Ägypten

Zwischen Rotem Meer und Weißer Wüste

Ägypten

Abtauchen in die Korallengärten

Auf halbem Wege zwischen unserem Ankunftsort Hurghada und Marsa Alam liegt die kleine Stadt El Quseir und etwas nördlich davon unsere Bleibe für die ersten fünf Nächte, das Silver Beach Boutique Hotel. Ein Platz ohne den hier so oft üblichen Mix aus mehreren Pools, Animateuren und Schaumpartys am frühen Nachmittag. Eine schöne Anlage mit vielen blühenden Pflanzen für etwas ruhigere Gäste, die sich meistens an der angeschlossenen Tauchschule für ihre Tauchgänge im Roten Meer einschreiben. Tomm hat von uns seinen Kurs zum Open Water Diver zu Weihnachten geschenkt bekommen und ich möchte meine angestaubten Kenntnisse auffrischen und nach Jahren auch einmal wieder unter Wasser nach Fischen und Korallen Ausschau halten. Für Anke bleibt die geliebte Sonne und das Schnorcheln im mit 25°C angenehm warmen Wasser.

In den nächsten Tagen ist der Wechsel zwischen Land und Wasser, zwischen der kargen Wüstenlandschaft und der farbenfrohen Welt unter der Wasseroberfläche unser Taktgeber. Ohne die herrlichen Korallengärten, unter den schönsten der Welt, wäre dieser Küstenabschnitt wohl den Tui-Fly Kunden vorbehalten. So aber zieht er schon seit Jahrzenten Taucher hauptsächlich aus dem reichen Europa an, die hier das exotische der Unterwasserwelt bewundern und für kurze Zeitspannen in die uns fremde Welt abtauchen. Staunend betrachten wir die knallbunten Farben der Fische, die eher pastell- und erdfarbenen Korallen und das tiefe blau des Roten Meeres. Ein langer Steg führt über die felsige Passage bis zum Einstieg an das etwa hundert Meter vor dem Strand beginnende Hausriff, eine steil ins immer dunklere blau abfallende, von allen möglichen verschiedenen Korallen bewachsene Wand. Kleine rote Fische umschwärmen zusammen mit zig anderen Arten die Korallenköpfe. Kommen Anke oder ich näher, so verschwinden sie kurz in den Korallenzwischenräumen, um bald wieder ins Freie zurückzukehren. Tomm und ich sehen auf unseren Tauchexkursionen unfassbar viele Fische, verschiedenste Arten, die mal einzeln, mal in kleinen Gruppen oder Schwärmen vor unseren Augen ihre Bahnen ziehen. Interessanter als die vielfarbigen Schönheiten sind aber die besonders gut getarnten, die seltenen und die besonders hässlichen. Es ist ein wenig der Reiz des Dunklen, der Nacht oder auch des Unbekannten.

Auf einem der Tauchgänge begegnen wir dem Krokodilfisch, einem knapp einem Meter großem Lauerräuber, der teilweise eingegraben in geschützten Buchten auf Sandböden in Riffnähe lebt. Besonders ist der orientalisch wirkende, netzartige Vorhang vor seinen Augen zum Schutz vor UV-Strahlung, der einer kunstvoll gestickten Borde ähnelt. Es ist ein besonders großes Exemplar, dessen Kopfform ihm den Namen eingebrockt hat. Wir nähern uns bis auf einen halben Meter und können, vor ihm im Wasser schwebend, ihn ganz genau anschauen. Das sind vielleicht auch zwei der großen Anziehungspunkte beim Tauchen, die mögliche Nähe zu den Tieren, ohne dass diese flüchten wollen und das Schweben im fremden Element, ähnlich verlockend dem Fliegen hoch über der Erde.

Wir begegnen dem Strahlenfeuerfisch mit seinen langen, weißen Brustflossenstrahlen. Etwa handgroß, halten sie sich tagsüber frei unter Überhangen oder in Höhlen auf. Ihre giftigen Stacheln an Rücken- After- und Bauchflossen können bei Gefahr auch gegen Taucher eingesetzt werden.  Gleich prächtig wie sein Artgenosse ist der Indische Rotfeuerfisch, ein mit bis zu 40 Zentimeter Länge etwas größerer Bewohner des Riffs, dessen vogelflügelartige Flossen ihm beim Tauchen weit aufgefächert umgeben, während rote und schwarze Bänder von weißen Streifen unterbrochen seinen Körper gliedern.

Ein besonderer Anblick, auch wenn bei einer Körpergröße von acht Zentimetern leicht zu übersehen, ist der Flügelrossfisch: Mit seiner Körperpanzerung aus Knochenplatten, der langen Schnauze und den an Flügel erinnernden Brustflossen bewegt er sich meist auf Sand mit fingerartigen Bauchflossen vorwärts. Mich hat er an die in Panama gerne beobachteten Kolibris erinnert, wenn auch ohne die schnellen Flossenschläge…

Ein besonderes Highlight ist die eine Seewiese abweidende Grüne Schildkröte. Mit etwa eineinhalb Meter Körpergröße und weit über hundert Kilo Körpergewicht ist es wunderschön, wenn sie, von zwei Gestreiften Schiffshaltern begleitet, ruhig ihrer Tätigkeit nachgeht. Denen ihre erste Rückenflosse ist zu einer einzigartigen Saugscheibe umgebildet, so dass die sich mit Unterdruck an ihrem Wirt festsaugen können. Wir folgen dem Trio ein paar Minuten, bevor wir uns auf die Suche nach neuen Sensationen begeben.

Das fast schon surreal wirkende an diesem Tauchplatz ist seine Lage an einer mit Hotelgroßanlage bebauten Bucht. Wir stapfen in voller Montur vorbei an den von dicken Pauschaltouristen belegten Liegen ins Wasser und tauchen langsam zwischen den fahlen Beinpaaren hindurch in tiefere Gefilde. Und nach etwa einer Stunde in der Unterwasserwelt finden wir uns wieder in demselben Szenario ein, nur das inzwischen noch eine kleine Schaumparty mit schlechten Remixes populärer Tracks ihren Lauf nimmt.

Unser Nachtwächter

Die Mischung aus armen Ägyptern, meist deutschen Pauschaltouristen im Billigsektor, Bauruinen am Straßenrand, trockenen Flussbetten voller leerer Plastikflaschen und einem der größten Naturschätze unseres Planeten unter Wasser ist unbegreiflich und zeigt hervorragend die Misere eines immer wieder vom Militär regierten krisengeplagten Landes auf. Korruption und Fehlplanung treffen auf eine sehr junge Bevölkerung mit oftmals geringer Bildung. Revolution, Muslimbrüder und Konterrevolution zerfasern das Land weiter und lassen es scheinbar ziellos dahintaumeln. Oftmals fehlt es an der nötigen Planung und den geregelten Abläufen, um die vorhandene Energie zu etwas besseren zu nutzen.

An Land sind schon viele einstmals hier lebende Tiere ausgerottet, am schon an vielen Orten zerstörten Riff ist die Ausrottung leider auch in vollem Gange. Ohne strengere Reglementierungen werden die nächsten Generationen wohl nur noch wenige so intakte Korallengärten bestaunen dürfen. Das chaotische Mit- und Gegeneinander an diesem Ort finden wir in anderen Bildern vielfach auf unserer Reise wieder.

In einem Korallenriff gut getarnt liegt eine Riesenmoräne. Mit ihrer geschätzten Länge von etwa zwei Metern gehört sie zu den größeren Riffbewohnern. Braun, mit vielen dunklen, kleinen Flecken, schaut ihr massiver Kopf aus der Höhle zu uns hinaus. Als wir näherkommen, windet auch sie sich ein Stückchen weiter aus ihrem Versteck, vielleicht ein Hinweis auf ihre Wehrhaftigkeit. Riesenmuränen spüren mit dem Geruchssinn in der Dämmerung und nachts ihre Beute aus Fischen, Krebsen oder Kraken auf. Sie haben keine Brust- oder Bauchflossen. Die verschiedenen Rückenflossen sind bei Muränen zu einem durchgehenden, langen Flossensaum verbunden. Spitze, nadelförmige Fangzähne helfen beim Festhalten glitschiger Beute. Bevor wir dazugehören, tauchen wir lieber weiter.

Eine Zebramoräne, mit anderthalb Metern etwas kürzer als die Riesenmoräne, liegt zusammengerollt in einer Felsspalte. Schwarz mit weißen Streifen hat sie sich ihren Namen rein vom Muster verdient. Leider können wir den Kopf nicht sehen, aber auch so wirkt der schlangenähnliche, unterarmdicke Körper schon beeindruckend. Es ist ein protogyner Folgezwitter, kann also im Alter das Geschlecht wechseln – vielleicht ein guter Hinweis über die von der Schöpfung geschaffene Diversität der Erdbewohner in Richtung Kirche oder konservativer Politiker.

Auf dem Weg zu unserem Tauchspot am nächsten Tag zeigt uns Moussa, Tomms Tauchlehrer, wo er in El Quseir wohnt. Die kleine Hafenstadt lebt hauptsächlich vom Tourismus und in kleinem Maße von Fischerei und Phosphatabbau. Alle Hotel- und Tauchschulangestellten wohnen hier – viele andere Möglichkeiten gibt es auch in der Nähe nicht. Wir kommen auf Moussas Militärzeit zu sprechen. Jeder Mann muss in Ägypten im Militär dienen. Je nach Schulbildung sind es zwischen einem und drei Jahren. Mit geringer Ausbildung ist es am längsten, mit Hochschulreife nur ein Jahr. Moussa hat zwei Jahre abgesessen, bevor er im Goethe-Institut in Kairo Deutsch gelernt und später seine Ausbildung zum Tauchlehrer absolviert hat. Er und Tomm verstehen sich glänzend und so ist Moussa neben der Unterwasserwelt dafür verantwortlich, dass Tomm mit dem Tauchervirus infiziert wird.

