung ein Geschenk, das mir unendlich guttat! Als Ihr Kind mag ich nun manchmal innerlich schreien wie ein Baby. Mag es ihr blendend gehen, wo immer sie jetzt ist. Diese Tränen sind für dich, Mutter!

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Rund um die Osa Peninsula...

Wir machen einen Ausflug zu den Nauyaca Wasserfällen in der Nähe von Dominical. Der Ort liegt auf privatem Grund, weswegen wir Eintritt zahlen und uns dann auf einer Pritsche die vier Kilometer Piste fahren lassen. Die letzten Meter laufen wir und stehen dann vor den wirklich pittoresken Fällen. Ein grünfarbenes Becken lädt zum Baden ein. Der Platz ist kein Geheimtipp und so sind noch weitere fünfzig Besucher, die mit uns hier Erfrischung suchen und die Schönheit des Ortes genießen. Das Wasser ist herrlich kühl und wir steigen mehrmals hinein und schwimmen entlang der Fälle. Ich klettere unter eines der breiten Wasserbänder und erfreue mich an einem kleinen 360° Regenbogen rund um mich herum.

Auf dem Rückweg halten wir an einer Bar, neben der eine alte Boeing zum Hotel umgebaut steht. Was für ein Anblick, umgeben von Dschungel, ein Flugzeug in so surreal wirkender Umgebung zu sehen!
Joe hat schon gestern früh auf der Suche nach einem Kaffee Matthew kennengelernt, einen etwa sechzigjährigen Texaner, der hier gestrandet ist und mit dem Joe sich auf Anhieb gut verstanden hat. Auch heute, am Sonntag, ist er unsere Rettung und so sitzen wir am Kiffertisch vor dem Haus und Joe kann zum Kaffee in Ruhe eine Morgenzigarette rollen. Plätze und Begegnungen wie diese sind das Salz in der Reisesuppe. Nicht wegen der besonderen Schönheit, sondern nur, weil dieses Gefühl von Losgelöst sein und Freiheit einem fast die Brust sprengt.

Später am Morgen erscheint das bestellte Taxi nicht, so dass ich ein anderes von der Rezeption rufen lasse. Gerade pünktlich kommen wir in Sierpe an, um unser Boot nach Drake auf der Osa Peninsula zu erreichen. Es werden noch an anderer Stelle ein paar verspätete Gäste aufgenommen und dann gibt der Kapitän mit seinen zwei dreihundert PS Motoren Gas und wir furchen den Fluss entlang der Mangroven unserem Ziel entgegen.
Nach etwa einer Stunde Mangrovenwald erreichen wir das offene Meer und die Fahrt wird durch den Wellengang wesentlich unruhiger. Wir lassen zweimal Passagiere von Bord, indem das Boot vorsichtig rückwärts an den Strand setzt. Fahrgast, Kapitän und Gehilfe waten, das Gepäck über ihren Köpfen haltend, durch die Brandung an Land. Als drittes sind wir an der Reihe. Das Wasser fast bis an die Hüften, gehen wir an unseren Strand. Ein Angestellter des Mohagine erwartet uns und fährt die Koffer auf einem Quad zum Hotel. Wir schlendern hinterher, doch noch ganz beeindruckt von unserer Bootsfahrt.

Beim ersten Rundgang über das Gelände erspähe ich einen Helmbaselisken. Auch er hat mich entdeckt und rast auf seinen Hinterbeinen ein paar Meter weit weg. Wie ein Miniatur Dino gekreuzt mit Speedy Gonzales sieht er aus. Ich fotografiere ihn ein paar Mal, bevor er sich ins Dickicht verdrückt. Auch meinen ersten Kolibri auf unserer Reise bekomme ich zu Gesicht. Es muss komisch aussehen, wie ich mit der Kamera vor der Nase versuche ein Bild des blitzschnell von einer Blume zur nächsten wechselnden Vogels zu schießen. Immer wieder steht er kurz in der Luft, taucht dann seinen langen Schnabel in eine Blüte nach der anderen. Leider nie lange genug für ein scharfes Foto. Ich gebe erst einmal auf und dusche zum zweiten Mal am heutigen Tage den reichlich fließenden Schweiß vom Körper.
Am Abend bekommen wir im nach allen Seiten offenen Gemeinschaftsraum noch Besuch von einem Opossum. Eine an einem Pfahl hängende Bananenstaude lockt das Tier und es holt sich, uns nicht weiter beachtend, in aller Ruhe eine Frucht. Erst als ich mit der Kamera zu nahekomme, flüchtet es, sich entlang einer Leine hangelnd, zurück in den dunklen Wald.

Der Wecker klingelt zu unchristlicher Zeit. Schon um 5.45 Uhr startet das Boot zur San Pedrillo Ranger Station, einem der vier offiziellen Eingänge in den Corcovado Nationalpark. Eine zwanzigköpfige Schar Aras wartet am Anleger auf uns.  Die Mitreisenden und ich fahren kurz nach Sonnenaufgang für eine Stunde auf dem ruhigen Meer gen Süden, bevor wir an einem schmalen Strand anlanden. Unser Guide Jorge ist hochmotiviert, spricht gut englisch und besitzt wahre Adleraugen. National Geographic erklärte vor einigen Jahren die Osa Halbinsel, und hier vor allem den Nationalpark, zu einem der artenreichsten Gebiete der Erde. Fünf Prozent der gesamten Biodiversität unseres Planeten sollen hier vorkommen.
Im Minutentakt sehen wir verschiedenste Tiere. Jorge zeigt uns einen in einer Schlammkuhle schlafenden Tapir. Kurze Zeit später läuft uns der erste von zehn Weißrüssel Nasenbären des Tages über den Weg. Ziemlich unbeeindruckt von uns sucht er mit seinem Riechkolben über die Erde schnüffelnd nach Nahrung. Im Dickicht, parallel zu unserem Weg laufend, erspähen wir ein Pekari. Unserem Wildschwein recht ähnlich und wohl auch ähnlich gut schmeckend, sind sie begehrte Beute. Wilderer locken sie mit Früchten an, um die Tiere dann zu erschießen. So sind die Pekaris eine inzwischen immer seltener gesichtete Art.