Der fantastisch getarnte Fransen-Drachenkopf und sein Artgenosse der Bärtige Drachenkopf mit ihren zahlreichen Hautfransen an Kopf und Kinn sind selbst bei genauem hinsehen kaum wahrzunehmen. Ebenso geht es mir mit den im sandigen Boden lebenden Pantherbutt und der Moses-Seezunge. Gerade für solch schwer wahrnehmbaren Tiere ist ein Guide wertvoll – ohne ihn würden wir nur die Hälfte wahrnehmen. Aber auch zur Korrektur unseres Verhaltens unter Wasser und damit zum Schutz des Biotops sind die Tauchlehrer nötig.

Tomm legt seine Prüfung zum Open Water Diver ab
Die Straße von Luxor nach Dakhla ist hier besonders schlecht
Ein alter Peugeot 504
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Luxor und der Einstieg in die Zeit der Pharaonen

Um zehn Uhr wartet unser Fahrer, um uns nach Luxor zu bringen, wo wir die nächsten vier Tage verbringen möchten. Weil der kürzere Weg auf Grund der schlechten Straße zeitlich der längere ist, fahren wir erst einmal nördlich bis Safaga. Kurz vor der Stadt liegt linkerhand eine riesige Baustelle. Ramadan – er heißt so, weil er während eines Ramadans geboren wurde – erzählt uns, dass hier der neue Hafen der Stadt entsteht. Kurz vorher sind wir an einem mit LKWs vollgestopften Rastplatz vorbeigekommen. Alle warten hier auf den Transport übers Rote Meer nach Arabien, dem reichen Nachbarn. Wir biegen westwärts in Richtung Gebirge ab und stoppen an dem ersten von vier Kontrollpunkten. Unser Fahrer muss jedes Mal seine kopierte Erlaubnis abgeben, dass er Touristen transportieren darf. Seit den Jahren des Terrors sind die Regeln zwar schon wieder um einiges gelockert worden, aber dennoch ist das noch immer sehr hohe Polizeiaufkommen gewöhnungsbedürftig. Neben den Kontrollpunkten gibt es noch unzählige weitere Stellen, an denen die Polizei aus ihren Land Cruisern, immer unter einem Palmwedel-Dach geparkt, den Verkehr und das sonstige Treiben beobachten. Und wenn gerade keine Polizei in Sicht ist, passieren wir Militäranlagen. Auch das Tankstellennetz gehört dem Militär, was auch erklärt, warum der Chef seine Angestellten am frühen Morgen erst einmal in Reih und Glied antreten lässt zum Salutieren. Mit Ausnahme von zwei Jahren der gewählten Regierung der Muslimbrüderschaft unter Präsident Mursi waren es seit der Unabhängigkeit im Jahre 1957 nur vormals hohe Militärs, die das Land geführt haben. Die fortschreitende Verarmung der Bevölkerung, die schon zur Revolution 2011 führte, wirkt zusammen mit dem auch in Ägypten als populistische Lösung an Macht gewinnenden Islamismus wie eine kürzer werdende Zündschnur eines riesigen Dynamitbündels. Ich hatte Moussa gefragt, ob der Islamismus auch in der jungen Bevölkerung Rückhalt hat, und er konnte das für größere Teile bejahen. Wenn dann noch die Perspektivlosigkeit selbst gut ausgebildeter Akademiker mit der allgemein hohen Arbeitslosenquote hinzukommt, kann ich mir vorstellen, wie unsicher und vorsichtig die herrschende Klasse ist.

Der Weg durch den gebirgigen Teil unserer Fahrt ist herrlich: menschenleere Gebiete mit teils schroffen Bergspitzen und sandigen Passagen. Erst kurz vor Qina wird das braun wieder von grünen Sprenkeln durchsetzt und die Vorboten der recht großen Stadt tauchen auf. Hier sind wir nun im Nildelta, fruchtbare Felder werden zumeist in Handarbeit bestellt, Eselskarren stehen für jedweden Transport bereit. Auf der Straße beginnt ein großes Gewusel aus Bussen, Großtaxen, Ziegen, Eselskarren, Autos, Motorrädern und Fußgängern. Wie üblich sind alle Markierungen überflüssig und die Hupe entwickelt ihre einfache, aber lautstarke Sprache. Kurz vor Luxor wechseln wir auf der neuen Brücke hinüber zur Westbank, dem ländlicheren Teil der Stadt.

Von unserem Hotel aus spazieren wir die ungeteerte staubige Straße entlang. Einfache Bauernhöfe wechseln sich mit aufwendigen Villen und immer wieder größeren landwirtschaftlich genutzten Flächen ab. Hier werden neben Mais und Zuckerrohr alle möglichen Gemüsesorten angebaut. Über ein sich immer feiner verzweigendes Netzwerk von Kanälen, oftmals stattdessen inzwischen auch dicke Rohre, werden die Felder bewässert. Durch die täglich scheinende Sonne und eine fortwährende Irrigation wird rund um das Jahr gepflanzt und geerntet. Das Nildelta, eher schmal, dafür aber umso länger, kann durchaus als größter Oase der Welt bezeichnet werden. Hier wird die Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt. Die Fellachen, Ägyptens Bauern, halten neben den Eseln meist ein paar Kühe, einen Wasserbullen und etwas Federvieh. Sie sind fast immer Kleinbauern, die gerade das nötigste – und oftmals sogar weniger – erzeugen, um ihre Familie über Wasser zu halten. Viele müssen noch einen Zusatzverdienst generieren, damit die Familie überlebt.

Wir werden immer wieder angesprochen, hier im nicht kommerziellen Raum auf äußerst freundliche Weise, meistens mit einer Einladung zum obligatorischen Tee. Die ist normalerweise eher reine Höflichkeit. Zweimal aber auch nachdrücklich wiederholt, was eine gewisse Ernsthaftigkeit bedeutet. Heute ist es uns nach der längeren Fahrt nicht nach Einkehr in eines der Gehöfte, aber ich verspreche einem Mann, da er mehrmals auf einer Einladung beharrt, dass ich am nächsten Tag auf eine Tasse vorbeischaue.

Zwei kleine Mädchen, jeweils fünf Jahre alt, zeigen uns ihre Schulhefte. Beide sprechen schon einige Sätze Englisch und verstehen auch so einiges. Sie lernen die Sprache schon jetzt in ihrer Schule. Da die Nachbarschaft zwischen Villa und Bauernhof wechselt, nehme ich an, dass die kleinen Mädchen eine Privatschule besuchen. Mich fasziniert die überbordende Freundlichkeit und einmal mehr denke ich, warum bei so viel mehr Besitz viele Menschen in unserem Lande so unzufrieden sind. Wahrscheinlich ist es der soziale Zusammenhalt in dieser zumeist bäuerlichen Gemeinschaft, wo jeder auf jeden angewiesen ist, der den Unterschied macht. Oder es ist unsere Anwesenheit etwas abseits der ausgetretenen Pfade. Hier ist eine reine Wohngegend, weswegen wir eher Gast als Weihnachtsgans sind. Meist ist die Freundlichkeit in touristischen Zentren zu einer Masche zum Gelderwerb verkommen, aber hier kommt sie noch von Herzen und die kurzen Gespräche, überraschend oft auf Deutsch geführt, lassen mein Herz aufgehen. Wir schlendern in der sich der Nacht zuneigenden Dämmerung zurück zu unserem Hotel. Um Energie zu sparen, wird täglich für zwei Stunden der Strom abgedreht. In jedem Viertel geschieht dies zu einer anderen Uhrzeit. Bei uns ist es zwischen 16 und 18 Uhr. Da es um 18 Uhr schon stockfinster ist, gibt es auch wenig Option länger auf den Wegen zu spazieren. Nur die hin und wieder vorbeifahrenden Motorräder beleuchten unsere Strecke auf den letzten Metern, bevor wir unseren Schlüssel wieder im Schloss umdrehen.

Unser Fahrer holt uns pünktlich um 5 Uhr in der Nacht ab, bringt uns dann aber erst an eine Sammelstation im städtischen Nirgendwo, wohin aus allen Richtungen auch all die anderen Touristen gebracht werden. Nach einer gefühlten Ewigkeit werden dann alle so verteilt, dass die von hier zum Startplatz unserer Ballonfahrt weitergurkenden Toyota Hiace vollständig besetzt sind. Endlich setzt sich die lange Schlange in Bewegung und sogleich scheren die ersten aus und das Feld bewegt sich chaotisch weiter, bis wir nach einer kurzen Unterbodenbombenkontrolle, mit dem Handy an einem Selfiestick ausgeführt, auf eine große freie Fläche rollen dürfen. Wie die Schafe steigen aus den etwa dreißig Kleinbussen eine große Menge Chinesen und etwa zehn Rundaugen. Wir werden aufgeteilt und auf dem Feld vor den sich langsam aufblähenden Heißluftballons positioniert. Als wir einsteigen dürfen, ist es noch immer dunkel. Nur die großen Flammen, die die Luft im Ballon erhitzen, um ihn schließlich aufsteigen zu lassen, erhellen die Szenerie.

Langsam heben wir ab und alle im Ballon sind euphorisiert. Immer mehr Ballons folgen uns und schließlich sind dreißig bunte Lampions in der anbrechenden Dämmerung unterwegs. Obwohl ich die Massenabfertigung am Anfang schrecklich fand, muss ich zugeben, dass der sich uns bietende Ausblick faszinierend ist. Überall werden immer wieder die Flammen gezündet und so leuchten hier und da die Ballons immer wieder noch ein bisschen heller. Die Konturen der Landschaft heben sich weiter aus der Dunkelheit und der vorhin noch hoch am Himmel stehende Vollmond zieht sich langsam hinter die rosa scheinenden Berge zurück. Über dem Nil steigt dafür die Sonne als roter Ball den Himmel hinauf. Die unter uns liegenden Felder kleiden sich mit jeder Minute in stärker hervortretendes Grün. Die Kühle der ausklingenden Nacht vermischt sich mit der Wärme des Flammenwerfers. Anke weint, gerührt von dem herrlichen Bild. Die Romantik des Augenblicks ist auch durch die mitreisenden Touristen und die hin und hergeschwenkten Handys nicht zu vertreiben.

Bis auf über 150m steigt der Ballon, fällt zwischenzeitlich auch einmal auf unter zwanzig Meter, so dass wir das Nildelta und den angrenzenden Wüstensaum aus verschiedenen Perspektiven aufnehmen dürfen. Da ein Ballon nur durch die Höhe und das damit verbundene erreichen verschiedener Luftschichten gesteuert werden kann, ist die Landung immer ein bisschen Glückssache. Wir scheinen auf einem der vielen Felder niederzugehen, aber unser Kapitän wirft eine lange Leine über Bord und dann sehe ich auch das heranbrausende Team aus mehreren Helfern, die versuchen den Ballon Richtung Landeplatz zu ziehen. Während wir ruhig dahingondeln, laufen sie hektisch über die schmalen Dämme zwischen den Feldern, um uns unter Mengen von Schweißtropfen und mit dem Geschick des Kapitäns perfekt gezirkelt wieder auf dem Boden festzuzurren. Alle geben einen Obolus für das Team, auch dankbar, nicht mit dem Korb über unebenen Boden geschliffen worden zu sein.

Das Tal der Könige ist vegetationslose Geröllwüste. Hier wurden Dutzende Pharaonen in größtenteils gut getarnten Stollen bestattet. Die Gruften führen über mal steile, mal sanft abfallende Gänge bis zur ehemals den mumifizierten Herrscher im Sarkophag beherbergenden Grabkammer hinab. Die rechtwinkligen, verputzten Zugänge sind reich verziert mit Gemälden der Götter, Bildfolgen über den Weg vom Leben in den Tod und in Hieroglyphen niedergeschriebenen Geschichten. Über dreitausend Jahre alte Darstellungen, zweidimensional gezeichnet, gaukeln durch die verschieden tiefen Einritzungen in den Putz Dreidimensionalität vor. Während die ersten Höhlen viel besucht werden und sich die Touristen zu Selfies vor den Wänden anordnen, sind weiter oben im Tal kaum noch Menschen anzutreffen. Da jeder Besucher im Eintrittspreis den Besuch von drei Gruften inkludiert hat, besuchen wir nach der Erfahrung in den Gängen von Ramses IX zwei eher ruhige Grabkammern am Ende des Tales. Unser Gefühl ist, je weiter wir in dem insgesamt nicht sehr langen Tal voranschreiten, um so mehr schreitet auch die Korruption voran. In der dritten besuchten Gruft werden unsere Karten schon gar nicht mehr abgeknipst, dafür möchte uns der in sehr schlechtem Englisch eine kleine Führung gebende Wächter schon die Wände abtasten lassen, damit wir den Unterschied zwischen den verschiedenen Oberflächen wahrnehmen. Das lehnen wir ab, denn selbst die Luftfeuchtigkeit durch den Atem der Besucher reicht schon zur fortschreitenden Zerstörung der wertvollen Wandbilder, das Berühren mit den Fingern würde den Vorgang noch deutlich verschnellern. Zwischendurch zieht er noch ein Weihwasser Fläschchen mit dem Konterfei eines uns unbekannten Popen heraus, dass er Anke für ihr Seelenwohl anbietet. Wahrscheinlich ist der Lohn so schlecht, dass jedes ägyptische Pfund gerne genommen wird, damit die Familie ein lebenswertes Dasein hat. Das darunter die Ehrfurcht vor dem archäologischen Erbe leidet ist bedauernswert. Aber sollten wir hier ein Exempel statuieren und den armen, auch noch freundlichen Mann melden? Am System würde das gar nichts ändern. Der Fisch stinkt vom Kopf her…

Der Pferdehof päppelt misshandelte Pferde auf

Am Abend suche ich uns über Google Maps noch eine Runde zum Nil und über einen anderen Weg zurück zum Hotel heraus. Der Mann, dem ich versprochen hatte vorbeizuschauen ist leider nicht da. Schade, denn es wäre eines der architektonisch interessantesten Häuser gewesen und mich hätte es gefreut, etwas über seine Geschichte zu hören.

Wir kommen an einer Koppel mit einigen Pferden vorbei. Aus dem Stall schaut durch ein großes Loch in der Außenmauer ein weiterer Gaul hinaus. Drei Männer striegeln die Tiere und legen ihnen Zaumzeug an. Eine Frau geht den Weg entlang und zieht ihre Reiterkappe auf. Sie kommt auf uns zu und erzählt, dass der Pferdehof kranke und schlecht behandelte Pferde aufnimmt, die dann wieder aufgepäppelt werden. Auf dem Handy eines neben ihr stehenden Manns sehen wir Fotos von mehreren der auf der Koppel stehenden Pferde vor ihrer Übernahme. Blutende Striemen, schwelende Wunden und Unterernährung sind zu sehen. Nun scheinen die Tiere gutgenährt und gesund. Ich rechne damit, auf eine Spende angesprochen zu werden. Das passiert aber nicht. Wir reden noch ein bisschen und ziehen dann weiter. Auch uns sind schon einige sehr dünne, scheinbar kränkelnde Tiere aufgefallen. Wahrscheinlich ist der Luxus, auf ihre Arbeitskraft zu verzichten, nicht erschwinglich, so dass die Tiere wohl oft bis zum Zusammenbruch genutzt werden. Allerdings fällt uns auch auf, dass die Gerte bei Kamel und Pferd von manchen unnötig benutzt wird.

In der Abendstimmung liegt der Nil vor uns. Ungezählte Segel blähen sich im Wind, ein kleines Partyboot wummert vorbei und auf der gegenüberliegenden Seite liegt das städtische Luxor. Ein Wasserbüffel grast an unserer Uferseite und etwas weiter hinten sehe ich eine Gruppe Kinder vor der untergehenden Sonne spielen. Ich spaziere in ihre Richtung und als sie mich entdecken, kommen sie schreiend angelaufen. Wir haben ein paar Minuten Spaß, es gibt eine kleine Fotosession und ich werde, als ich für Portraits niederknie, immer wieder an meinen spärlichen Haupthaaren geziept. Anke und Tomm kommen hinzu und so wird Tomm für ein Gruppenfoto in ihre Mitte aufgenommen. Zwei Reiter auf feurigen Pferden schießen einen Acker immer wieder pfeilschnell auf und ab. Das Sattelzeug ist reich bestickt und die beiden offensichtlich stolz auf ihre schönen Tiere. Auf dem Weg am Nil entlang entfliehen wir den vielen Angeboten der Restaurant-Hineinreder und nehmen, als es vollständig dunkel wird, zurück auf der Hauptstraße ein Tuk-Tuk für die letzten Kilometer.

Auf dem Weg zur einzigen Nilfähre werden wir von gefühlt allen Motorbootbesitzern angesprochen und mit „Guter Preis“-Angeboten für die Flussquerung überhäuft. Wir bleiben standhaft, auch wenn die Preise kaum höher sind als die der offiziellen Fähre. Auf den Holzbänken des Oberdecks genießen wir die kurze Fahrt bis zum Anleger auf der Stadtseite. Vor dem Bau der neuen Brücke am nördlichen Ende der Stadt gab es nur die etwa acht Kilometer südlich liegende zur Kreuzung des Flusses. So ist die Fähre eine wichtige Verbindung zwischen East- und West Bank.

Wir spazieren die Corniche entlang bis zu einem auf der Seite liegenden Nilkreuzfahrtschiff. Ein Bagger versucht das offensichtlich schon vor längerer Zeit gekenterte große Schiff freizugraben. Um auf die seit kurzem freigegebene Allee der Widder-Sphinxe zu gelangen, wenden wir uns vom Nil stadteinwärts. Es ist ein sehr warmer Tag, die Allee kommt nicht in Sicht und so geben wir nach kurzer Zeit klein bei. Ich stoppe ein Sammeltaxi und nachdem ich mich versichert habe, dass es zum Karnak Tempel fährt, steigen wir ein.

Ein gekentertes Nil-Kreuzfahrtschiff

Der Tempel ist voll mit Schulklassen und Touristen. Trotzdem beeindrucken uns die hohen Mauern und die hundertvierunddreißig Säulen in der Säulenhalle. Abseits der Hauptwege ist es ruhiger und wir können die Atmosphäre eher genießen. Über einen Zeitraum von zweitausend Jahren war der Tempel das größte Heiligtum des alten Theben, zahlreiche Pharaonen haben hier immer wieder Teile ergänzt, altes umgebaut oder auch abgerissen. Es ist schwer, bei solchen Menschenmengen dem Ort gerecht werden zu können, phasenweise aber kann ich mich in die Vergangenheit hineinfühlen, in das rege Leben auf dem ersten, dem einfachen Volk geöffneten Platz und dann, weiter im inneren der heutigen Ruinenstätte, das den Hohepriestern und hochgestellten Persönlichkeiten des Staates vorbehaltene Heiligste. Hier wurde über Politik, über Menschenleben und Schicksale debattiert und entschieden. Schade, dass selbst hier, an entlegenen Stellen des Tempels, sich der Müll stapelt. Bei Eintrittsgeldern von fünfzehn Euro pro Person sollte eine funktionierende Entsorgung an solch einem Nationalmonument gewährleistet sein.

Heute wird im Karnak-Tempel mit Motorkraft gehoben

Wir besorgen uns ein altes Peugeot 504 Taxi von 1979, dass uns zu einem am anderen Ende der Stadt liegenden Teil der Innenstadt fahren soll. Ich lasse es mir nicht nehmen ein Foto von Fahrer und Gefährt zu schießen und löse damit eine kleine Welle von Kommentaren über das heute, nach fast fünfzig Jahren, noch oft zu sehende Nutzfahrzeug aus Frankreich aus. Der Siebensitzer ist schon lange jenseits der Millionengrenze. Außen wird er nur durch Liebe und Nachlackierung zusammengehalten, innen ist kaum noch etwas fest am angestammten Platz. Die durchgehende Vordersitzbank wackelt in jeder Kurve bedenklich und das ganze Chassis ächzt dazu im Takt. Trotzdem oder deswegen ist es ein schönes Gefühl in solch einer Afrika-Legende dahinzuschippern.