An einer brackigen Meeresbucht beobachten wir eine Tapirmutter mit Jungtier. Sie haben sich einen Platz zwischen den Mangroven im Wasser gesucht. Tapire sind nachtaktiv und verstecken sich tagsüber an einem ruhigen und schattigen Platz. Im Laufe des Vormittags sehen wir einen Tucan und auch ein Tucanküken, aus seiner Baumhöhle spähend, eine Quetzalart, endemische Libellenarten und als weiterer Höhepunkt eine etwa zwei Meter lange Vögel fressende Schlange. Am frühen Nachmittag beobachten wir Brüll- und Spinnenaffen. Erstere sind berühmt für ihre weit durch den Urwald schallenden Rufe. Mit bis zu hundert Dezibel gehören sie zu den Top Ten der lautesten Tiere der Welt. Über Kilometer sind sie besonders am Morgen lautstark durch den Wald zu hören und tragen hier maßgeblich zu meinem persönlichen Dschungelgefühl bei. Spinnenaffen wiederum sind für ihren virtuosen Einsatz des Schwanzes bekannt. Es ist herrlich, wenn sie sich entlang der Äste bewegen, Blätter pflücken und dabei ihre fünfte Extremität kunstvoll einsetzen. Ich beobachte sie bei der Nahrungsaufnahme. Nur am Schwanz vom Ast baumelnd knabbern sie an großen Schoten.
 Müde und voller Eindrücke erreichen wir wieder den Strand, klettern an Bord und dann geht es zurück nach Drake, der kleinen Enklave umgeben von weitem Meer und fast unberührtem Wald.

Ein Blick auf meinen Tauchausweis bestätigt meine Vermutung: Der letzte Tauchgang war 1999 in Australien am Great Barrier Reef. Etwas nach dem vereinbarten Zeitpunkt erreiche ich die Tauchschule. J.P. empfängt mich und sucht mir meine Tasche zusammen. Leider zu spät erinnere ich mich, dass der Reißverschluss am Neoprenanzug hinten sein sollte, so dass ich mir das Gummiteil noch einmal vom Leib pelle und einen zweiten Versuch benötige. Der Schweiß läuft in vielen Rinnsalen an mir herab und ich trockne erst wieder im Fahrtwind des Bootes. Zu siebt geht es zur vorgelagerten Isla del Caño. Nachdem uns J.P. an der Ranger Station angemeldet hat, machen wir uns am Devil ́ s Pinnacle klar für den ersten Tauchgang. Es geht bis auf dreißig Meter runter. Mir ist das nach der langen Pause nicht ganz recht, aber schließlich überwinde ich meine schwachen Bedenken und lasse mich hintenüber ins Wasser fallen. Das Gewässer ist artenreich, wenn auch durch die aufgewühlte See und den Sandboden nicht besonders klar. Schon nach kurzer Zeit schwebt der erste Mantarochen majestätisch an uns vorbei. Eine Schule Barracudas reflektiert herrlich das durch die Wasseroberfläche brechende Sonnenlicht. Ruhig ziehen sie über mir ihres Weges. Ein weiterer Mantarochen, diesmal zum Greifen nahe, kommt hinter dem Felsen hervor.
Wie schon bei früheren Tauchgängen ist meine Flasche vor der meiner Tauchbuddies leer. J.P. begleitet mich bis zum Zwischenstopp und nach meiner Dekompressionszeit poppe ich an die Oberfläche. Mein rechtes Ohr schmerzt etwas, ansonsten fühle ich mich prima. Erst nach etwa zehn weiteren Minuten kommen die anderen an die Oberfläche. Meine mit Abstand meisten Tauchgänge habe ich auf dem Boot einer Crew von Meeresbiologen in Ostaustralien am Outer Reef absolviert. Hier hat mein englischer Buddy mich teilweise noch eine Viertelstunde mit seiner Flasche weiterversorgt, wenn meine eigene schon leergesaugt war. Er konnte aus meiner Sicht völlig ohne Sauerstoff unter Wasser leben... Wir pausieren eine halbe Stunde am Strand der traumhaften Insel und dann geht es zur Hai Höhle. Hier legen wir uns flach in den Sand und lassen die Weißspitzen-Riffhaie durch unsere Taucherbrillen uns in die Augen schauen. Diese Haiart ruht sich tagsüber gerne in solchen kleinen Höhlen und Spalten aus. Weitertauchend entdecken wir einen Oktopus und eine Languste in den Spalten des Riffs. Meine erste und kurze Zeit später auch eine zweite Meeresschildkröte ziehen vorbei. Ich entdecke noch ein paar interessante Kleinlebewesen und dann geht es wieder an Bord. Durch die weit geringere Tiefe habe auch ich diesmal keine Luftprobleme und so beenden wir als Gruppe gemeinsam den wunderbaren Tauchgang. Zurück am Festland gehen wir alle zusammen in ein Restaurant und ich merke, dass meine Kräfte ziemlich aufgebraucht sind. Für sieben Uhr verabrede ich mich noch mit dreien aus der Gruppe, bevor ich dann im Ressort dusche und einen ganz ruhigen Nachmittag einläute.

Um neunzehn Uhr spazieren Joe und ich ins Dorf um Thomas, Andreas und Mara, meine Tauchpartner vom Vormittag, zu treffen. Wir suchen ein Restaurant aus und an unserem Fünfertisch entstehen allerhand gute Gespräche über private und politische Themen. Thomas ist vierundzwanzig und reist nach abgeschlossenem Studium allein, die anderen beiden sind ein Paar, beide in den Dreißigern. Es wird ein schöner Abend bei Ceviche und Bier. Wir verlassen das Restaurant als letzte Gäste, nachdem die Service Crew schon die mobile Musikanlage weggerollt hat und bei einem Bier darauf wartet, dass wir endlich die Rechnung bestellen.
Ein ruhiger Morgen ohne frühes aufstehen liegt vor mir. Ich freue mich darauf, mein Buch auszulesen, mich zu rasieren und ansonsten einfach die Zeit zerfließen zu lassen.
Während ich Kaffeepulver ins dafür vorgesehene Teesieb fülle, das Wasser koche und auf dem Gasherd in der Pfanne meine Toastscheiben bräune, schaue ich den Angestellten bei der Grünpflege zu. Das kleine Ressort besteht aus sieben Hütten und einem nach allen Seiten offenen Gemeinschaftsraum. Alles in Holzkonstruktion mit den in den Tropen üblichen Wellblechdächern. Der Garten geht im hinteren Teil der Anlage direkt in den Dschungel über. Joe hatte gestern auf unserem Balkon Besuch von einer Horde Affen, die sich ihm bis auf zwei Meter genähert haben.
Von einem der langen Tische kann ich die Kolibris bei ihrer Nektaraufnahme beobachten. Mit zwei- bis dreitausend Flügelschlägen pro Minute stehen sie immer kurz in der Luft, entnehmen mit ihren Schnäbeln den Nektar der Blüte und wenden sich sodann blitzschnell der nächsten zu. Unentwegt nehmen sie Nahrung auf, um so ihre hohe Energieleistung erbringen zu können.
 Wie scheinbar jeden Morgen fliegt der handtellergroße blaue Morphofalter aus dem Wald durch den Pflanzenkorridor in den Garten. Mit einer Spannweite von etwa zwölf Zentimetern zählt er zu den größten Faltern der Welt.
 Joe schaut, vom Zigarettenkauf zurückkehrend, kurz vorbei und zieht weiter in unser Häuschen. Hinter dem Haus ist der Balkon, Joes ungestörter, wenn auch illegaler Platz zum Rauchen. In Costa Rica ist das Rauchen in Hotelanlagen, Restaurants und Geschäften nicht erlaubt. Selbst in offenen Zonen herrscht oft Rauchverbot. So ist Onkel Joe immer froh, eine geschützte Ecke zu finden, um nicht für jede Zigarette oder jeden Joint auf die Straße gehen zu müssen.

Ich ziehe vom Beobachtungsposten Tisch weiter und lese in der Hängematte, schreibe Tagebuch und freue mich, dass alle anderen Gäste abgereist oder auf Touren sind. In der Ruhe kommen immer wieder kleinere Tiere, Käfer, Kolibris oder Echsen nahe an mich heran. Wie jeden Tag wird die Hitze ab spätem Vormittag drückender. Da ich mich heute weniger bewege als beobachte, ist es mir diesmal egal.
Onkel Joe und ich trauen uns zum Mittagessen aus unserer sonnengeschützten Zone und gehen über den Hügel ins Dorf. Oberhalb der Bäckerei gibt es eine sehr schöne Terrasse mit herrlichem Ausblick über die Drake Bay. Aras und andere bunte Vögel fliegen vorbei. Ich genieße mein Essen, bis ich mir an einem kleinen Stein im Reis leider meine Krone ausbeiße. Da ich es zu spät bemerke, schlucke ich das gute Stück auch noch herunter...hoffentlich kann ich den Rest der Reise schmerzfrei verbringen!
Costa Rica ist das wohlhabendste Land Mittelamerikas Schon vor etwa siebzig Jahren haben sich die Ticos gegen eine Armee entschieden. Von den Amerikanern protegiert ist es trotzdem sicher und damit auch ein Traum für viele Auswanderer. Vor allem US-Amerikanern ist es neue Heimat und leicht exotische Reisedestination. Der Dollar ist inoffizielles zweites Zahlungsmittel neben dem Colon. Die Rechnungen werden fast immer in beiden Währungen ausgestellt. Costa Rica ist, seinem relativen Reichtum entsprechend, kein preiswertes Reiseland. Nicht vergleichbar seinen mittelamerikanischen Nachbarn, ausgenommen Panama. Für uns bedeutet das aber auch sicheres und bequemes Reisen und gute touristische Infrastruktur. Für Abenteuer westlicher Touristen, aus wirtschaftlicher Not des Gastgeberlandes entstehend, ist hier nicht so viel Platz. Zumindest nicht an den Küsten des Landes und außerhalb der größeren Städte. Costa Rica ist immer mehr in den Fokus der Reisenden gerückt, weil es seine Natur im Vergleich gut behütet und inzwischen etwa dreißig Prozent des Landes unter Naturschutz stehen.

Die einmalige Tierwelt, die Kordilleren mit der Welt der Vulkane, teils riesige noch unerschlossene Dschungelgebiete plus Atlantik und Pazifik in einem so kleinen Land stehen für großen Naturgenuss. Auf der anderen Seite gibt es aber auch kilometerlange Monokulturen von Ananas, Banane und Ölpalme und der Druck auf Naturräume durch Expansion der Landwirtschaft mit ihren Chemikalien. Viele der von Reisenden besuchten Dschungelgebiete sind Sekundärwald, wieder gewachsen auf ehemaligem Plantagenland. So ist es ein immerwährender Kampf, die geschützten Gebiete zu bewahren oder sogar zu erweitern und gleichzeitig den Wohlstand und damit die Zufriedenheit zu erhalten. Auch der Tourismus ist Segen und Fluch zugleich. Durch immer größere Besucherzahlen erhöht sich der Druck auf einzelne Habitate. So wurde Manuel Antonio schon an die Massen verloren und Cahuita droht ein ähnliches Schicksal. Ohne die Gelder aus dem Tourismus wiederum wären die Nationalparks gegen den Willen aus Wirtschaft und Volk nur schwer zu halten. Es funktioniert immer nur mit der lokalen Bevölkerung und somit mit bezahlten Jobs und Perspektiven.

Ein fast abgeschlossenes Projekt Costa Ricas ist die Erzeugung von Energie aus alternativen Quellen. Hier ist Costa Rica ein Vorreiter und schafft es über neunzig Prozent seines Bedarfs zu decken. Auch bei der Wiederaufforstung hat das Land seit den Achtziger Jahren des letzten Jahrhundert Großes geleistet. Von einundzwanzig auf über fünfzig Prozent der Landesfläche konnte sich der Wald wieder ausdehnen. Natürlich ist Costa Rica, wie jedes wohlhabende Land, der Wirtschaftlichkeit verpflichtet. Zumindest in einigen Zweigen weiß es das mit dem Naturschutz zu koppeln und damit zukunftsweisend zu handeln. Auffallend ist die fast völlige Abwesenheit von Plastikmüll an den gemähten Straßenrändern, an Stränden und auch sonstigen Plätzen entlang unserer Route. Nur am Rande der Städte und in ärmeren Stadtvierteln sehe ich die in Schwellenländern üblichen Probleme durch Vermüllung. Ein Zeichen für ein in großen Teilen gut funktionierendes Staatssystem und natürlich für Bildung und relativen Wohlstand.

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Auf dem Weg nach Panama...

Um zwanzig nach drei klingelt der Wecker. Wir wollen heute über Las Palmas nach Puerto Jiménez weiterreisen. Da der Bus schon um vier fahren soll, ist an ausschlafen nicht zu denken. Pünktlich um kurz vor vier stehen wir an der Straße, bis auf das fahle Licht der Straßenlaternen ist es noch stockdunkel. Als wir nach zwanzig Minuten langsam an der Ankunft des Busses zweifeln, biegt er aus der falschen Richtung kommend um die Ecke. Der Fahrer öffnet sein Fenster, ich frage nach unserem Ziel, alles richtig, wir steigen ein und der Bus wendet nach einer Runde durchs Dorf und rattert los in Zielrichtung. Bei geringer Geschwindigkeit werden wir durchgeschüttelt, freuen uns aber trotzdem an der abenteuerlichen Piste. Bei unserer ersten Flussdurchquerung läuft das Wasser zwanzig Zentimeter hoch in den Einstiegsbereich. Lachend öffnet einer der drei Mitreisenden die Tür, um es wieder ablaufen zu lassen. Wir sind die einzigen Ausländer im Bus, die anderen fahren wohl zu Arbeit oder Familie. Beim nächsten Fluss zeigt eine Kordel von Baum zu Baum gespannt die Fahrrinne an. Insgesamt passieren wir fünf Furten bis Las Palmas. In der aufkommenden Dämmerung wechselt die Landschaft von Dschungel zu Weideland. Dürre Kühe grasen, kaum zu sehen im über den Weiden hängenden Morgendunst. Die Sonne steigt als rote Kugel über das noch dampfende Land. In Las Palmas wechseln wir von Piste zu Teer. Hinter uns hält direkt der Bus zur Weiterfahrt nach Puerto Jiménez. Wir steigen um und vierzig Minuten später erreichen wir die beschauliche Kleinstadt.
In einem staubigen Café gegenüber der Haltestelle bestellen wir Rührei und Café con leche. Die Jiménez Cabinas liegen fußläufig und um acht Uhr früh liegen wir auf unseren Betten.