Als wir eine ganze Armada von Abd al-Fattah as-Sisi Plakaten passieren, frage ich den Fahrer nach seiner Meinung zum seit 2014 durch einen Militärputsch im Jahr zuvor an die Macht gekommenen Präsidenten. Nach einem zweideutig-eindeutigen Blick bricht die Frustration aus ihm heraus. Nicht nur die schon des Öfteren versprochenen und seit nunmehr neun Jahren immer wieder verschobenen fairen Wahlen, sondern vor allem die andauernde Talfahrt der Wirtschaft, die Korruption und die Verarmung werden als Kritikpunkte genannt. Unser Taxifahrer ist hauptberuflich Arabischlehrer, kann davon aber seine Familie nicht ernähren. Er zählt den Ingenieur, den Architekten und andere Akademikerberufe auf, die alle im Dienstgewerbe etwas dazu verdienen müssen. Teilweise erinnert mich das an Geschichten gebildeter Kubaner, die auf Grund des Dollar-Wechselkurses als Taxifahrer mehr verdienen denn als Arzt.

Das angepeilte Restaurant finden wir trotz mehrfachen Nachfragens nicht, so dass wir uns stattdessen für eine Pause mit Snack in unserem Hotel entscheiden, bevor wir in der Abenddämmerung mit einer Feluke, einem traditionellen ägyptischen Segelboot, eine kleine Ausfahrt über den Nil machen möchten. Auf unserer Dachterrasse genießen wir die milde Wintersonne, musikalisch untermalt durch ägyptischen Pop, von einem der Nachbargrundstücke herüberschallend. Später wird eine Predigt mit ihrer besonderen Betonung, halb Gesang halb gesprochenes Wort, abgespielt und wir fühlen uns im Morgenland pudelwohl.

Der Übergang von bewässerten Feldern zur Wüste
Die Sonne geht über dem Nil auf
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Luxor und das Nildelta

Die Segel sind schnell gesetzt und innerhalb kürzester Zeit ziehen die beiden Ufer an uns vorbei und der Wind weht um unsere Nasen. Mit jeder Minute werden mehr Segel aufgezogen und eine stetig anwachsende Anzahl Boote zieht stromaufwärts über den Fluss. Ähnlich dem Flug der Ballone ist auch diese Ballung von touristischer Infrastruktur - im Gegensatz zu den Besuchermaßen des Tempels - ein herrliches Bild, dazu noch umweltverträglich und das Geld in viele gebeutelte Taschen fließen lassend. Unser Kapitän und sein Gehilfe sind sehr entspannt. Tomm schläft nach kurzer Zeit auf seinem Polster für ein kurzes Nickerchen ein, während ich nach Motiven und den richtigen Fotoausschnitten suche. Anke genießt den Fahrtwind und schaut der Sonne bei ihrem langsamen Sinkflug zu.

Es wird Tee gereicht, natürlich schwarzer, aromatischer, mit den Teeblättern im Glas verbleibend. Das vergesse ich am Ende und so spucke ich den letzten zähen Schluck zur Erheiterung der anderen prustend über Bord. Zusammen mit den vielleicht fünfzig weiteren Feluken freuen wir uns über diese wunderbare Verschnaufpause vom Staub und Gehassel der Stadt. Auf meine Frage, ob er jeden Tag am Abend Menschen hinaussegele, antwortet Khaled, dass dies seine erste Fahrt seit einer Woche ist. Viele Touristen bleiben dem Land wegen Gaza-Krieg und dem Beschuss von Containerschiffen durch die islamistischen Huthi Rebellen im Roten Meer fern. Sie fühlen sich durch die zunehmend unsichere Lage in Nahost auch in Ägypten nicht ausreichend sicher. Einmal mehr bricht die Einnahmequelle vieler Ägypter über einen längeren Zeitraum ein. Wie diese gebeutelten Menschen es schaffen ihre Dauerkrise zu meistern ist mir des Öfteren ein Rätsel.

Am nächsten Vormittag halten wir wieder ein Sammeltaxi an, auch weil uns die Taxifahrer und die Kutscher mit ihren Belagerungen auf den Geist gehen. Als wir einsteigen, setzt sich Anke neben eine junge Frau. Die lässt es sich nicht nehmen unsere Fahrt zu bezahlen. Sie erzählt Anke, dass sie aus Izmir in der Türkei stammt und hier als Fremdenführerin arbeitet. Anke ahnt die nächste Geschäftsanbahnung und versichert direkt, wir bräuchten keinen Guide. Langsam sind wir wund von dem ständigen Ansprechen durch unzählige vom Tourismus lebende Ägypter. Die Frau lacht aber nur belustigt und erwidert, dass sie auch momentan niemanden führen möchte. So unterhalten sich die beiden angeregt, bis wir in der Nähe des Luxor-Museum aussteigen wollen. Anke ist, genau wie ich, gerührt von der lieben Geste, besonders nach der gerade zuvor angetretenen Flucht vor den aufdringlichen Taxifahrern.

Wir standen heute Morgen schon einmal vor dem Kassenhäuschen, mussten aber wieder gehen, weil die einzig mögliche Bezahlart per Kreditkarte an dem nicht funktionierenden Lesegerät scheiterte. Jetzt klappt alles und nach dem hier üblichen, mit dem am Flughafen vergleichbaren, Sicherheitscheck betreten wir den Vorhof. Ich muss lachen, weil es geradeaus erst einmal in den Museumsshop geht und der kleine, nach links weisende Hinweispfeil „Museum“ sorgfältig hinter einer großen Topfpflanze versteckt wurde. Das Museum selbst enthält eine sorgfältig und schön präsentierte Sammlung von Funden aus dem Tal der Könige und den beiden großen Tempeln. Für uns Laien ist sie interessanter als die vorher angeschauten Stätten, weil sie neben den angebrachten Erklärungen auch durch die beeindruckend gearbeiteten Exponate vollständig überzeugen kann. Welch eine Hochkultur in so zahlreichen Bereichen so früh in der Menschheitsgeschichte!

In der Eingangshalle des Luxor Museum

Am Abend möchten wir etwas Abwechslung in unseren Speiseplan bringen und entscheiden uns von der Westbank ein Boot zu mieten, dass uns stromaufwärts ins luxuriöse Steigenberger Hotel und dessen gelobtes Thai-Restaurant tuckert. Nach zähen Verhandlungen einigen wir uns auf einen uns angemessenen erscheinenden Touristen-Preis. Der Bootsbesitzer erinnert Anke und mich an ihren ersten Ehemann Ulf. Wir tauschen uns über die Familien aus. Er hat fünf Kinder, drei Söhne und zwei Töchter, möchte aber gerne noch mehr. Seine Eltern zeugten dreizehn Nachkommen, also ist noch genug Luft nach oben. Meine Versuche ihn auf die Problematik der Bevölkerungsexplosion anzusprechen, rufen absolutes Unverständnis hervor. Stattdessen erklärt er mir die unbestreitbaren Vorteile der großen Verwandtschaft: Ist man krank, kümmern sich alle. Verdient man kein Geld, helfen einem alle. Wird man alt, besuchen einen alle. Die Last des Alltags und auch die soziale Absicherung verteilen sich auf mehr Schultern. Für ihn als Nachfahre eines aus dem Sudan eingewanderten Vaters und einer ägyptischen Mutter ist Luxor der Bauchnabel der Welt. Die Idee, in die Fremde zu ziehen, ob als Reisender oder Arbeitssuchender, liegt ihm fern. Er spricht ein gutes Englisch, was die Bootstour zu einer schönen Schulung über ägyptisches Verständnis für uns werden lässt. Wir merken, dass ein sehr wacher Charakter vor uns sitzt und staunen, als er erzählt, dass er niemals eine Schule von innen gesehen hat, weder lesen noch schreiben kann. Seine gesamten Englischkenntnisse stammen aus dem Zuhören der Gespräche seiner Kunden und dem Versuch, das gehörte anzuwenden. Schon seit dem Kindesalter arbeitet er im Tourismussektor und auch sein ältester Sohn besitzt nun schon ein Boot, um Menschen über den Nil zu fahren. Es ist, wieder einmal, eine Lektion über Zufriedenheit - und auch über unsere höchst konträren Ansichten zum zügigen Bevölkerungswachstum. Aus seiner Sicht gesehen muss ich das durchaus akzeptieren. Familie ist das höchste Gut und letztendlich die einzige Sicherheit, solange der Staat nicht für ein funktionierendes Sozialsystem und Bildung – vor allem für die Frauen – sorgt. Ägypten hat mit fast drei Kindern pro Paar eine mehr als doppelt so hohe Geburtenrate wie Deutschland. Im ländlichen Raum liegt diese noch deutlich höher. So wächst die ägyptische Bevölkerung auch trotz niedrigerer Lebenserwartung ungebrochen stark an. Die daraus, auch für die Zukunft, weiterwachsenden Probleme sind schon jetzt deutlich zu sehen, das Glück unseres Bootsführers über seine Kinder allerdings auch.