Am Nachmittag leihe ich mir einen der Kajaks des Hotels, packe meine Kamera in einen wasserdichten Sack und freue mich auf eine Tour durch die Mangroven. Ich schnappe mir noch ein Paddel, schleppe den Kajak ins Wasser und los geht es. Am Anfang halte ich noch nicht ganz die Richtung, aber schnell bin ich auf Kurs und nehme die nicht weit entfernte Brücke ins Visier. Die Flut ist auf Höchststand und so ist der Luftraum zwischen Brücke und Meer nur sehr klein. Ich lege mich flach hin, bleibe aber doch mit meinem Kopf an der rostigen Unterseite hängen. Schnell drücke ich mich zurück und überlege, wie dämlich das wohl ausgesehen haben muss. Einen kleinen Schnitt an der Stirn nehme ich als Andenken mit. Hier komme ich nicht durch und so drehe ich und paddle auf die etwas entfernten Mangroven jenseits des Hotels zu. Langsam arbeite ich mich in den sich verengenden Kanal zwischen den Mangroven durch. Ideal um eines der typischen Kajak Fotos zu schießen. Ich hole die Kamera aus dem Sack, setze mir wie immer meine Brille auf die Mütze und versuche alles unter Kontrolle zu halten und dabei die Kamera zu fokussieren. Ein Ast streift mir meine Brille vom Kopf, ich sehe sie ins Wasser fallen und langsam versinken. Reflexartig greife ich zu und bekomme das gute Stück gerade noch zu fassen. Allerdings ist der Kajak nun bedenklich wackelnd und ich schaffe es nicht die Kontrolle wiederzuerlangen. Mit der Kamera in der einen und der Brille in der anderen bin ich chancenlos gegen das Umschlagen des Kajaks. Ich gehe fast vollkommen unter, nur meinen rechten Arm mit der Kamera schaffe ich über Wasser zu halten. Zum Glück ist es hier nicht besonders tief und so stehe ich letztendlich bis zur Schulter in der braunen Brühe. Mögen nun bitte nur keine der hier vorkommenden Krokodile Geschmack an mir finden! Die Brille wieder auf der Nase bekomme ich eine Hand frei, fische den Sack aus dem Wasser und lasse die paar Tropfen herauslaufen, bevor ich meine Kamera verpacke und das ganze erst einmal am Ast einer Mangrove aufhänge. Ich drehe den Kajak, würge mich herein und habe Mühe wieder auf meinen Platz zu kommen, ohne ein zweites Mal zu kentern. Erst jetzt sehe ich, dass der Ast mit meiner Kamera vollständig von Ameisen besiedelt ist. Ich schnappe mir den Sack, befreie ihn von allen Tieren und bugsiere mich vorsichtig wieder auf das offene Wasser. Die nachlassende Hitze genießend lege ich ruhig und über mich selbst schmunzelnd die restliche Strecke zum Hotel zurück. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell ich in ein kleines Abenteuer rutsche, um dann ebenso schnell wieder in das normale Fahrwasser zu kommen. Ein bisschen Glück gehört auch dazu…oder eben nur kein Pech!

Wieder ist der Wecker gestellt, den heute ist langer Reisetag. Um halb sechs ist unsere Bettruhe vorbei. Wir packen, duschen schnell und ziehen uns an, bevor wir mit dem Taxi zum Bootsanleger fahren. Pünktlich um sechs legt unsere Fähre an und wir steigen zusammen mit den anderen Passagieren über eine recht rudimentäre Gangway aus Holz auf das Boot. Mit der aufgehenden Sonne verlassen wir die Peninsula de Osa und es geht über den Golfo Dulce Richtung Festland nach Golfito. Vierzig Minuten später sitzen wir schon am Anleger auf der anderen Seite und warten auf unseren ersten Kaffee. Ein Sammeltaxi taucht auf und versucht dann außer uns noch andere Mitfahrer zu finden, aber schließlich fahren nur Onkel Joe und ich Richtung panamaische Grenze. Zwischendurch nehmen wir auf offener Strecke noch eine Frau mit, dann geht es ohne weitere Unterbrechung zum Ziel.
An der Grenze ist einiges los, hier gibt es eine kleine Freihandelszone, einige Lokale und die öffentlichen Gebäude der beiden Staaten. Wir müssen zuerst eine Ausreisesteuer von sechs Dollar pro Person zahlen und können uns danach den Ausreisestempel Costa Ricas holen. Zu Fuß geht es durch die Sonne zur Grenzstation Panamas. Zum ersten Mal werden wir mit der neuen Realität des inzwischen weltweit grassierenden Coronavirus konfrontiert. Alle Beamten tragen Atemmasken, eine Ärztin sogar einen Schutzanzug. Mit einem Fieberthermometer werden wir an der Stirn gemessen, danach fotografiert man uns und wir müssen Fingerabdrücke geben. Da jeder dem gleichen Prozedere unterzogen wird, packen wir unser Desinfektionsmittel aus und reinigen die Hände. Hier gehen jeden Tag Hunderte über die Grenze und das Pad für die Fingerabdrücke wäre eine vorzügliche Virenschleuder!

Die Situation hat etwas Apokalyptisches, das Chaos der Grenze und dazu die Gesichtsmasken. Einige haben sogar Gasmasken auf.
.. Wir betreten Panama, finden sofort unseren Bus nach David und sind froh die Szenerie hinter uns zu lassen. Vor der Abfahrt steigt noch ein Grenzbeamte ein und kontrolliert Fahrausweise und Pässe. Unser Busfahrer ist ein Heizer, reißt die ersten Gänge in höchste Drehzahlen. Seine Hilfe lädt Gepäck ein, sorgt für schnelles Einsteigen und kassiert, wenn jemand aussteigt. Andauernd hält der Bus, füllt sich, leert sich und füllt sich erneut. Nach anderthalb Stunden erreichen wir die Vororte Davids. Da wir unser Mietauto am etwas außerhalb liegenden Flughafen abholen wollen, werden wir in einem nahen Industriegebiet herausgelassen.
Unser Taxifahrer kann das Gepäck nicht in den Kofferraum packen, da dort sein riesiger Subwoofer eingebaut ist. Er trägt eine Totenkopf-Gesichtsmaske über dem Mund und bringt so auf makabre Art die auf Grund des Coronavirus herrschende Situation auf den Punkt. Trotzdem wir viel zu früh sind, bekommen wir unser Auto, finden auch nach kurzer Erklärung den Weg nach Volcan und rufen von dort unseren Fahrer Victor an. Er soll uns mit seinem Toyota Hiace die restliche Strecke zur Mount Totuma Cloud Forest Lodge bringen.
Eine Stunde über härteste Piste und wir kommen in einem Paradies in den Bergen an. Auf 1900m liegt hier ein privates Bioreservat zum Schutz der Nebelwälder. Es schließt an den auf beiden Seiten der Grenze liegenden, über viertausend Quadratkilometer umfassenden La Amistad International Nationalpark an. Die Farm ist einer der wenigen Orte, über die man überhaupt in den Nationalpark gelangen kann. Auf hundertsiebzig Hektar Privatbesitz schützt der Besitzer Jeffrey einen besonderen Ort. Traumhaft in die bewaldeten Berge ist die Lodge mit ihren Nebengebäuden eingepasst. Jeffrey hat über die Jahre verschiedene Wanderpfade angelegt. Er und sein Team forsten immer noch weitere Gebiete wieder auf und ziehen dafür einheimische Gewächse in der angeschlossenen Baumschule. Es gibt Vollpension für alle, da auf Grund der entlegenen Lage keine andere Verpflegung möglich ist. Einiges kommt aus den eigenen Gewächshäusern und Beeten. Auch das Fleisch kommt aus eigener Schlachtung.

Wir sind nur acht Gäste, da es auch hier einige Absagen wegen des Coronavirus gibt. Nach dem leckeren Abendessen fliegt noch eine orange- weiß gestreifte Riesenmotte in den Gastraum. Ihr Körper hat den Umfang meines kleinen Fingers. Jeffrey fängt sie ein und so können wir, bevor er sie wieder freilässt, einen genaueren Blick auf das Tier werfen. Der Körper wirkt, als hätte er ein feines Fell. In einem der ausliegenden Bücher schlagen wir die Motte nach. Faszinierende Welt der Nachtfalter!
Jeffrey spricht schweizerdeutsch, weil er länger für Leica in Basel arbeitete, bevor er anschließend die Leitung der Firma in Südamerika übernommen hat. Gebürtig ist er US-Amerikaner, studierter Biologe. In Panama hat er über einen längeren Zeitraum gesucht, bevor er zusammen mit seinem Bruder die ehemalige Rinderfarm hier in den Bergen übernommen hat. Tausende von Ladungen mussten, wie er Joe erzählt, angekarrt werden, um den Betrieb, so wie er nun nach zehn Jahren hier steht, aufzubauen. Joe und ich ziehen in unserem Gespräch den imaginären Hut vor dieser Pionierleistung. Neben Kaffee, Baumschule und Gemüseanbau gibt es auf den höher gelegenen Wiesen auch noch Kühe. Gerade ist ein Wasserbecken im Bau, in dem Forellen gezogen werden sollen. Die Farm wird damit noch ein Stück autarker. In Verbindung mit dem sanften Tourismus sind Arbeitsplätze für etwa zehn Menschen entstanden und auch noch große Teile des hundertsiebzig Hektar Grundstücks wieder dem Wald überlassen worden. Das Reservat ist Mitglied eines Verbandes zum Schutz der Wälder und der Quellen.
An Haupthaus und ursprünglichem Farmhaus befinden sich Futterstationen für Kolibris. Die Mischung aus zwei Teilen Wasser und einem Teil Zucker zieht die Vögel magisch an. Mit ihren fast unsichtbaren Flügelschlägen schwirren sie mit ruckartigen Bewegungen um die Tränken. Meine Versuche, ein gutes Foto fliegender Kolibris zu schießen sind recht frustrierend. Zu schnell und vor allem zu oft die Richtung wechselnd sind ihre Flugbahnen. In Panama gibt es achtundfünfzig verschiedene Arten dieser Vögel. Die kleinsten sind gerade einmal vier Zentimeter groß, kleiner als die Motte des vergangenen Abends. Das metallisch schillernde Federkleid und die langen Schnäbel, um den Nektar aus den Blüten zu saugen, verwandeln sie für mich in magische Tiere. Das brummende Geräusch des Fluges lässt ihren Kraftverbrauch erahnen. So müssen sie tagsüber dauernd neue Nahrung generieren, um ihren Energiehaushalt ausgeglichen zu halten. Das sie dabei auch noch rückwärts fliegen können macht sie für mich zu den Akrobaten der Lüfte.

Durch ein über Nacht angeschaltet gebliebenes Außenlicht kann ich am Morgen einige sehr schöne Motten betrachten. Auch eine Stabheuschrecke, wegen der perfekten Tarnung sonst kaum in der Natur auszumachen, sitzt gut sichtbar an der Wand. Gestern am Abend ist noch eine Gruppe Naturfotografen angekommen. Auch sie sind hinter ihren riesigen Teleobjektiven konzentriert bei der Arbeit.
Nach dem Frühstück gehe ich noch einen der ausgewiesenen Wege. Er führt mich durch den Wald auf die Kuhwiesen weit oberhalb der Häuser. Der Ausblick über Berg und Tal ist fantastisch. Was für eine Idylle ist dieses Reservat! Der Übergang von Weideland zu Wald, von gezähmt zu wild ist großartig. Dazu ein erfrischender Wind und die ewig von der Karibik hereinziehenden und hier dann über die Berge kriechenden Wolken. In den letzten Tagen wiesen die Nachmittage schon mit riesigen Quellwolken auf einen bevorstehenden Wetterwechsel hin. Jeder, Mensch, Tier und Pflanze wartet auf den ersten Regen. Seit ein paar Monaten ist es nun trocken und einige der Epiphyten lassen schon ihre Blätter hängen. Auch haben sich die Frösche laut Jeffrey gut versteckt und er erzählt mir, dass es erst mit dem ersten Niederschlag wieder welche zu beobachten gibt.

Gestern habe ich die Überbleibsel eines kleinen Raubtieres gefunden. Aaskäfer verrichteten schon ihre Arbeit. Wahrscheinlich hat ein Raubvogel die Reste seiner seltenen Beute so zurückgelassen. Schön konnte man das strahlend weiße Gebiss mit den Reißzähnen sehen. Ein wenig des getigerten Fells war auch noch vorhanden. Das Tier muffelte ein wenig, so dass ich nach meiner Betrachtung lieber wieder meinen Weg fortsetzte.
Mittags holt uns unser Wagen zur Rückfahrt nach Volcan ab. Wir teilen uns die Kosten mit einem deutschen Paar aus Stuttgart, mit dem sich Joe öfters in den beiden letzten Tagen unterhalten hat. Wir unterhalten uns während der Fahrt sehr gut und so geht es trotz Geschaukel relativ schnell zurück zu unserem Auto. Ein kurzer Stopp im Supermarkt und wir sind zurück auf der Teerstraße. Über vier Stunden Fahrt liegen bis Santa Catalina vor uns. Schon auf der Panamericana wird die Beschilderung hinter David rar und unsere Abbiegung ist gar nicht angezeigt. Nach mehrmaligen Nachfragen biegen wir mit einem etwas unsicheren Gefühl ab. Am Vortag habe ich mir die Strecke bei Google Maps in Etappen rausgeschrieben und nachdem die nächste Abbiegung genau stimmt, finden wir unser Vertrauen wieder. Wir fahren in die Abendsonne hinein und kommen zum Glück noch vor Sonnenuntergang im Dorf an.