Zufriedener Familienmensch

Nach dem Essen wollen wir uns noch eine architektonische Einmaligkeit anschauen: In den Luxor-Tempel ist wie ein Sporn eine Moschee hineingebaut worden. Dabei haben die Bauherren Elemente des alten Tempels als Wände in die neue Moschee integriert. Es ist Freitagabend und auf dem Vorplatz der Moschee sind einige Verkaufsstände mit Plunder aufgebaut. Es werden auch kleine Elektrofahrzeuge an die Kinder vermietet, so dass es verkehrstechnisch anspruchsvoll für einen autofreien Platz ist. Jede Menge Menschen sind vor und in der Moschee, Freitag ist Moscheetag. Wir steigen die Treppenstufen hinauf und ziehen unsere Schuhe vor dem Eingangstor aus. Ein Polizist und einer der Wächter sind uns behilflich und räumen uns in einer Art Schuhschrank drei Fächer nebeneinander frei. Anke zieht sich statt Kopftuch die Kapuze ihrer Daunenjacke über und fühlt sich so ebenso wenig richtig wohl wie Tomm. Auch ich bin noch nie an einem Freitagabend in einer Moschee gewesen und obwohl wir zwar neugierig oder auch überrascht, aber keineswegs feindselig angeschaut werden, kann auch ich die Situation kaum einschätzen. Der Wächter winkt uns aber hinter sich her und so folgen wir ihm rechts am Hauptraum vorbei in einen schmalen Nebenraum. Ein paar Männer verrichten knieend ihre Gebete. Wir bekommen gezeigt, wo mit Hieroglyphen verzierte Wände an die einstmals neu erbauten des Gebäudes anschließen. Das hat nichts mit der großartigen Alhambra zu tun, wo eine Kathedrale in eine Moschee eingefügt wurde, ist aber trotzdem sehr interessant und irgendwie kurios. Wir werden noch in ein angeschlossenes Büro geführt, weil auch hier eine alte Tempelwand die Längsseite stellt.

Eine Wand aus der Pharaonenzeit ist in die Moschee integriert

Der Wächter wird etwas hektisch und fordert freundlich und ein bisschen unterwürfig ein Bakschisch ein. Meinen Zwanzigpfundschein will er nicht und so gebe ich die verlangte Euromünze. Ich muss wegen des Jahrmarkts auf dem Vorplatz und dem Gebaren unseres Führers an Jesus und die Pfandleiher denken.  Anke ist es viel zu warm unter ihrer Daunenkapuze und sie geht zurück zu ihren Schuhen, während Tomm und ich noch zur anderen Seite wechseln, von der aus wir einen hervorragenden Blick auf die abends erleuchteten Statuen des Luxor-Tempels genießen. Tomm fühlt sich aber nun auch sichtlich unwohl, weil er die Situation nicht einschätzen kann und er die Gläubigen keinesfalls bei ihrem Gebet stören möchte. So lehnen wir dankend ab, als ein Polizist uns mit einladender Geste noch in den Hauptraum geleiten möchte. Stattdessen ziehen wir unsere Schuhe wieder an und schlendern, uns über das Erlebte austauschend, langsam in Richtung Fähre.

Gerne werden die alten deutschen Nummernschilder am Auto gelassen
Brotbackofen vor Wäsche
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Dakhla und die Weiße Wüste

Schon auf den ersten Metern Richtung Dakhla Oase merken wir, dass Muhammed das Herz eines Rennfahrers besitzt. Wir halten noch an einem Geldautomaten, holen das Maximum an Geld raus, stoppen aber trotzdem noch an einem anderen, da wir unser Hotel in der Oase in bar bezahlen müssen. Leider fällt genau in diesem Moment, wieder einmal, der Strom aus und wir sind froh, dass der Automat noch unsere Karte ausspuckt.

Muhammed überholt alle und bremst nur an den zahlreichen Hubbeln, um danach um so zügiger wieder Gas zu geben. Schon an der ersten von vielen Polizeikontrollen läuft es nicht wie vom Fahrer erhofft. Der Geldschein in seiner Hand wechselt nicht den Besitzer, stattdessen muss er aussteigen und seine Papiere werden eingehend überprüft. Unsere Sorge, dass hier unsere Wüstentour schon beendet ist, bestätigt sich zum Glück nicht und so biegen wir kurze Zeit später auf die New Valley Road ab. Fast übergangslos verlassen wir das grüne Nildelta und fahren in die braune Geröllwüste. Meistenteils geht es zügig voran, manchmal wird der Asphalt allerdings auch so schlecht, dass unser Fahrer nur wild am Lenkrad kurbelnd um die teils riesigen Schlaglöcher und den von der Sonne aufgeworfenen Teer herumfahren kann. Kurz vor der ersten Oase, Kharga, winken uns die Polizisten heraus. Unsere Pässe werden eingesammelt und fotografiert und von hier bis zu unserer Lodge bekommen wir eine Polizeipatrouille an unsere Seite. Längere Zeit waren die westlich des Nils liegenden Wüsten für Touristen gesperrt. Auch jetzt ist die Lage scheinbar weiterhin unsicher. Libyen ist ein „Failed State“ und große Teile auch der ägyptischen Wüste sind Schmuggler- und Terroristengebiet. Muhammed lässt sich durch die Polizei aber nicht von seinem Tempo abbringen und so überholen wir deren Auto schon nach kürzester Zeit. Mehrmals erhält er danach Anrufe und muss immer wieder langsamer fahren oder warten. Alle hundert Kilometer wechselt die uns begleitende Polizeistreife. Die eine kehrt um und die aus unserer Zielrichtung kommende übernimmt die Aufgabe. Nach dem siebten Anruf und der immer gleichen Aufforderung langsam zu fahren, setzt sich die Streife vor uns. Auch sie hat keine Probleme mit hundert Stundenkilometern dahinzufliegen, aber Muhammed ist das zu langsam und so liefern sie sich ein Rennen durch die Wüste. Immer wieder bei vollem Tempo bis auf unter einen Meter auffahrend, scheucht er die Polizisten voran. Die fahren dafür durch die Ortschaften mit Blaulicht und Sirene, halten uns den Weg frei. Wir kommen uns wie in einer Actionfilmszene vor, nur das hier die Polizei verfolgt wird. In Deutschland wäre jetzt schon lange der Führerschein eingezogen. Hier geht es aber irrwitzig weiter und letztendlich werden die Polizisten wieder von Muhammed überholt und abgehängt. In Al Quasr zieht vor uns eine Menschenmenge von vielleicht fünfhundert Teilnehmern einem Sarg hinterher durch die Straßen in Richtung Friedhof. Der Sarg wird von sechs Trägern auf den Schultern balanciert. Dann folgen zuerst die Männer und anschließend die Frauen. Alle sind in Schwarz gekleidet. Uns erreicht ein letzter Anruf und wieder warten wir kurz vor unserem Ziel, damit die Polizei als Erster und mit Sirene an unserem Hotel vorfahren kann. Am Tresen müssen wir dann noch eine Erklärung schreiben, dass wir uns sicher fühlen, sonst würden wir auf unserer gesamten Wüstentour weiterhin mit Patrouille unterwegs sein.

Wir verfolgen die Polizei

Wir spazieren von unserem Hotelhügel hinab in die Kleinstadt Al Quasr, die zur Dakhla Oase gehört. Nach kurzer Zeit verfolgt uns eine anwachsende Gruppe von Kindern. Wir sind, wie immer an ländlichen, nicht zu touristischen Orten, eine kleine Sensation oder zumindest eine gute Abwechslung. Leider ist, auch wie fast immer, nur eine sehr rudimentäre Unterhaltung möglich. Eine junge schüchterne Frau im Kreis ihrer Familie traut sich ein paar Worte an Anke zu richten. Letztendlich bleibt auf allen Seiten zumindest ein gutes Gefühl zurück.

Alles wird repariert

Beim örtlichen Lebensmittelladen kaufen wir uns noch unseren Mittagsimbiss aus Industrieweißbrot, leckeren Oliven und einem kräftigen Ziegenkäse zusammen. Zwei Flaschen Wasser runden den Einkauf ab. Eigentlich wollen wir noch einen kurzen Blick in die Altstadt werfen, aber angeblich sollen wir ein Ticket kaufen. Weil der Ort sowieso hauptsächlich aus Ruinen besteht, wir aber vor allem noch ein bisschen müde sind, lehnen wir dankend ab. Mir sind noch die Sätze in Erinnerung, die ich in einem alten Reiseführer gelesen habe: Den verbleibenden Einwohnern wurde laut deren Aussage der Anschluss an das Wasser- und Stromnetz verweigert, um sie so zum Gehen zu „überreden“. Heute wohnen nur noch sehr wenige Menschen in dem Teil, der früher die Karawanen nach ihrer zwischen vierzig und neunzig Tage langen Wanderung durch die Wüste empfing. So ist die Altstadt weder bewohnbar, noch wird genug getan, um sie zu einer Art Freilichtmuseum aufzubauen. Wir klettern abseits des Weges über eine steile Sandpassage wieder zur Desert Lodge hinauf und machen es uns im Schatten mit unseren Einkäufen bequem.

Produktpiraterie?

Nachdem der rote Ball der Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, spielen wir eine Runde Tischtennis. Achmed, ein junger Lodge Angestellter, hat sich in den Spieleraum zurückgezogen, um ungestört ein paar WhatsApp lesen und beantworten zu können. Auf unsere Aufforderung hin gesellt er sich zu uns und wir spielen alt gegen jung ein spannendes Doppel. Heute ist Sylvester, Achmed antwortet auf meine Frage, dass in der Stadt aber keine Feierlichkeiten stattfinden werden. Nach dem muslimischen Kalender schreiben wir das Jahr 1445 und der Jahreswechsel dauert noch einige Monate. Allerdings benutzt auch die islamische Welt seit ungefähr hundert Jahren den Gregorianischen Kalender, der traditionelle Mondkalender ist den religiösen Zwecken vorbehalten. So wird der Ramadan nach ihm berechnet und das Jahr verschiebt sich wegen des kürzeren Mondjahres jeweils um zehn bis zwölf Tage nach vorne. Für uns wird es ein ruhiger und kurzer Silvesterabend. Hätte Tomm nicht den Wecker gestellt, so wäre keiner von uns um Mitternacht wach. So wünschen Anke und ich uns kurz ein frohes neues Jahr während Tomm den Wechsel ruhig schnaufend verschläft…

Ruinen in der Altstadt von Al Quasr

Mohsen sammelt uns pünktlich ein und fährt in knapp vier Stunden über die Landepisten breite, neu erstellte Straße. Sogar die weißen Markierungen fehlen noch. Hier passen fünf bis sechs Spuren nebeneinander, aber es begegnen uns nur etwa hundert Lastwagen und eine Hand voll PKWs auf den Vierhundert Kilometern bis zu unserem Übergabepunkt am Crystal Mountain. Später sollen wir erfahren, dass die Straße tatsächlich auch für die Landung von Flugzeugen geplant wurde. Zwischen Kairo und Dakhla, einer Strecke von achthundert Kilometern, gibt es keinen Flughafen. Für Notfälle oder zu militärischen Zwecken wird dann die Straße umfunktioniert.