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Unverlangte Verlängerung...

Nach Costa Rica und unserer Bergstation fällt uns der reichlich vorhandene Müll am Straßenrand auf. Auch die Anzahl von stark betrunkenen Einheimischen nach Einbruch der Dunkelheit ist recht abstoßend. Das ganze Dorf macht den Eindruck, als seien die Hotels, Restaurants und Büros für allerhand touristische Unternehmungen dem etwas verkommenen Fischerdorf aufgepfropft worden. Erste Welt in den Restaurants, zweite oder dritte Drumherum. Es kommt uns alles ganz anders vor als wir es gehört haben. Eigentlich ist das Dorf als einer der Hotspots für Surfer bekannt.

Wir hören in unserem Hotel, das die Restaurants geschlossen werden und schwimmen im Meer verboten sei. Das Corona Virus hat uns endgültig eingeholt, oder zumindest seine Folgen. Wir essen noch eine Pizza in einem der wenigen geöffneten Restaurants und legen uns schwitzend in unser Tiny House.
Onkel Joe geht auf der Jagd nach seinem Morgenkaffee als erster vor die Tür. Eine Viertelstunde später kehrt er mit einem deutschen Pärchen im Schlepptau zurück. Gerüchte schwirren durch die Luft. Angeblich sei im Nachbarort ein Tourist an Corona gestorben. Auf jeden Fall herrscht, auch auf Grund des Schließens aller Unternehmen, rege Aufbruchstimmung. Alle wollen in die Hauptstadt, bevor Gebiete abgesperrt werden. Die Linienbusse fahren nicht mehr. Dafür ist immer mal ein Polizeiwagen auf Streife unterwegs. Mehrere Reisende wollen einen kleinen Bus chartern. Wir nehmen Benny und Simona aus München noch auf der Rückbank mit und starten nach einem Kaffee Richtung Panama City. Mit den beiden können wir gut erzählen und lustig sein. Besonders Benny hat einen schlagfertigen Humor. Bevor sie ihn Santa Catalina angekommen sind, haben sie versucht den uralten Camino Real der Konquistadoren zu erwandern. Letztendlich mussten sie nach mehreren Tagen durch den Urwald und einem langen Blick auf die Karte aufgeben. Trotz Machete war ihnen nicht mehr nach einer weiteren Woche „Rüdiger-Nehberg-Gedächnis-Überlebenstrip“.

Nach zwei Stunden Fahrtzeit werden wir von einem Motorradpolizisten angehalten. Die stehen alle paar Kilometer schön im Schatten unter den großen Bäumen und warten auf Temposünder wie uns. Wir halten an und ich hole meinen Führerschein aus dem Kofferraum. Zuerst weiß ich nicht, was er mir durch seinen Mundschutz sagen will, aber beim Wiederholen verstehe ich Jürgen Klopp...wieder einmal erkennt jemand in mir eine Ähnlichkeit zum Liverpool-Coach. Seine ernste Miene lockert sich und er marschiert zu Onkel Joe, um auch ihm ein „Jürgen Klopp“ und „Liverpool“ durch das Fenster zuzurufen. Letztendlich kommen wir mit einer zwanzig Dollar Strafe ohne Quittung gut weg. Eine letzte Ghettofaust gegen seine mit blauem Einweghandschuh gekleidete Hand und die Fahrt geht weiter.

Dank der Smartphone Unterstützung durch Benny fädeln wir uns gut ein und erreichen den Flughafen einige Zeit später. Das Umland ist schrottig und vermüllt. Hinweisschilder in unserer Fahrtrichtung fehlen völlig. Wir sehen die entstehende Hochtrasse für die kommende Zugverbindung von der City zum Flughafen. Der Flughafen selbst wird über die nächsten Jahre bei laufendem Betrieb für zukünftig über zwanzig Millionen Passagiere pro Jahr ausgebaut. Ziel scheint es zu sein, die Besucher über die Slums und Vorstädte hinweg direkt in die renovierte, UNESCO Weltkulturerbe geadelte Altstadt und die glänzenden Hochhausviertel zu transportieren.
Wir geben unser Mietauto zurück und fragen uns zum Lufthansabüro durch. Auf dem Weg bekommen wir schon mit, dass alle Flüge von und nach Europa für die nächsten dreißig Tage ausgesetzt sind. Ich reserviere unser Zimmer in der Altstadt von Panama City für die nächsten zwei Tage. Die schon vor dem Büro wartenden Deutschen sagen uns, dass in ein paar Minuten ein Stockwerk tiefer ein Schalter zur Information der Kunden öffnen soll. Als erste stehen wir davor und kommen nach kurzer Wartezeit direkt an die Reihe. Ein längeres Telefonat und uns wird ein Flug in vier Tagen nach São Paulo und von dort ein zeitnaher Weiterflug nach Frankfurt angeboten. Da vorher oder mit kürzerer Flugzeit nichts zu buchen ist, erklären wir uns einverstanden und werden eingecheckt. Onkel Joe leiht unseren etwas klammen Wegbegleitern noch fünfhundert Euro, um ihre Zeit in der Stadt finanzieren zu können, dann verabschieden wir uns.

Vor dem Taxistand spricht uns ein Österreicher an. Er hat über Uber einen Fahrer bestellt und nimmt uns mit in die Altstadt. Preiswerter konnten wir nicht zu unserem Hostel kommen. Auf dem Weg erzählt er uns, dass er von einer großen Party im Nordosten hierhergekommen ist. Nachdem viele der Gäste wegen des unreinen Wassers krank wurden, sperrte die Polizei das Gebiet wegen Corona Verdacht ab. Er war gerade noch mit dem letzten Transport rausgekommen. Die anderen Gäste saßen nun in der Patsche im Nirgendwo und würden es wohl sehr schwer haben, das Gebiet zu verlassen. Es gebe keine Geschäfte, Restaurants oder andere Versorgungsquellen in der Nähe. Die einzige Zufahrtspiste abgesperrt. Wieder einmal kommt mir der Gedanke, dass sich viele junge Menschen recht leichtgläubig auf unübersichtliche Situationen einlassen. Das geht bei ihnen wie auch bei uns meistens gut. In diesem Fall können wir wohl für die Betroffenen nur hoffen, das ihr Martyrium in  dieser Situation nicht zu lange andauert...

Die meisten Restaurants sind inzwischen auch in der Innenstadt geschlossen, aber einige immerhin auch geöffnet. Ob sich das die nächsten Tage verschlechtert, weiß noch niemand. Magnolia, unser Zuhause der nächsten Tage, ist ein reizender himmelblauer Kolonialbau in gut renoviertem Zustand. Der Empfang ist sehr nett und ich bin froh, ein schönes Zimmer für die nächsten Tage zu bewohnen. Nachdem ich meine Mails gelesen und beantwortet und einige Seiten zu unserer neuen Situation gelesen habe, wollen wir in die Altstadt und uns ein Restaurant suchen. Da auf dem Weg von Santa Catalina hierher fast alles geschlossen hatte, habe ich bis auf Bennys Ananas, die er mit seiner Machete für uns zubereitet hat, noch nichts gegessen. Bevor wir losgehen, ruft Anke an. Ich habe ihr kurze Zeit vorher die Nummer des Hotels geschickt. Ich freue mich riesig, nach fast drei Wochen wieder ihre Stimme zu hören. Wir erzählen uns gegenseitig unsere momentane Situation. Mir geht es direkt besser, als ich höre, dass es der Familie gut geht. Aber ein bisschen bekomme ich durch das Telefonat auch Heimweh. Das liegt auch an der ungewissen Situation, wann wir uns wieder sehen werden. Wenn es in drei Tagen nicht mit unserer Ausreise funktioniert, kann es auch ein Monat werden. So lange hat die panamaische Regierung erst einmal die Flüge von und nach Europa ausgesetzt.

Nach unserem leckeren Essen spazieren wir noch eine erste Runde durch die teilweise prachtvoll renovierte und in anderen Teilen noch marode Altstadt. Auf einem kleinen Platz im eher nicht touristischen Bereich schauen wir uns das Treiben an. Ein Stadtteil wie viele auf der Welt: Entweder der Verfall schreitet unaufhörlich bis zum Einsturz fort oder die armen Bewohner werden durch die Sanierung zu großen Teilen aus ihrem Viertel vertrieben. Ohne Eingreifen des Staates und eine gewisse Regulierung ist wohl leider kein friedliches Nebeneinander auf Dauer möglich.

Schon früh starten Onkel Joe und ich am Morgen unseren Spaziergang durch das Viertel. Nach längerem suchen sehen wir zwei Polizisten aus einem Soda treten. Als einzige Ausländer finden wir uns bei lautem Fernseher in einem recht einfachen Selbstbedienungsrestaurant wieder. Das Rührei und der Kaffee schmecken und die Preise sind absolut untouristisch. In scheinbarer Endlosschleife laufen die Diskussionen über den Virus und das auf allen Kanälen. Bei einem kurzen Stopp im Hotel packen wir unsere Schmutzwäsche ein und machen uns mit schwarzem Müllbeutel über der Schulter auf den Weg zur Wäscherei, nur um dann vor verschlossenen Türen zu stehen. Auch die zweite ist inzwischen geschlossen und so tragen wir unsere Wäsche ungewaschen zurück. Wir machen uns noch einmal auf den Weg und ich knipse ein paar Straßenszenen. Nachdem ich einen Schuhputzer gefragt und fotografiert habe, wollen wir rechts abbiegen, werden jedoch durch einen Mann auf einer Parkbank zurückgehalten. Diese Richtung sei rote Zone und wir sollten lieber geradeaus gehen. Auch hier wird es immer brüchiger und als wir an einer Hütte, auf einem Schuttberg stehend, vorbeikommen und ich ein kurzes scherzhaftes Gespräch mit einem Autowäscher an einer Brachflächen führe, möchte Joe lieber wieder in intaktere Gefilde. Auf der Plaza De La Independencia sehen wir gerade noch das Ende einer Szene, in der sechs Polizisten einen offensichtlich verwahrlosten Mann zu den Pylonen auf die Pritsche ihres Pickups laden. Trotz Gegenwehr ist er chancenlos und, durch die Füße der Polizisten auf der Erde gehalten, wird der Arme abtransportiert. Onkel Joe hält mich davon ab, zu fotografieren. In der momentanen, etwas aufgeheizten Situation wohl auch besser!

Nach einer Dusche und der Handwäsche meiner Kleidung bin ich bereit für eine Lesestunde. Noch immer wache ich in aller Frühe auf und da wir hier noch ein paar Tage festsitzen ist Zeit kein großes Thema, das Gefühl etwas zu verpassen minimal. Als ich gerade auf dem Bett liege klopft es laut an der Tür. Ich schlüpfe schnell in meine Unterhose und öffne. Ein junger Deutscher, mit dem wir uns gestern unterhalten haben, steht im Flur und wirkt ziemlich aufgelöst. Mit roten Wangen und etwas stammelnd berichtet er, dass jemand ihn überfallen und sein Geld sowie sein Smartphone gestohlen habe. Ich leihe ihm mein I Pad, damit er ein paar Adressen nachsehen kann. Die vom Portier benachrichtigte Polizei erscheint mit sechs Beamten. Das Auto bleibt wie immer mit Schlüssel und laufendem Motor auf der Straße stehen, weil sonst die Air-Condition nicht funktioniert. Sie nehmen den Fall auf und verschwinden wieder. Onkel Joe leiht dem Jungen noch hundert Dollar und nach einer Stunde ist mit Hilfe des Hotelpersonals ein neues Smartphone gekauft. In unser aller Situation wichtig, denn ohne aktuelle Informationen wird es hier für manche beinahe unmöglich überhaupt noch wegzukommen. Einige Airlines geben kaum Informationen auf ihren Internetseiten und sind telefonisch gar nicht mehr zu erreichen. Rückflüge gibt es wenige und die sind inzwischen für manch einen unerschwinglich teuer geworden.

Die sogenannte rote Zone reizt mich und so mache ich mich mit meiner Kamera auf den Weg. Der dicke Zuckerguss über den Straßen um das Hotel mit ihren bunten, frischrenovierten Häusern geht sehr schnell verloren als ich einige Blocks weitergehe. Armut ist hier anzutreffen. Die Häuser sind zwar auch bunt, aber teilweise ohne Türen und Fenster, viele in abbruchreifen Zustand. Es liegen Müllberge auf der Straße, einmal ein umgekipptes Auto. Jugendliche und Ältere mit Kindern sitzen vor den Häusern. Ich unterhalte mich mit ein paar Jungen, lächle mit Kindern und bekomme so ein bisschen Kontakt. In der Nacht würde ich ehrlich gesagt aber nicht weiter weg vom Hotel unterwegs sein wollen. Zu groß ist das Wohlstandsgefälle, als dass ich mich ohne Bekannte aus der Umgebung wohlfühlen würde. In einem leeren Haus wechseln Geld und kleine Päckchen den Besitzer. Eine Frau macht mir ein eindeutiges Angebot. Ein Mann warnt mich, dass ich ermordet werden könnte, lacht sich dann mit seiner Partnerin kaputt, während sie weiter die Straße runtergehen. Es sind keine Polizisten mehr zu sehen, während sie im touristischen Teil der Altstadt an jeder Ecke und oft zu mehreren herumstehen. Trotzdem fühle ich mich sicher. Zu viele lächeln und sind neugierig, als dass ich mich ernsthaft fürchten müsste. Wie so oft löst die Kamera Situationen positiv auf. Ich fotografiere, zeige dann die Bilder und so entsteht eine kurze Bindung. Auf dem Rückweg grüßen mich schon ein paar quer über die Straße.