Freundliche Familie

Ich frage Mohsen, was die Menschen hier mit den ganzen Tauben anstellen, weil uns in jeder Siedlung die konischen Lehmtürme mit rausstehenden Hölzern kurz unter der oberen Rundung und den vielen Löchern auffallen. Die Leute, so erzählt er, züchten die Tauben für den Verzehr und Verkauf. Und dann berichtet er von einem noch heute lebendigen Brauch, nach dem die Mutter der Braut vierzig schon ausgenommene Tauben zur Hochzeitsnacht dem Brautpaar überreicht. Die werden dann sukzessive an den nächsten Tagen verspeist. Wir sprechen ein wenig über Hochzeit und Ehe. Mohsen ist in seinen Ansichten recht fortschrittlich und er ist ein gebildeter Mann. Als „Manager of New Valley Tourism Authority“ kennt er sich in der Geschichte der Oasen gut aus. Er berichtet über die leider noch oft vorkommende Ungerechtigkeit, dass Witwer zwar wieder heiraten, die oft wegen ihrer Heirat mit älteren Männern jung verwitweten Frauen aber bei einem Veto der Kinder fortan ohne Ehepartner leben sollen. Um der Ächtung durch die Gesellschaft zu entgehen, bleibt nur der Wegzug in eine weiter entfernt liegende Gegend, um mit einem anderen Mann zusammenleben zu können. Anke möchte wissen, ob es Schulpflicht gibt. Laut Mohsen müssen alle Kinder die Schule besuchen und in den Oasen funktioniert das auch ganz gut. Auch, weil es kaum Touristen gibt, die durch ihre Anwesenheit genug Arbeit schaffen, damit auch die Kinder zum Unterhalt der Familien beitragen könnten. Mädchen und Jungen besuchen bis zum fünfzehnten Lebensjahr gemeinsam eine Schule, danach wird in nach Geschlechtern getrennten Schulen unterrichtet.

Taubenturm

Und dann erzählt er uns noch die Geschichte mit der Fledermaus: Wenn eine Frau nach längerer Zeit in der Ehe nicht schwanger wird, geht sie in der Moschee mehrmals um eine bestimmte Säule. Dann tritt ein Mann aus dem Schatten und hält ihr eine vorher versteckte Fledermaus ins Gesicht. Die Reaktion soll dann im Körper eine Veränderung herbeiführen, so dass nun der Schwangerschaft nichts mehr im Wege steht. Und die Moral von der Geschicht´, Intelligenz schützt vor Aberglauben nicht.

Wir erzählen Mohsen von dem Beerdigungszug bei unserer Ankunft und erfahren von der schönen Tradition, dass die Familie eines Verstorbenen weder für den Sarg noch für sonstige Ausgaben der Beerdigung aufkommen muss. Die Gemeinschaft sorgt sich um alles, auch um das Essen für die Zurückgebliebenen in der Zeit nach der Trauerfeier. So wird die kurzfristig hohe finanzielle und seelische Last auf die Gemeinschaft umgelegt und über die Jahre in kleinen, verträglichen Raten wieder eingefordert.

Mohsen und ich unterhalten uns über den New Valley Deal, dessen Aufgabe die Neuansiedlung von Familien aus dem Nildelta war und ist. Durch die Bohrung von bis zu siebenhundert Meter tiefen Brunnen wird das Grundwasser angezapft um somit die Wüste als Agrarfläche benutzen zu können. Leider fallen durch den entstehenden Sog oftmals die alten, traditionellen Brunnen trocken und es kommt zu Eindellungen, die Häuser und Wege gefährden. Am Anfang bekamen die neuen Siedler sogar ein Haus und das Grundstück vom Staat geschenkt. Kein Wunder, dass viele dem Ruf folgten und ihr Glück versuchten. Aber die schwierigen Bedingungen und die Probleme der Pumpen mit dem eisenhaltigen Wasser führten schon bald bei vielen der Neuankömmlinge zur Aufgabe. Nur Edelstahlpumpen trotzen der Zusammensetzung des aggressiven Wassers. Doch selbst den tiefen Brunnen gibt Mohsen nur eine Dauer von vierzig Jahren bevor das Grundwasser erschöpft ist. Heute und mit der neuen, die Abstände verkürzenden Straße sehen wir an vielen Stellen angefangene Projekte. Auch soll ein im Bau befindlicher Kanal Nilwasser in die westlichen Oasen bringen und, deshalb der Name „New Valley Project“, mit dem dann voraussichtlich gesicherten Wasser ein zweites Niltal entstehen lassen. Über die immer bei solchen Mammutprojekten entstehenden neuen Probleme wird möglichst wenig geredet.

Aufgemaltes geometrisches Muster auf Hauswand

Am Crystal Mountain, einem aus Bergkristall bestehenden Felsen, treffen wir Aref, unseren Fahrer für die nächsten zwei Tage. Mit seinem 89er Toyota Land Cruiser Kombi wird er mit uns in die Weiße und die Schwarze Wüste fahren. Die Koffer werden auf dem Dach befestigt und dann geht es von nun an Offroad weiter. Der Wagen hat über eine halbe Million Kilometer auf dem Tacho und Aref, der ihn vor zwanzig Jahren gekauft hat, erzählt, dass fast jedes Teil schon einmal ersetzt wurde. Der ständige Einsatz in schwierigem Gelände fordert seinen Tribut…

Crystal Mountain

Nach einem leckeren Mittagsimbiss werden wir tiefer in die Wüste entführt. Tiefe Sandpassagen fordern Ross und Reiter alles ab. Immer wieder wird während der Fahrt die Untersetzung zugeschaltet, um bei längeren Anstiegen durch das weiche Material hindurchzupflügen. Kurz vor Erreichen unseres heutigen Übernachtungsplatzes bleiben wir dann doch noch einmal stecken. Aref schraubt die Sandbleche vom Dachgepäckträger, entfernt den vor den Reifen liegenden Sand und sticht die Bleche leicht unter die Hinterreifen. Beim ersten Versuch bleiben wir direkt wieder stecken. Ich stoppe meine Fotodokumentation und helfe beim erneuten Anbringen. Der zweite Anlauf ist erfolgreich. Wir fördern die im Sand versenkten Bleche wieder zutage und erreichen anschließend ohne weitere Probleme den Nachtplatz. Das Auto wird nach der Sonne und dem Wind ausgerichtet. Jeder Handgriff Arefs sitzt. Nach kurzer Zeit steht eine buntgemusterte Wand vor dem Auto. Zwei blaue Wollteppiche werden ausgelegt und mehrere rote Matten darauf. Ein niedriger Tisch vervollständigt die Sitzecke. Am Rand wird ein dreiflammiger Gasherd postiert und allerlei Boxen mit Esswaren dazu. Ein Karton wird mit Plastiktüte zum Mülleimer umfunktioniert und so steht auch die Küche. Ein paar Meter weiter nach vorne wird das Brennholz gelegt, die Grillroste daneben und zwei Steine als spätere Ablage für das Rost gesucht. Die Motorhaube wird hochgestellt und an die Batterie ein langes Stromkabel mit einer Glühbirne angeschlossen. Noch steht die Sonne eine Handbreit über dem Horizont, aber das geht jetzt schnell und so können wir nachher noch etwas spielen oder lesen. Der riesige silberne Teekessel wird aufgesetzt und Aref beginnt mit den Schnibbelarbeiten für das Abendessen. Schon nach kurzer Zeit brutzeln die Zwiebeln, lecker riechend, in der Pfanne. Das Feuer wird entfacht, um später die Hühnchen zu braten. Wir dürfen in der Zwischenzeit unseren Bedürfnissen nachgehen. Ich spaziere durch die wunderschöne Landschaft. Zeugenberge aus Kalkstein zeigen die einstige Höhe der Landschaft, bevor die Erosion ihr Werk begann.

Tomm als Größenvergleich: Skulptur etwa 7m hoch

Bizarre, bis zu zwanzig Meter hohe Pinne stehen hier herum und animieren, in ihnen Gesichter oder Tiere zu sehen. Die Abendsonne leuchtet den herrlichen Kontrast zwischen dem fast schneeweißen Felsgestein und dem beigen Sand aus. Ich versuche mich mit Fotos zurückzuhalten, da ich nur ein Ersatzakku besitze und nicht am zweiten Tag ohne funktionierende Kamera dastehen möchte. Trotzdem überwältigt mich die vor mir ausgebreitete Schönheit, so dass ich immer wieder einschalte, in der Hoffnung das sich mir bietende Bild noch besser einzufangen.

In den Felsen kann man Muschelfossilien entdecken. Bis vor etwa sechs bis siebentausend Jahren war dies der Meeresboden. Als die Sonne untergegangen ist, spielen wir noch ein paar Runden Rummy Cup bevor Aref uns köstliches Essen serviert. Kurze Zeit später, nachdem wir noch einmal den mit Millionen Sternen gesprenkelten Himmel bewundert haben und ich die Milchstraße mit dem Finger entlang gefahren bin, ziehen wir uns in unsere beiden Zelte zurück. Leider sind das dünne Polster und die darüber ausgebreitete Kamelhaardecke bei weitem nicht weich genug für unser zivilationsverwöhnten Körper. So schlafen wir kürzere Passagen und sind dann wieder länger wach. Nur Tomm findet tiefen erholsamen Schlaf. Gegen Morgen sind Anke und ich wohl auch noch einmal fester weggesunken, denn als ich wieder einmal aufwache, ist es zu meiner Überraschung schon hell. Anke schläft noch tief, als ich das Zelt zu meiner Morgeninspektion verlasse. Das schräg einfallende Licht setzt die skulpturalen Felsen ins beste Licht, beinahe rosa glühen sie in der Morgensonne. Nicht weit von uns entfernt gibt es noch ein größeres Camp. Scheinbar ein Club von ägyptischen Allrad Liebhabern. Alte Toyotas und Land Rover aus den 1960ern parken neben denen neuerer Generation. Etwa zehn Wagen und zwanzig Zelte stehen malerisch am Fuß einer besonders skurrilen Skulptur. Als ich zum Zelt zurückkomme, ist auch Anke schon wach und wir bekommen einen obligatorischen Nescafé in die Hand gedrückt, bevor Aref unsere Eier in die Pfanne haut.

Blick vom Hausfelsen auf unser Nachtlager im Aufbau

Gegen zehn Uhr sind wir mit unserem dieselbetriebenen Kamel wieder unterwegs und im Laufe des Tages durchfahren wir immer wieder weniger spannende Gebiete, um dann das nächste Highlight zu bestaunen. Wir lernen „Flowerstones“ kennen, eisenhaltige, kristalline, dunkelbraun-schwarze Steine, meistens daumennagelgroß. Zuerst sucht unser Fahrer sie vom langsam fahrenden Wagen aus. Als ich den ersten in den Händen halte, frage ich dann aber, ob wir anhalten können und so suchen wir alle vier mit konzentriertem, auf den Boden gerichteten Blick die mit schwarzen Steinen gesprenkelte Ebene nach diesen Besonderen ab.

Kurz vor Mittag sieht Tomm eine Palme hinter der Düne hervorschauen. Schon kurze Zeit später halten wir an einer Mini-Oase. Eine frische und klare Quelle ist schön in drei hintereinandergeschaltete Becken gefasst. Auf einem kleinen Hügel stehen eng beieinander etwa zehn Palmen. Und drumherum, soweit das Auge reicht, Sand und Stein. Läge nicht auch etwas Plastikmüll neben den Kamelkötteln, die Oasen-Fantasie meiner Kindheit wäre wahrgeworden. Noch eine kurze Fahrt und wir halten an einer etwas größeren Oase zum Mittagsimbiss an. Hier gibt es einfach ein von einer schönen Grasart bewachsenes Wasserloch. Leider haben auch hier ein paar Gäste ihre Thunfisch- und Getränkedosen liegen lassen. Ich sammele den Müll ein, so viel Platz ist in unserem Wagen noch. So hat der nächste Besucher wieder eine etwas schönere Illusion eines heilen Kindheitstraums aus Tim und Struppi Comics…

Mini Oase am Horizont

Gegen Nachmittag erreichen wir den spektakulärsten Teil der White Desert. Wir fühlen uns in einem Eisfeld, nur der zwischen den weißen Felsen liegende Sand hält die perfekte Illusion zurück. Immer bizarrere Felsen erscheinen im Blickfeld. Schließlich stehen wir vor der einzigen mit einer Kordel und ein paar niedrigen Pflöcken abgegrenzten Skulptur: Der Pilz und die Henne. Es ist fast wider die Schwerkraft, wie der dünne Sockel sein ausladendes Haupt trägt. In einigen Reiseführern und auch im Internet ist dieses Objekt abgebildet. Aber letztendlich gibt es hier Dutzende von Felsen, in die wir etwas hineininterpretieren könnten. Auch die Künstler und Steinmetze aus der Pharaonenzeit sollen ihre Inspirationen hier erhalten haben. Wohl deswegen heißt die Gegend auch Sphinxtal. Wir suchen uns, etwa eine halbe Stunde weiterfahrend, ähnlich schön bestückt, aber keine Menschenseele in der Nähe, unser Nachtlager und genießen bei bestem Abendlicht unsere Umgebung.

Aref beim Abbau unsere Lagers

Nach einer zweiten durchfrorenen Nacht ziehen Anke und ich alles Verfügbare an, damit wir auf unserer kleinen Suche nach einem schönen Sonnenaufgangspunkt uns langsam wieder aufwärmen. Aber während die rote Sonne aufsteigt, schauen wir uns immer wieder die langsam ins warme Licht eintauchende Welt hinter uns an. Erst sind es zarte Rosatöne, dann leuchtend weiß. Unser erhöhter Punkt lässt uns große Teile des Sphinxtals bis zu den Bergen am Horizont überblicken. Wir kehren zurück und nach dem Frühstück brechen wir die Zelte ab. Der einzige Wermutstropfen an dieser wunderbaren Tour ist, dass wir weder einen Wüstenfuchs noch die Wüstenspringmaus gesehen haben. Spuren von beiden waren im Sand reichlich vorhanden, die Verursacher wollten aber mit uns nichts zu tun haben.

Die Straße von Dhakla nach Bahariya führt durch die Schwarze Wüste

Auf dem Weg in die Bahariya Oase machen wir noch einen Abstecher in die Black Desert und steigen auf einen der vielleicht hundert Meter hohen kegelförmigen Hügel. Von dessen Spitze können wir noch Dutzende, ähnlich geformte, Hügel sehen. Alle sind mit schwarzen Steinen gepudert, unter denen der Sand durchscheint. Es ist ein sehr schöner Anblick und ein starker Kontrast zu der eben erst verlassenen White Desert. Wir steigen über einen anderen Geröllweg hinab und genießen auch von hier die erstaunliche Landschaft.

Oft befinden sich Trinkwasserbehälter mit Becher an der Straße
Blick über Dakhla in die Wüste
Haushaltsgeräte zum Verkauf
Festgefahren im Wüstensand
Der Pilz und die Henne
Black Desert
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Bahariya Oase und chaotisches Kairo

Die Bahariya Oase ist, genau wie die anderen Oasen, architektonisch zu vernachlässigen und entspricht keinesfalls romantischen Oasen Vorstellungen. Schönheit entwickelt sie nur dort, wo die Bebauung aufhört und die unzähligen, vielleicht in die Million gehenden Dattelpalmen stehen und manchmal in den mit hohen Mauern umgebenen Gärten. Wir biegen von der Hauptstraße in staubige, mit Plastik- und anderem Müll angereicherte Straßen ein. Mir gefallen die alten, oft mit Teppichstücken auf den Sitzbänken verzierten Motorräder. Hier wird alles am Laufen gehalten, selbst wenn es schon sichtbar auseinanderbricht.

Dattelpalmen in Bahariya

Scheinbar jedes Alter darf hier motorisierte Zwei- und Dreiräder fahren. Ein vielleicht achtjähriger Junge, der uns eben mit seinen beiden Freunden noch zu Fuß entgegenkam, knattert lachend und Gas gebend in einem Tuk-Tuk an uns vorbei. Anke und ich gehen eine Runde durch unser wegen der hoch eingemauerten Grundstücke etwas abweisend wirkendes Viertel. Das Nachmittagslicht bringt die ausgeblichenen Farben der älteren Häuser schön zum Leuchten und ich fange die Stimmung mit ein paar Fotos ein. Anschließend packen wir Tomm ein, der seit unserer Ankunft das schmerzlich vermisste Internet in der Lobby genießt und Tablet und Handy gleichzeitig laufen lässt, um den Hausberg hinaufzugehen. Von oben vermittelt die Oase einen anderen Eindruck. Jetzt können wir die zahlreichen, vorher hinter den Mauern verborgenen Bäume sehen und zusammen mit dem bis zum Horizont reichenden Palmenhainen hinterlässt Bahaiya von hier einen grünen und schönen Eindruck.

Blick über die Häuser der Oase

Weil es Tomm nicht so gut geht und auch Anke ein wenig Bauchdrücken hat, lehnen wir die Einladung des Hotelbesitzers in seine Bar zu kommen zuerst dankend ab. Als wir dann aber in unserem Zimmer sind, finden wir es schade, erstens weil es die einzige Bar in mehr als dreihundert Kilometern Umkreis ist und zweitens, weil Peter Wirth, der Namensgeber von Peter´s Bar, ein Original ist. Er hat mit seiner Mutter, die auf der Suche nach einem Quartier zum Überwintern war, Bahaiya ausgesucht, weil hier die beiden traditionellen Handelsrouten zwischen den Oasen zusammentreffen. In den Neunzigern begannen sie dann mit dem Hotelbau. In der Zeit unter Präsident Mubarak war es Ausländern allerdings nur gestattet bis zu neunundvierzig Prozent zu halten, so dass noch ein Ägypter dazu genommen werden musste. Der erwies sich allerdings als Betrüger und Peter erzählt von seinem Glück, das es kein Einwohner der Oasen, sondern ein aus dem Nildelta stammender Mann war. So fand er Hilfe bei den Menschen vor Ort und gemeinsam konnten sie den Kontrahenten vertreiben und nach einer Gesetzesänderung schließlich auch das ganze Geschäft auf ihren Namen umschreiben lassen. Peter war der erste, der geführte Touren in die von ihm geliebte White Desert organisierte. Er gibt eine kleine Anekdote zum Besten, wie der ägyptische Tourismusminister ihn auf einer Messe in Berlin zur Seite nimmt und sich erklären lässt, wo denn diese White Desert, heute immerhin ein Nationalpark, überhaupt liegen würde. Es gesellt sich noch ein weiteres Gästepaar zu uns und so erzählen wir bei einem von japanischen Gästen Peter geschenkten sehr guten Sake weitere Reisegeschichten. Schön finden wir alle die Anekdote, wie Peter zu seiner japanischen Frau gekommen ist. Die war als Fotografin in der Oase unterwegs, als seine Mutter sie kennengelernt hat und mit der Erklärung, hier gäbe es einen Onsen, eine der in Japan so geliebten heißen Quellen, ins Hotel lockte. Und weil Peter einige Zeit Sinologie studiert und seine Sprachkenntnisse auf zwei Japanreisen weiter verfeinert hatte, klappte die Kommunikation dann so gut, dass die beiden bis heute verheiratet sind.