Anke ruft an und will mit den Nachbarn versuchen, mich und Joe in die Liste des Auswärtigen Amtes einzutragen. Mehrfach telefonieren wir hin und her, ich gebe die Daten unserer Pässe durch. Die Seite ist offensichtlich überlastet. Immer wieder fliegen sie aus der Verbindung raus. Ab nächste Woche sollen Maschinen die gestrandeten Urlauber, Expads und Reisenden aus Panama rausholen. Somit ist diese Liste der Rettungsanker, falls der Weg über Brasilien auch geschlossen wird. Kolumbien hat heute seine Grenzen dicht gemacht, Kanada schickt jeden Einreisenden erst einmal vierzehn Tage in Quarantäne. So verschwindet eine Möglichkeit nach der anderen oder wird zumindest erschwert. Sollte Bolsonaro, der rechte Populist und Regenwaldzerstörer, wirklich unsere Lücke offenlassen?

Im Restaurant um die Ecke schmeckt es und wir können mit Karte zahlen. Beides sind, zusammen mit dem kurzen Weg, unschlagbare Vorteile. Zwischen Hostel und Restaurant findet ein Gottesdienst in einem der wenigen noch nicht renovierten Häuser statt. Der Prediger singt und predigt enthusiastisch. Begleitet von zwei Trommlern bewegt er die Menge physisch und seelisch. Lautes mitsingen und rhythmisches Klatschen von Jung und Alt. Wir tanzen mit und schauen begeistert zu. Joe wagt die These, dass unsere Kirchen auch voller wären, würden die Geistlichen etwas mehr Leben in Gottes Buden bringen. Später, vom Balkon aus, höre ich dem Gesang noch eine Weile zu.
Am Morgen dann erst einmal die beruhigenden Mails vom Auswärtigen Amt und Anke, dass wir in der Liste der Gestrandeten nun eingetragen sind. Wir suchen zusammen mit Christian, der jetzt wieder im Dauereinsatz an seinem neuen Handy sitzt, einen Platz zum Frühstücken. Joe hat ihn in unserem Namen eingeladen, wir nehmen den gerade einmal Einundzwanzigjährigen etwas unter die Fittiche. Immer mehr Läden bedienen zwar noch, aber nur zum Mitnehmen. Immerhin gibt es auch solche, die sich der Anordnung noch widersetzen. Wir finden ein herrliches altes Café mit einem von Palmen überdachten Innenhof. Hoffentlich halten die Inhaber dieses Juwel noch ein paar Tage offen. Oasen wie diese lassen uns die Zeit genießen.

Den Nachmittag nutze ich noch einmal, um mich außerhalb des goldenen Käfigs zu bewegen. Gegen den ausdrücklichen Rat der immer massiver auftretenden Polizisten besuche ich wieder mein gestriges Viertel. Das Leben findet auf der Straße statt und außer den jungen Männern ist auch jeder freundlich. Besonders faszinieren mich die Gruppen von Kindern, die mit beinahe nichts ihre Zeit ohne Langeweile und mit viel lachen verbringen.
Zurück im Hotel höre ich, dass ab 21.00 Uhr eine Ausgangssperre verhängt wurde. Wir gehen mit Christian ein Lokal für unser Abendessen aussuchen. Zum Abschluss des Abends setzen wir uns noch auf dem weißen Pavillon der wunderschönen Plaza Catedral. Schon eine Dreiviertelstunde vor der Zeit kommt die Kontrolle mit Mundschutz und den obligatorischen Plastikhandschuhen, um uns in die Häuser zu schicken. Diskussionslos ziehen wir ab, unterhalten uns noch eine Viertelstunde mit anderen Gästen und gehen dann auf unser Zimmer. Seltsame Zeiten...

Unser letzter Tag bricht an. Die Altstadt wird immer mehr zur Geisterstadt. Im Hotel sind wir zusammen mit Robert und Lea, einem Freiburger Pärchen, die letzten Gäste. Im Restaurant sitzen wir allein, in den Geschäften kein einziger Kunde. Trotzdem haben immer noch einige Läden auf. Ich möchte nicht wissen, welcher finanzieller Druck auf vielen Familien nun liegt. Wenn die Aktien ein Drittel ihres Wertes eingebüßt haben und das weltweit, dann bedeutet das für unzählige sehr unbequeme Zeiten oder auch richtige Not. Nicht weil die Armen Aktien besitzen, sondern weil es eine Messlatte der Situation ist.

Die Leere der Straßen, zusammen mit der Ungewissheit unserer Situation, drückt langsam schon etwas auf unsere Gemüter. Nach drei Tagen ist der nutzbare Raum auch ausreichend bekannt. Die einzige Alternative sind die am Rande der Altstadt beginnenden härteren Slums. Auch keine wirkliche Aufmunterung, So hoffen wir, dass der morgige Flug uns hier rausbringt und möglichst auch nach Hause, zumindest nach São Paulo. Brasilien hat laut FAZ die Landesgrenzen inzwischen geschlossen. Ein Mitarbeiter des Flughafens, den Robert kennengelernt hat, sagt, ab Sonntag werde der Flugverkehr ganz eingestellt. Eine Webseite und kurz danach der Präsident bestätigen das. Das Gefühl, ein sich enges ziehendes Netz zu spüren, wird präsenter! In einem Land zu sein, das seine Infrastruktur dermaßen zurückfährt ist unschön. Wir hören von ersten Plünderungen und ich sehe auch ein ausgebranntes Geschäft. Bis hierher habe ich meine Tage in der Stadt noch sehr genossen, ab jetzt fängt das Warten an.

Deyra, die inzwischen bei Freunden untergekommen ist, kommt erfolglos vom Flughafen zurück und so gehen wir letzten fünf zusammen zu einem Italiener. Während wir unser leckeres Essen genießen, kommen mehrere Männer vom Gesundheitsamt mit Masken, Handschuhen und Schutzanzügen herein, um zu prüfen wie viele Leute im Raum sind. Kurze Zeit später verlassen sie freundlich grüßend das Restaurant. Das Gefühl in einer sich verdüsternden Zukunftsvision angekommen zu sein ist nicht mehr von der Hand zu weisen. Leicht aufgeregt gehe ich heute ins Bett, schlafe aber nach einem letzten Mailcheck doch recht gut ein.

Schon früh am Morgen verlassen wir zusammen mit Lea und Robert im Taxi die Stadt Richtung Flughafen. Der Flug steht und wir können direkt unser Gepäck durchchecken bis Frankfurt. Wir gehen beruhigt frühstücken und fliegen pünktlich ab. Auch in São Paulo ist die Situation problemlos, wenn auch durchaus nicht normal. So sind nur noch die letzten zwölf Stunden Flug abzusitzen, bevor wir in die lahmgelegte Bundesrepublik Deutschland zurückkehren und uns in der neuen heimischen Situation einrichten müssen.

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