Peter Wirth

In den Jahren bis 2011 haben die Menschen des Ortes ihre Besucher aus Kairo immer in die Bar geführt, stolz auf so eine moderne, westliche Einrichtung in der fernab liegenden Oase. Nachdem die islamistische Partei des Islam Brotherhood die Wahlen gewann und das Land zunehmend konservativer wurde, nahmen die Besuche dann deutlich ab. Auch hat Peter ab dieser Zeit mit dem Verkauf von Schnapsflaschen unter der Ladentheke aufgehört – allein schon, um nicht in Misskredit gebracht zu werden.

Offiziell haben wir die letzten drei Tage im Hotel verbracht. Das ist nötig, weil Touren in die White und Black Desert für Ausländer noch immer nicht wieder gestattet sind. Deswegen haben wir Aref auch etwas hinter dem Parkplatz am Cristal Mountain „konspirativ“ getroffen und beim Wechsel vom New Valley District unsere Polizeieskorte auf Hinwirken von Peter „verloren“. Vielleicht sind diese Restriktionen die Erklärung, weswegen so wenige Besucher an einem so traumhaften Platz zu finden sind. Im ganzen vergangenen Jahr soll die Besucherzahl aller Oasen und Wüsten der Western Desert unter zehntausend gelegen haben.

Wir haben die Leere genossen und uns wie Königin und Könige in unserer Eiswüste gefühlt.

Haus in unserem Viertel von Bahariya

Unser Fahrer biegt in das Schlachtgetümmel um die Einfahrt zu den Pyramiden von Gizeh ein. Stoßstange an Stoßstange schiebt sich die Blechkarawane Richtung Eingang. Alle möglichen zwielichtigen Hassler versuchen ein paar Euro zu verdienen. Während unser Wagen geparkt wird, gehen wir zu Fuß durch die Kontrolle. Die Frau am Scanner beanstandet meine Kamera: „No Zoom Cameras!“. Sie versucht mich zu verunsichern, was ihr auch teilweise gelingt, um ein kleines Zubrot zu ihrem Verdienst herauszuschlagen. Ich könnte jetzt die Touristenpolizei herbeirufen, bin aber, auch wegen der leichten Schlappheit von Tomm, eher zum Zahlen bereit. Gegen drei Euro ist die Kamera kein Problem mehr und so gehen wir leicht amüsiert weiter. Kamele und Kutschen stehen überall bereit und die meisten Touristen nehmen den oft zweifelhaften Service wahr. Manch geschundene Kreatur wird übers Pflaster getrieben und Kinder führen Kamele, statt in die Schule zu gehen. Wir ziehen unsere Füße und den Wagen vor. Wie meistens löst sich die Touristentraube nach dem Eingang auf und wir können ohne viel angesprochen zu werden uns die nötige Zeit nehmen. Trotzdem hat das ganze etwas von der Drosselgasse in Rüdesheim, aber wie auch nicht bei der größten Touristenattraktion des Landes?

Die Stadt wächst an die Pyramiden heran

Die Metropolregion Kairo liegt inzwischen um weite Teile der Anlage herum und hinter den Pyramiden ist die Skyline gut sichtbar. Die fünftausend Jahre alten Kolosse leiden und aus der Nähe wird das ganze Ausmaß des Dahinbröselns sichtbar. Nach zwei Stunden reicht es uns und so fahren wir in die über der Stadt hängende Smogglocke von Kairo hinein zu unserem Hotel. Zeitweise führt eine achtspurige Straße in die Innenstadt, die aber problemlos auf multiple Spuren ausgedehnt wird. Mir brennen schon nach kurzer Zeit die Augen von den vielen Abgasen. Kairo ist ein Moloch, der Großraum beherbergt dreiundzwanzig Millionen, die Stadt selbst fast zehn Millionen Einwohner. Somit ist die Metropolregion die Größte Afrikas, die Stadt selbst die siebtgrößte der Welt. Kairo ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ägyptens und der arabischen Welt. Vor allem aber ist es die Hauptstadt des Hupens. Keine Sekunde vergeht, während ich am Fenster unseres Zimmers stehe, ohne das zwei bis drei Hupen ertönen. Nur in den frühen Morgenstunden wird es ruhiger.

Einige Häuser mussten der Schnellstraße weichen

Nach unserem Besuch des Koptischen Kairos mit seinen alten Kirchen und dem wirklich sehenswerten Friedhof wollen wir über die Nilinsel Roda wieder in Richtung unsere Hotels wandern. Wir durchqueren ein sehr ärmliches Viertel, lassen uns von einer Anwohnerin die ungefähre Richtung zum Nil beschreiben und überqueren dann auf einer Fußgängerbrücke die Metroschienen. Auf beiden Seiten sortieren Männer Müll und Lumpen. Hier wohnen offensichtlich die Ärmsten der Armen. Schon am Eingang des Viertels sind uns drei einsturzbedrohte, erstaunlich zur Seite geneigte Häuser aufgefallen. Am Nil sieht es nicht viel anders aus. Ein Mann wäscht sich in dem Wasser des verschmutzten Seitenarms. Eine Hütte aus Pappe und Resten steht nicht weit daneben. Tomm ist noch immer kränkelnd und so entscheiden wir uns für eine Pause. Wir winken ein Tuk-Tuk heran, lassen uns zu einem fairen Preis zur nächsten Metrostation bringen und steigen dort in Richtung Nasser um.

Hütte am Nil

Eigentlich würde noch der zur absoluten Pflichtaufgabe zählende Museumsbesuch anstehen. Da aber das Große Ägyptische Museum in Gizeh trotz jahrelanger Verzögerung noch immer nicht eröffnet hat, das Datum wurde kurz vor unserem Hinflug leider auf März verlegt, und das in der Stadt liegende alte Ägyptische Museum schon teilweise geräumt ist, fällt dieser Besuch leider aus. So schauen wir uns statt Fundstücken der Vergangenheit noch ein wenig mehr das Kairo der Gegenwart an.

An unserem letzten Tag wollen wir unseren Abschied von Land und Hauptstadt mit einem guten Essen feiern. Wir suchen uns das Saigon Restaurant and Lounge im Nil Tower aus. Der Taxifahrer vor der Tür weiß ungefähr, wo es liegt. Eigentlich hat er die richtige Idee, aber vor Ort ist kein Schild zu erkennen, der Pförtner weist uns falsch an und so fahren wir noch eine Riesenschleife, bis wir schließlich wieder vor der Tür des Fairmont Hotel stehen und unseren sehr freundlichen Taxifahrer mit einem guten Trinkgeld entlassen. Das Restaurant bittet einen großartigen Blick über den Nil und vor allem erstklassische asiatische Küche. Das Sushi ist das leckerste jemals von mir gegessene und sowohl Avocadoeis als auch Baskischer Käsekuchen, zugegebenermaßen nicht besonders asiatisch, sind zur Abrundung allein einen Besuch wert. Wir schlendern nach dem Essen ein wenig die Nilpromenade flussaufwärts und nehmen dann ein Taxi zum Chan el-Chalili, ein in schönen Gebäuden untergebrachter mittelalterlicher wirkender Bazar, westlich der Saiyidna-el-Husain-Moschee gelegen. Während früher Sklaven und Edelsteine hier verkauft wurden, ist leider der Anteil an Pyramiden, Nofretetes und anderer Pharaonenschrott recht groß und ruhiger wird es erst im Viertel der Goldverkäufer. Hier gibt es keinen Trubel und es ist der Hauptumschlagplatz für Schmuck, Steine und Gold in Kairo. Trotzdem macht es uns Spaß kreuz und quer ein paar Runden zu drehen, die Beleuchtung ist schön, die Verkäufer eher freundlich als drängend und zwischendrin gibt es immer wieder hübsche Cafés. Trotzdem sind wir nach knapp zwei Stunden durch und schnappen uns ein Taxi zum Hotel. Ich ordere noch einen Wagen für morgen früh um 6.30 Uhr zum Flughafen, dann gehen wir auf unser Zimmer und fangen an unsere Koffer zu packen.

Um Viertel nach fünf steht der Muezzin zum Abschied noch einmal in unserem Zimmer. Wie jeden Tag betet er um diese Uhrzeit das erste Mal. Im Unterschied zu unseren bisherigen Bleiben ist das hier aber so laut und klar zu hören, als spräche er aus einer mittellaut gestellten HiFi-Anlage und die Boxen stünden rechts und links unseres Bettes. Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei, aber wie bei einem guten Wecker kommt nach weiteren zehn Minuten noch einmal ein kurzer Nachschlag zur Abrundung. Da ich auf Reisen immer schlafgestört bin, empfinde ich den melodiösen Sprechgesang in seiner orientalischen Anmutung als angenehm und eine schöne Stimmung in tausendundeiner durchwachten Nacht erzeugend. Selbst oder vielleicht auch gerade hier in Kairo spielt der Islam noch eine sehr große Rolle.

Haustechnik in Kairo

Wenn das Mittagsgebet erschallt, in bester Mad Professor Art jedes Wort aus den omnipräsenten Boxen mehrfach nachhallend, knien die Männer in langen Reihen hinter- und nebeneinander auf dem Bürgersteig zum Gebet. Am gestrigen Freitagabend an der Sayyidna Al Hussein Moschee standen sie dichtgedrängt am Tor und warteten darauf eingelassen zu werden. Während in Deutschland im letzten Jahr erstmals mehr als fünfzig Prozent keiner Kirche angehört haben, ist hier der Glauben noch der Kit, der die Gesellschaft zusammenhält - oder vielleicht auch die nötige Wut zur nächsten Revolution bündelt.

Fahrbare Motorpumpe
Reifenservice im Nirgendwo
Skyline im Smog
Der koptische Friedhof vor Wohnhäusern
Bahnübergang
Silberschmied
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Ägypten